«Will man wirklich, dass das ganze Geld ins Ausland fliesst?»
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Alain Berset bei «Tschugger»:«Will man wirklich, dass das Geld ins Ausland fliesst?»

«Lex Netflix»
Jetzt solls der Tschugger richten

Das Filmgesetz steht auf der Kippe. Eine Woche vor der Abstimmung trifft Bundesrat Berset die Macher des Walliser TV-Hits. Ob ihr Erfolg abfärbt?
Publiziert: 08.05.2022 um 15:01 Uhr
Simon Marti

Es ist ein Anlass ganz im Sinne von Alain Berset (50, SP). Am Freitagnachmittag lädt das Walliser Filmschaffen in den Kinosaal des Studios 13 in Sitten VS. So trostlos die Umgebung im Sittener Gewerbegebiet, so geeint sind die Anwesenden in ihrer Haltung. Ob nun Filmer, Staats- oder Bundesrat, alle sind von der Bedeutung des neuen Filmgesetzes für die heimischen Produktionen überzeugt.

Lex Netflix: Worüber wir abstimmen

Das Parlament stimmte mit grosser Mehrheit für die sogenannte Lex ­Netflix. Eine Woche vor der Abstimmung ist das Rennen aber offen, wie die jüngsten Umfragen zeigen. Das neue Filmgesetz sieht vor, dass Streamingdienste wie Netflix oder Sky künftig vier Prozent des in der Schweiz er­zielten Umsatzes in das Schweizer Filmschaffen in­vestieren müssen. Das kann in Form von direkten Inves­titionen in Film- und Serien­produktionen oder als ­Ersatzabgabe ­geschehen. ­Inländische Fernsehsender sind dazu ­bereits heute ­verpflichtet. Weiter sieht die Vorlage vor, dass das Angebot der Streamingdienste zu 30 Prozent aus Filmen oder Serien bestehen muss, die in ­Europa produziert ­wurden. Bund und Par­lament betonen, damit die kulturelle Vielfalt stärken zu wollen, die Gegner warnen vor höheren Gebühren und einer un­nötigen staatlich verordneten Quote.

Das Parlament stimmte mit grosser Mehrheit für die sogenannte Lex ­Netflix. Eine Woche vor der Abstimmung ist das Rennen aber offen, wie die jüngsten Umfragen zeigen. Das neue Filmgesetz sieht vor, dass Streamingdienste wie Netflix oder Sky künftig vier Prozent des in der Schweiz er­zielten Umsatzes in das Schweizer Filmschaffen in­vestieren müssen. Das kann in Form von direkten Inves­titionen in Film- und Serien­produktionen oder als ­Ersatzabgabe ­geschehen. ­Inländische Fernsehsender sind dazu ­bereits heute ­verpflichtet. Weiter sieht die Vorlage vor, dass das Angebot der Streamingdienste zu 30 Prozent aus Filmen oder Serien bestehen muss, die in ­Europa produziert ­wurden. Bund und Par­lament betonen, damit die kulturelle Vielfalt stärken zu wollen, die Gegner warnen vor höheren Gebühren und einer un­nötigen staatlich verordneten Quote.

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Da dürfen David Constantin und Sophie Toth, die Macher von «Tschugger», nicht fehlen. Die Walliser Erfolgsserie geht demnächst sogar im benachbarten Ausland über die Bildschirme. Synchronisiert, selbstverständlich.

Bundesrat Berset, daran lässt er keinen Zweifel, ist Fan des Serienwunders: «Es kommt bei vielen gut an, denn es ist auch sehr gut gemacht, mit viel Humor. Es funktioniert übrigens auch sehr gut im Ausland. Wir können stolz darauf sein.»

Alain Berset mit den «Tschugger»-Machern Sophie Toth und David Constantin.
Foto: Andrea Soltermann
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Jetzt, wo es darum geht, eine Mehrheit vom Filmgesetz zu überzeugen, ist die «Tschugger»-Erfolgsstory politisch bedeutsam. Während Kritik und Publikum landesweit am «Tschugger» ihre helle Freude haben, steht die Vorlage auf der Kippe. Das zeigen die letzten Umfragen.

