Serge Gaillard präsentiert seine Vorschläge
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Bund kann 289 Millionen sparen:Serge Gaillard präsentiert seine Vorschläge

Mit welchen kommt der Bund durch?
Die Sparvorschläge im Check

Eine Expertengruppe hat 60 Sparmassnahmen vorgestellt, um das Milliardenloch im Bundeshaushalt zu schliessen. Welche sind umstritten, welche kommen durch? Blick macht den Check.
Publiziert: 06.09.2024 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2024 um 08:48 Uhr
Düstere Aussichten beim Bundeshaushalt: Die Schweiz muss sparen.
Foto: Keystone
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Serge Gaillard (69) war Gewerkschafter. Jetzt lehrt er den Linken das Fürchten. Der Bundesrat um Finanzministerin Karin Keller-Sutter (60, FDP) hat eine Expertengruppe eingesetzt, um herauszufinden, wo der Bund sparen kann, um das Milliardenloch zu stopfen. Gaillard präsidiert die Rotstift-Truppe, die am Donnerstag über 60 Massnahmen präsentiert hat. SP und Gewerkschaften toben.

Welche Vorschläge haben Chancen? Und wie geht es jetzt weiter? Blick macht den Check.

Senioren

Besonders in der Kritik der Linken steht ein Vorschlag zur AHV-Finanzierung. Auch der Bund beteiligt sich an den Kosten der AHV. Neu sollen die Bundesbeiträge von den AHV-Ausgaben entflochten und an die Entwicklung der Wirtschaft gekoppelt werden. So müsste der Bund weniger bezahlen.

Sparpotenzial: 289 Millionen Franken bis 2030.

Konfliktpotenzial: Gross. Schon bei der Finanzierung der 13. AHV-Rente wird eine Senkung des Bundesbeitrags diskutiert. In der Vernehmlassung fiel der Vorschlag durch. Trotzdem hält der Bundesrat bei der 13. AHV-Rente daran fest. 

Familien

Die Expertengruppe empfiehlt, dass der Bund sich aus Aufgabenbereichen zurückzieht, die in die Zuständigkeit der Kantone gehören. Ein Beispiel dafür ist die Kinderbetreuung, für die der Bund seine Subventionen sowie den geplanten Ausbau komplett einstellen könnte.

Sparpotenzial: Fast 900 Millionen Franken bis 2030.

Konfliktpotenzial: Mittel. Die SP wolle in den kommenden Debatten keinem Budget zustimmen, das zulasten der Menschen gehe, kündigte sie an. Trotzdem hat der Sparvorschlag gute Chancen. Denn: Die teurere Variante wird im bürgerlichen Parlament wohl keine Mehrheit finden.

Migration und Asyl

Der Bund soll die Integration von Flüchtlingen stärker auf den Arbeitsmarkt fokussieren, um Sozialhilfekosten zu senken. Zudem soll er die Pauschalen für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene an die Kantone nur noch vier statt fünf bzw. sieben Jahre zahlen. Dies würde die Zahlungen des Bundes deutlich reduzieren.

Sparpotenzial: Bis 2030 insgesamt 500 Millionen Franken.

Konfliktpotenzial: Mittel bis hoch. Im Parlament herrscht Konsens darüber, dass Asylsuchende schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden müssen. Der grosse Knackpunkt wird die Umsetzung sein. Die Integration in den Arbeitsmarkt gestaltet sich in der Realität bereits heute schwierig. Zu erwarten ist, dass die Kantone sich vehement gegen die Kürzung der Integrationspauschale wehren werden.

Klima und Energie

Um die Klimaerwärmung zu bremsen und den Umstieg auf die erneuerbaren Energien zu beschleunigen, zahlt der Bund viele Subventionen. Zu viele, sagt die Expertengruppe. Im Gebäudebereich könne viel mit technischen Vorschriften gemacht werden, so zum Beispiel beim Heizungsersatz. Dafür braucht es keine Subventionen. Aber: «Es ist nicht einfach, Subventionen wieder abzuschaffen», sagte Gaillard. Wenn dadurch die Klimaziele nicht mehr vollständig erreicht werden können, empfiehlt die Rotstift-Truppe stärker auf CO2-Abgaben zu setzen, die aber an die Bevölkerung zurückverteilt wird. Wer weniger CO2 ausstösst, kann damit Geld verdienen.

Sparpotenzial: 435 Millionen Franken bis 2030

Konfliktpotenzial: Mittel. Wenn die Kantone mehr Vorschriften erlassen, müssen sie eventuell ihre Energiegesetze ändern, was Volksabstimmungen erfordert – wie 2020 im Kanton Aargau (Nein) oder 2021 in Zürich (Ja). Lenkungsabgaben könnten wieder ein Thema werden.

