Milliarden-Fehler bei der AHV
Sind die AHV-Abstimmungen jetzt ungültig?

Der Bund hat sich bei der Berechnung der AHV-Ausgaben verrechnet. Blick erklärt dir, wie es zur Panne gekommen ist, was diese bedeutet und wie es nun weitergeht.
Publiziert: 06.08.2024 um 12:10 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2024 um 19:22 Uhr

Die AHV-Ausgaben dürften 2033 rund 4 Milliarden Franken oder rund 6 Prozent tiefer ausfallen als bisher berechnet. Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat am Dienstag die AHV-Finanzperspektiven entsprechend korrigiert.

Blick erklärt dir, wie es so weit kommen konnte und welche Auswirkungen die Rechenfehler haben.

Wie konnte es zum Fehler kommen?

Der Fehler entstand durch zwei fehlerhafte Formeln im Berechnungsprogramm der AHV-Finanzperspektiven. Diese Formeln führten dazu, dass die prognostizierten Ausgaben unplausibel hoch ausfielen. Wie die Fehler genau in das Programm gelangten, bleibt unklar.

Das Bundesamt für Sozialversicherungen unter Direktor Stéphane Rossini (r.) hat festgestellt, dass die langfristigen Finanzperspektiven der AHV korrigiert werden müssen.
Foto: keystone-sda.ch
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Um wie viel hat man sich verrechnet?

Der Fehler führte zu einer Überschätzung der AHV-Ausgaben um rund 4 Milliarden Franken oder etwa 6 Prozent bis zum Jahr 2033. Das Umlagedefizit, also die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben ohne erwartete Anlagerendite, wurde ebenfalls zu hoch berechnet. Statt wie bisher angenommen über 7 Milliarden Franken, wird das Finanzloch bis 2033 nun auf etwa 4 Milliarden Franken wachsen.

Wie lange wird bereits falsch gerechnet?

Laut dem Bundesamt ist die fehlerhafte Formel seit ungefähr April 2019 Grundlage für die AHV-Berechnungen.

Wie wurden die Fehler entdeckt?

Das Amt überarbeitet seine Berechnungen regelmässig. Eine nächste Kontrolle war im Hinblick auf die bevorstehende nächste AHV-Revision 2026 geplant. Dann wurde die Initiative für eine 13. AHV angenommen – und als man dazu Berechnungen anstellte, merkte man, dass etwas nicht stimmen kann. Die Kontrollarbeiten wurden daraufhin beschleunigt. Laut BSV sind Anfang 2024 zwei Personen eingestellt worden, um den Bereich Mathematik zu verstärken. Ein Mitarbeiter hatte laut BSV explizit die Aufgabe, den Code des Programms Zeile für Zeile zu kontrollieren. Dabei stiess er auf die Fehler.

Und jetzt?

Nach der Entdeckung hat das BSV reagiert. Es liess zwei alternative Berechnungsmodelle entwickeln und testen – nach eigenen Angaben mit Erfolg. Zwei externe Forschungsinstitute wurden zudem mit der Entwicklung unabhängiger Modelle beauftragt, um die neuen Berechnungen des BSV zu validieren. Die korrigierten AHV-Finanzperspektiven sollen im September veröffentlicht werden.

Wie reagiert Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider?

Die zuständige Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider (60) hat eine Administrativuntersuchung angeordnet, um zu klären, wie es zum Fehler kommen konnte. Mit der Untersuchung beauftragt wurde die Zürcher Kanzlei Bratschi. Der Bericht soll laut Innendepartement (EDI) Ende Jahr vorliegen. Persönlich hat sie sich erst am Abend am Rande einer Veranstaltung in La Chaux-de-Fonds NE kurz geäussert. Der Berechnungsfehler sei signifikant und gravierend, Transparenz sei ihr wichtig. Sie betonte, dass es notwendig sei, das Vertrauen der Schweizerinnen und Schweizer in die Sozialversicherungen wieder herzustellen.

Hat das Ganze personelle Konsequenzen?

Bisher gibt es keine Informationen, ob die Berechnungsfehler personelle Konsequenzen haben. Es bleibt abzuwarten, ob das BSV oder der Bundesrat Massnahmen gegen verantwortliche Personen ergreifen werden. Dafür dürfte die Administrativuntersuchung abgewartet werden.

Was heisst das für die Finanzierung der 13. AHV?

Die Kosten der 13. Altersrente bleiben trotz Rechenfehler dieselben, so das BSV. 2026 werden sie rund 4,2 Milliarden Franken betragen und 2030 knapp 5 Milliarden. Die Vernehmlassung zur Umsetzung der 13. Altersrente wurde bereits abgeschlossen, der Bundesrat wird bald über das weitere Vorgehen entscheiden. Zur Debatte stehen zwei Varianten: eine Erhöhung der Lohnprozente um 0.8 Prozentpunkte oder eine etwas tiefere Erhöhung der Lohnprozente mit gleichzeitiger Erhöhung der Mehrwertsteuer.

Allerdings teilte das EDI mit, dass zuverlässige, geprüfte und hochwertige Daten in Hinblick auf die Finanzierung der 13. AHV-Rente und die AHV-Reform unerlässlich seien. Die Administrativuntersuchung umfasse daher auch die Qualitätsprüfungsprozesse und insbesondere die Zuverlässigkeit der mathematischen Modelle. Es kann sein, dass sich der Entscheid des Bundesrats über das weitere Vorgehen bei der 13. AHV wegen des entdeckten Fehlers verzögert. Und grundsätzlich ist die Diskussion neu entfacht, wie dringend eine Lösung des Finanzierungsproblems überhaupt ist – oder ob man nicht bis zur nächsten grossen AHV-Revision warten kann, die sowieso bald ansteht.

Sind die AHV-Abstimmungen jetzt ungültig?

Das kann derzeit noch nicht gesagt werden. Verschiedene politische Akteure fordern bereits eine Wiederholung der Abstimmung über die Erhöhung des Frauenrentenalters von 2022 und prüfen eine Abstimmungsbeschwerde. Eine solche würde schliesslich vor dem Bundesgericht landen. Dieses würde anschliessend urteilen, ob die Abstimmung annulliert wird. Der Bundesrat müsste über das weitere Vorgehen entscheiden.

In der Schweiz hat das höchste Gericht erst einmal in der Geschichte des Landes seit 1848 das Resultat einer eidgenössischen Volksabstimmung aufgehoben. Das Bundesgericht erklärte 2019 die Abstimmung zur CVP-Volksinitiative gegen eine Heiratsstrafe für ungültig, weil der Bundesrat vorgängig falsch informiert hatte.

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