«Es ist eine völlige Ungerechtigkeit»
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Mami soll ausgeschafft werden:«Es ist eine völlige Ungerechtigkeit»

Nächster Showdown im Parlament um Sozialhilfe für Ausländer
Wer arm ist, fliegt raus

Seit 2019 können Ausländer ausgeschafft werden, wenn sie Sozialhilfe beziehen. Das führt aber auch zu eigentlich ungewollten Härtefällen. Im Parlament ist das Thema hart umkämpft. Nun kommt es zum nächsten Showdown.
Publiziert: 24.04.2022 um 13:05 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2022 um 16:00 Uhr

Die Behörden kennen kein Pardon. Mudza E.* (55) soll ausgeschafft werden – nach 26 Jahren in der Schweiz. Die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern hat Schulden und bezieht seit der Trennung von ihrem Mann 2015 Sozialhilfe. Ihre Integration sei nicht als gelungen zu erachten, begründet das Baselbieter Migrationsamt die Wegweisung. Auch habe sich die Betroffene trotz Verwarnungen nicht genug bemüht, mehr zu arbeiten.

Solche Ausschaffungen will die Baselbieter SP-Nationalrätin Samira Marti (28) verhindern. Und sie ist nicht allein. Unterstützt von 37 Ratsmitgliedern von Grünen bis Freisinnigen hat sie vor zwei Jahren die parlamentarische Initiative «Armut ist kein Verbrechen» eingereicht.

Im Parlament hart umkämpft

Das 2019 verschärfte Ausländergesetz führe dazu, dass Ausländerinnen und Ausländer, die seit Jahrzehnten in der Schweiz leben, arbeiten und Steuern zahlen, aber «aus irgendeinem Grund» wie Arbeitsplatzverlust, Unfall, Krankheit, Trennung oder Pech auf Sozialhilfe angewiesen sind, deswegen weggewiesen werden.

Anouchka Gwen aus Basel hat sich an die Öffentlichkeit gewandt: Ihrer Mutter droht die Ausschaffung – weil sie Schulden hat und Sozialhilfe bezieht.
Foto: STEFAN BOHRER
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Marti fordert hier höhere Hürden. Beim Widerruf von Aufenthalts- und Niederlassungs-Bewilligungen soll erneut eine Schutzfrist eingeführt werden. Wer mehr als zehn Jahre in der Schweiz lebt, soll auch hier bleiben dürfen, wenn er oder sie unverschuldet Sozialhilfe bezieht. Ausgenommen sein sollen nur Personen, «die ihre eigene Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt haben».

Das Anliegen ist im Parlament hart umkämpft. Während die Staatspolitische Kommission (SPK) des Nationalrats das Anliegen knapp mit zwölf zu elf Stimmen bei zwei Enthaltungen unterstützt hat, lehnte die Ständeratskommission den Vorstoss genauso hauchdünn mit sechs zu fünf Stimmen ab.

Kommende Woche wird sich die Nationalratskommission nochmal über die Vorlage beugen. Erneut ist mit einem sehr knappen Ergebnis zu rechnen.

Es kommt ungewollt zu Härtefällen

Die knappe Mehrheit der Ständeratskommission dagegen teilt die bisherige Haltung von Justizministerin Karin Keller-Sutter (58): Die Behörden würden jeweils eine Verhältnismässigkeitsprüfung vornehmen, bevor sie eine Bewilligung entziehen. So könne berücksichtigt werden, «wenn die betroffene Person unverschuldet in ihre prekäre Lage gekommen ist».

Alleinerziehende Mütter, die arbeitstätig sind, sollte es so nicht treffen. «Es trifft sie aber doch», betont SP-Nationalrätin Marti. Das zeigt der Fall von Mudza E. Sie hat in den letzten Jahren mit Unterbrüchen Teilzeit als Putzfachkraft gearbeitet.

Ihr Mami habe nie nicht arbeiten wollen, sagt Tochter Anouchka Gwen (25), die sich vor Kurzem mit der Geschichte ihrer Familie an die Öffentlichkeit gewandt hat. Ihre Mutter, die in der Schweiz zu Hause sowie gut integriert sei und hier ein aktives Leben führe, werde aufgrund ihrer prekären Situation kriminalisiert und entwurzelt.

Verzicht auf Sozialhilfe – aus Angst

«Teilweise wird aus Angst auf die nötige Unterstützung verzichtet», gibt Marti zu bedenken. Die Sozialämter sind verpflichtet, Sozialhilfebezüger zu melden, wenn sie ein gewisses Total an Sozialhilfeleistungen bezogen haben. Der Betrag variiert von Kanton zu Kanton. Mithilfe eines Fragebogens prüft dann das Migrationsamt Jahr für Jahr eine Verwarnung, eine Rückstufung oder einen Widerruf.

Die Migrationsämter sollen dabei oft deutlich strenger sein. Während das Sozialamt Betroffenen bestätige, sie würden sich genug um Arbeit bemühen, finde das Migrationsamt, das reiche nicht, die Sozialhilfeabhängigkeit sei selbstverschuldet. Das untergrabe auch die Integrationsbemühungen und sei rechtsstaatlich heikel, findet Marti. Weshalb sogar Kantone und Gemeinden die neue Praxis kritisierten.

Zahlreiche Parlamentarier fordern daher, im Gesetz sei zu präzisieren, unter welchen Voraussetzungen der Entzug einer Bewilligung akzeptabel ist. So soll auch das Vorgehen der verschiedenen Behörden vereinheitlicht werden.

Mudza E. wird das nichts mehr nützen. Aufgeben will sie deswegen nicht. Sie hat Einsprache gegen die Wegweisung erhoben. Zwei Instanzen haben diese schon abgelehnt – nun muss das Bundesgericht entscheiden, ob sie ausgeschafft wird. (dba)

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