Der geborene Kulturminister

Sicher, Berset hat schon gewichtigere Abstimmungen gewonnen und verloren. Aber er lässt kaum eine Gelegenheit aus, um zu betonen, dass die Kultur im Allgemeinen und der Film im Speziellen für ihn mehr sind als sympathische Anhängsel seines Innendepartements. Jährliche Auftritte des Sozialdemokraten am Filmfestival von Locarno samt Hut und Sonnenbrille zeugen davon, wie sehr ihm der Habitus des Kulturministers behagt.

Das verleiht der Ausmarchung vom 15. Mai eine persönliche Note.

Der Abstimmungskampf geriet allerdings nicht gerade zum Schaulaufen, im Gegenteil: «Je weniger man den Schweizer Film gekannt hat, desto heftiger hat man ihn kritisiert», bilanziert Berset im Wallis. Obwohl es zahlreiche hervorragende Produktionen gebe, gehe es nun darum, der Schweizer Filmbranche gleich lange Spiesse zu verschaffen, sagt er. «Will man wirklich, dass das ganze Geld ins Ausland fliesst, um dort Produktionen zu machen?»

Die Jungfreisinnigen sind dagegen

Das sehen namentlich die Jungfreisinnigen (JFS) etwas anders. Sie haben das Referendum vorangetrieben, was einige unsouveräne bis peinliche Reaktionen seitens der Branche provozierte. «Mit den Gehässigkeiten der Filmlobby habe ich nicht gerechnet und ich mache doch schon eine Weile Politik», sagt JFS-Präsident Matthias Müller (29). «Da haben gewisse Leute offensichtlich grosse Angst, dass der bereits einkalkulierte Geldsegen ausbleibt.»

Die Anstrengungen der Jungpartei haben sich mittlerweile zu einer breiten politischen Allianz ausgewachsen. Die Mutterpartei, im Parlament noch für das Gesetz, ist nun dagegen. Die SVP lehnt es sowieso ab, genauso wie der auf Seriosität bedachte Wirtschaftsdachverband Economiesuisse und der eher krawallige Gewerbeverband.

Müller aber ist und bleibt das Gesicht des Nein-Lagers. «Bei einer Annahme würden die Streaminganbieter im In- und Ausland gezwungen, vier Prozent ihrer Einnahmen abzugeben», warnt er. Dabei kenne die «überwältigende Mehrheit der Länder in Europa keine Filmsteuer». Das zeige, dass es keinen «Investitionszwang» brauche.

Führe die Schweiz diesen aber ein, schätzt er die Kosten für Netflix und Co. auf 20 bis 30 Millionen Franken. Irgendjemand werde dies bezahlen müssen. «Und es ist auch klar, wer das sein wird: wir Konsumenten», sagt Müller.

Unwahrheiten

Ob die Abos der Streamingdienste effektiv teurer werden, weiss freilich keiner. Dennoch werfen sich beide Lager gegenseitig vor zu schwindeln. «Wir sind seit Wochen primär dabei, Unwahrheiten zu korrigieren. Nicht ganz einfach, wenn die Hälfte der Deutschschweizer Medien aus wirtschaftlichem Interesse gegen das Gesetz anschreibt», schimpft SP-Nationalrat Matthias Aebischer (54, BE), Präsident des Filmverbands Cinésuisse. «CH Media und die ‹NZZ› bekämpfen die Vorlage nach Kräften», hält er fest.

Tatsächlich identifizierte der «Tages-Anzeiger» die TV-Abteilung von CH Media, die zur Hälfte der «NZZ» gehört, als «Hauptgegnerin» des Filmgesetzes.

Von einer Steuer könne keine Rede sein, betont Aebischer. Man verlange einzig, dass die ausländischen Anbieter einen kleinen Teil ihrer Umsätze dafür einsetzen, in der Schweiz Filme zu drehen. «In dem Land also, in dem sie Millionen verdienen. Das ist es auch schon.»

Noch nicht ganz: Die Entscheidung über das Filmgesetz fällt in sieben Tagen. Und sollten Berset und Aebischer den Urnengang auch verlieren, die neue Staffel von «Tschugger» folgt bereits im Herbst. Das kann keine Abstimmung verhindern.

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