«Dann bin ich auch der Nachbar von Roger Federer»
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Witzbold Marco Chiesa:«Dann bin ich auch der Nachbar von Roger Federer»

Marco Chiesa (45) steht vor der Wahl zum SVP-Präsidenten – ein Hausbesuch in Lugano
«Dann bin ich auch der Nachbar von Roger Federer»

Er scherzt gerne, der künftige SVP-Parteipräsident. Marco Chiesa (45) hat BLICK in seine Wohnung in Lugano eingeladen und spricht über seine Beziehung zur Familie Blocher – und darüber, was es mit der Lenzerheide-Connection zu Magdalena Martullo auf sich hat.
Publiziert: 13.08.2020 um 22:49 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2020 um 19:33 Uhr
Pascal Tischhauser, Gianna Blum

8.30 Uhr, es ist schon 28 Grad warm in Lugano. Bis zum Nachmittag wird es noch viel heisser werden. Und Marco Chiesa warnt BLICK, die Winterhilfe rufe ihn um 9.30 Uhr an. Die Winterhilfe? «Ja», sagt Chiesa, er sei der Präsident der Tessiner Sektion. In der Lockdown-Zeit habe man Hunderte Anfragen für Unterstützung erhalten. «Oft ging es darum, die Miete zu bezahlen.» Auch Einkaufsgutscheine vergab die Organisation. Der 45-jährige Tessiner Ständerat gibt zu bedenken, dass in seinem Kanton viele Leute tiefe Löhne haben und das Geld in der Corona-Krise rasch knapp wurde.

Natürlich verpasst er es auch nicht, sogleich eine Botschaft zur Kündigungs-Initiative zu platzieren. «Wir sind die Ersten, welche die negativen Konsequenzen der Personenfreizügigkeit spüren!» Das Parteiprogramm, das hat Chiesa à jour. Und er wiederholt – teils Wort für Wort –, was er wenige Tage zuvor zum Start des Abstimmungskampfs zum SVP-Volksbegehren sagte.

Nicht in der Krise von Bord gehen

Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass Chiesa am 22. August zum Präsidenten der SVP gewählt wird. Von der Spitze des Alterszentrums an die Spitze einer Altherrenpartei? Chiesa, der BLICK in seiner Wohnung in Ruvigliana, einem Stadtteil von Lugano empfängt, lacht laut auf. Und dementiert dann energisch, dass die SVP Schweiz ein Überalterungsproblem habe.

Marco Chiesa zu Hause in Lugano.
Foto: Philippe Rossier
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Doch viel mehr interessiert uns eigentlich: Warum hat Chiesa seinen Job beim Alterszentrum überhaupt an den Nagel gehängt? «Weil ich die 2,7 Millionen von Herrn Blocher erhalten habe!», sagt er. «Nein, nein. Das war ein Scherz – nicht, dass das die Leute noch glauben!» Er habe in den letzten Tagen einige Dummheiten über sein Verhältnis zur Familie Blocher lesen müssen. Christoph Blocher (79), stellt er klar, sei von keinem seiner Kinder der Götti. Und wenn man sage, er habe in Lenzerheide eine Ferienwohnung vis-à-vis von Magdalena Martullo (50), sei das auch nicht korrekt. Seine Ferienwohnung in Lantsch/Lenz liege etwa gleich weit von Roger Federers Haus entfernt. «Dann kann ich auch sagen, ich bin der Nachbar von Roger Federer!»

Der Tessiner erklärt seine Kündigung beim Alterszentrum später damit, dass die Stelle mit dem Ständeratsmandat weniger gut vereinbar sei als zuvor der Nationalratssitz. So habe er schon Anfang Jahr entschieden, sich auf die Politik zu konzentrieren.

Aber dann sei Corona dazwischengekommen. Und Chiesa hatte andere Sorgen: 14 Corona-Fälle wurden im Alterszentrum in Grono GR, dessen Chef er bis vor kurzem war, verzeichnet. Drei der Bewohner starben, glücklicherweise habe man nicht mehr Tote beklagen müssen. «Das waren schwierige und sehr traurige Momente», erinnert sich Chiesa. Mitten in der Krise habe er nicht von Bord gehen wollen. Doch mit der heutigen Aussicht aufs SVP-Präsidium habe seine Kündigung nichts zu tun.

Mit Blick auf den San Salvatore

Von seinem Wohnzimmer aus hat der designierte SVP-Präsident eine herrliche Sicht über den Luganersee und auf den San Salvatore. Draussen gibt es einen kleinen Streifen Rasen und eine mit Reben überwachsene Pergola. Von hier sieht man über den See bis zur italienischen Exklave Campione. Oder besser gesagt: bis zum Betonklotz von Mario Botta (77). Das markante Casino des Stararchitekten sei nicht gerade der Botta-Bau, der ihm am allerbesten gefalle, so Chiesa.

Seine Kinder, die zehnjährige Micol und der zwölfjährige Sohn Mathias, weilen zusammen mit der Mutter Monja (42) sowie dem Kanarienvogel in der Ferienwohnung in Graubünden. Doch Chiesa ist nicht allein. Pepe, der schwarze Kater, schaut immer wieder durch die offene Balkontüre in der Wohnung vorbei. Durchs Katzentürchen passt Pepe wohl seit Jahren nicht mehr. «Er frisst auch immer noch bei meinen Schwiegereltern, die über uns wohnen», erklärt Chiesa die adipöse Katze.