Verkehr

Die Schweiz ist ein Bahnland. Um das zu finanzieren, gibt es unter anderem den Bahninfrastrukturfonds. Für die Expertengruppe ist es denkbar, dort weniger einzuspeisen. Auch in den Fond für die Nationalstrassen könnte weniger Geld fliessen. Dafür müssten geplante Ausbauprojekte priorisiert und allenfalls gestoppt werden. Keine Abstriche soll es hingegen bei den Reparaturen geben. Doch auch den Pendlern könnte es ans Portemonnaie gehen. Beim Regionalverkehr beispielsweise durch eine stärkere Nutzerfinanzierung in Form von Tariferhöhungen. Gleichzeitig könnten die Bundesbeiträge um fünf Prozent gekürzt werden. Auch beim Güterverkehr und den Nachtzügen könnte gespart werden.

Sparpotenzial: Bahnfonds 200 Millionen, Strassenfonds 96 Millionen Franken

Konfliktpotenzial: Mittel. Der Bahnfonds wurde schon im vergangenen Jahr benutzt, um das Budget Schuldenbremsen-konform zu gestalten. Er ist schon jetzt gut gefüllt. Unpopulärer dürften Sparübungen auf Kosten der Pendler sein oder bei der eben erst beschlossenen Nachtzug-Förderung. Bei den Nationalstrassen bräuchte es möglicherweise eine Volksabstimmung – und regionale Interessen sprechen dagegen.

Bundesverwaltung

Die Bundesverwaltung hat zu viel Fleisch am Knochen – sie soll abspecken. Die Expertengruppe sieht Potenzial für Effizienzgewinne. Neue Aufgaben sollen durch bestehende Ressourcen bewältigt werden. Den Beamten-Löhnen könnte es ebenfalls an den Kragen gehen. Etwa, indem die jährlichen individuellen Lohnerhöhungen auf das Niveau der Privatwirtschaft begrenzt werden.

Sparpotenzial: 300 Millionen Franken bis 2030, davon sollen zwei Drittel durch Kürzungen beim Personal kommen. Eine Stelle wird im Durchschnitt mit 150’000 Franken veranschlagt, das heisst, 1300 Stellen (also drei Prozent aller Stellen) könnten so abgebaut werden.

Konfliktpotenzial: Klein. Die Bürgerlichen fordern schon lange einen Abbau in der Bundesverwaltung. Und auch die Linken dürften nicht gross opponieren, für sie gibt es grössere Baustellen.

Gesundheit

Die Kosten für den Bund steigen durch seine Beteiligung an den Prämienverbilligungen. Um das Kostenwachstum zu kontrollieren, sollen Bund und Kantone Zielraten für das Wachstum festlegen. Der Bundesanteil soll nur im Gleichschritt mit diesen Zielen steigen. Werden sie überschritten, müssen die Kantone mehr zahlen. Das erhöht den Druck auf sie, das Kostenwachstum zu bremsen.

Sparpotenzial: 80 Millionen Franken bis 2030.

Konfliktpotenzial: Mittel. Die Einführung von Zielwerten ist bereits geplant. Entscheidend für den Bund wird sein, die Kantone davon zu überzeugen, den Bundesbeitrag zur Prämienverbilligung an diese Wachstumsziele zu koppeln.

Armee

Wie viel gespart werden muss, hängt auch davon ab, wie viel Milliarden man in die Armee stecken will. Dass sie wegen des Kriegs in der Ukraine aufrüsten muss, ist verständlich. Doch auf wessen Kosten? Die Expertengruppe hat auch geprüft, was es bedeuten würden, wenn die Verteidigungsausgaben weniger stark ansteigen würden als geplant.

Konfliktpotenzial: Hoch. Schon bevor über die Sparvorschläge entschieden wird, wird das Parlament Richtungsentscheidungen zum Militär treffen. Die haben Auswirkungen auf die weiteren Sparpläne.

Bei den Massnahmen der Expertengruppe handelt es sich um unverbindliche Vorschläge. Nun will der Bundesrat an runden Tischen mit Kantonen, Parteien und den Sozialpartnern darüber diskutieren. Erst danach legt der Bundesrat einen definitiven Sparplan fest.

Der Widerstand wird gross sein. Nicht nur bei den Linken. Die Kantone sind im Bundeshaus wichtig und haben mit ihren Ständeräten eine grosse Lobby. Sie dürften versuchen, viele Sparvorschläge zu torpedieren.

Entscheidend könnte die Rolle der Mitte-Partei sein. Sie fordert in einer ersten Stellungnahme, auch die Einnahmen zu überprüfen. Dort setzt die Rotstift-Truppe auf weniger Vorschläge: Steuerliche Vergünstigungen sollten abgeschafft werden und ein einheitlicher Mehrwertsteuersatz wird diskutiert.

Gut möglich, dass von den 60 Massnahmen am Ende kaum etwas übrig bleiben wird. Das Parlament muss Kompromisse finden. Zumindest derzeit sind diese kaum in Sicht.

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