Seine Familie und sein Tessin sind Chiesa wichtig. Weil er noch Zeit hat, bevor der Zug nach Bern losfährt, hält er kurz an «seiner» Bistrobar. Hier kennt ihn jeder, sie ist seine zweite Stube. Er mache alles nicht, was sein Vater gemacht habe, erzählt Chiesa. Denn dieser, ein «talentierter Fussballer» beim FC Lugano, wäre immer besser gewesen, ob auf dem Rasen oder beim Jagen in den Bergen. «Zum Glück hat sich mein Vater nie politisch engagiert», scherzt er.

Seine Familie komme ursprünglich von hier, also aus dieser Ecke, die heute zu Lugano gehöre. Sogar ein kleines Waldstück besitze er hier noch. «Neben vielen Steinen gibt es sogar ein paar Bäume dort.» Die Familie habe immer gehofft, dass das mal Bauland werde. «Dann hätten wir es zubetonieren können», lacht der SVPler, der freimütig einräumt, dass die eine oder andere Bausünde im Tessin nicht unbedingt hätte sein müssen. Der Ständerat hat sich damit abgefunden, dass sein Grundstück wohl nie bebaut werden darf. Jetzt pflege man halt den Wald.

Die Lenzerheide-Connection

Besonders viel Holz scheint das Waldstück aber nicht abzuwerfen, oder? Hat nicht Martullo Chiesa in der Lenzerheide mit Brennholz versorgt? «Woher wissen Sie das jetzt wieder?», fragt der Tessiner und lacht schallend. Aber es stimme. In der Bündner Wohnung habe er eine Pigna, also eine Art Holzofen zum Heizen. Er habe das mal nebenbei erwähnt. Da fragte ihn die SVP-Vizepräsidentin, ob er Brennholz brauche, sie habe eine ganze Garage voll.

«Ich dachte, sie schickt jemanden mit dem Holz vorbei», erzählt Chiesa. Doch Blochers Tochter sei selbst mit einem ihrer Mitarbeiter vorbeigekommen und habe das Holz abgeladen. «Das fand ich eine sehr herzige Geste!», sagt Chiesa. Und fürchtet, dass es nun wieder heisse, Martullo ginge bei ihm in der Lenzerheide ein und aus. Das sei nicht der Fall. Sie sei damals mit dem Holz und noch ein anderes Mal zum Kaffee vorbeigekommen, er wiederum habe sie einmal besucht. In Bern habe er weit mehr mit ihr zu tun. Wie Martullo sitzt auch Chiesa schon länger in der Parteileitung.

Marco Chiesa war ein Einzelkind – lange Zeit zumindest. Nachdem sich seine Eltern getrennt hatten, wurde sein Vater ein zweites Mal Vater. «Ich habe jetzt einen 18-jährigen Halbbruder, mit dem ich mich sehr gut verstehe.» Gut, sie würden jetzt nicht grad ständig miteinander ausgehen. «Natürlich möchte er nicht unbedingt mit so einem älteren Herrn wie mir losziehen.» Aber auch hier merkt man wieder: Familie ist dem Tessiner wichtig.

Auf der Strasse erkannt werden

«In der Bistrobar sprechen wir Tessiner Dialekt», sagt Chiesa. Die Frau dort am Nebentisch ist aber eine Deutschschweizerin. Die Tischnachbarin grüsst – und liest dann weiter im BLICK.

Mit dem Deutschen tut sich Chiesa noch etwas schwer. Aber er geht offen damit um – und zeigt sich erleichtert, dass ihn Stabschef Franz Grüter (57) bei den deutschsprachigen SVP-Sektionen tatkräftig unterstützt.

Als ihn der Fotograf zuvor gebeten hatte, sich – «vielleicht mit einem Buch» – aufs Sofa zu setzen, greift Chiesa zu einem Schweizerdeutsch-Wörterbuch. Der erste Ausdruck, auf den er stösst, ist «Ausschaffung». «Sie denken jetzt, das passt», lacht er. Laut Presse sei er ja ein Hardliner, wenn auch ein netter.

Charme-Offensive für die SVP

Als nette Kerle, aber hart auf SVP-Linie galten auch Chiesas Vorgänger Toni Brunner (45) und Albert Rösti (53). Chiesa scheint der Vergleich mit dem früheren St. Galler Nationalrat besonders zu gefallen. «Toni Brunner ist ein bisschen wie ein Tessiner», findet er. «Er hat die Sonne in die Partei gebracht!» Dass die SVP mit Chiesa an der Spitze Charme gewinnt, zeigt sich im Tessin deutlich. Nur inhaltlich hält sich der gelernte Betriebswirt im Gespräch mit BLICK zurück: Das Personal im Parteisekretariat auszutauschen, sei für ihn kein Thema. Und er fände es «arrogant», der Partei eine Richtung vorgeben zu wollen, bevor er gewählt ist – «lassen Sie jetzt zuerst die Delegierten entscheiden». Was er mit der SVP erreichen will, ist längst nicht so klar wie der Himmel über Lugano am Mittwoch.

In seinem Dialekt-Wörterbuch bleibt Chiesa am Wort «Cervelatprominenz» hängen. Noch ist ihm der Begriff für Deutschschweizer C-Promis nicht geläufig. Das wird sich wohl ändern – als Parteipräsident wird er wohl häufig auf solche treffen. Auch Chiesa selbst, bisher national eher unbekannt, dürfte als SVP-Chef bald schweizweit auf der Strasse erkannt werden. Und falls er auf Schweizerdeutsch angesprochen wird? «Ich werde mit meiner Frau und meiner Schwiegermutter, die aus Meiringen stammt, fleissig Schweizerdeutsch üben.» Ans Erkanntwerden wird sich Chiesa gewöhnen müssen – genauso wie seine prominenten Nachbarn Martullo und Federer.


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