Nationalrat im Konflikt zweier Interessen?
Grünen-Glättli in der Eigenmietwert-Falle

Balthasar Glättli ist bekannt für seine knallharte grüne Politik. Bei der geplanten Abschaffung des Eigenmietwerts könnte aber genau diese zu einem Interessenkonflikt führen. Denn Glättli vertritt auch die Interessen der Mieter.
Publiziert: 22.08.2018 um 17:33 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:27 Uhr
Sitzt Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli in der Eigenmietwert-Falle?
Foto: Keystone
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Julien Duc

Die Wirtschaftskommission des Ständerats (WAK-S) kündigte am Dienstag an, den Eigenmietwert endlich abschaffen zu wollen (BLICK berichtete). Beim Hauseigentümerverband (HEV) wird bereits der Champagner kühl gestellt. Denn obwohl im Gegenzug auch einige steuerliche Abzugsmöglichkeiten wegfallen, dürfte der Erwerb von Liegenschaften weiterhin attraktiv bleiben.

Noch können die Wohneigentümer landauf und -ab aber noch nicht die Korken knallen lassen. Der Schweizerische Mieterinnen- und Mieterverband (SMV) teilt mit, der Abschaffung des Eigenmietwerts nur zustimmen zu können, wenn im Gegenzug sämtliche und nicht nur ein paar Abzüge gestrichen werden. Abzüge wie sie die Kommission zum Beispiel für energiesparende Unterhaltsarbeiten vorsieht.

Ein Interessenkonflikt für Balthasar Glättli (46)? Der Grünen-Politiker setzt sich bekanntermassen für die Energiewende ein. Als Vize-Präsident des Mieterverbands (SMV) strebt er aber auch die steuerliche Gleichbehandlung von Mietern und Eigentümer an. Im Interview erklärt er sich.

BLICK: Herr Glättli, ist es für Sie als Grünen-Politiker nicht ein Widerspruch, wenn der SMV eine Vorlage befürwortet, die Anreize für energiesparende Gebäudesanierungen streichen soll?
Balthasar Glättli: Auswertungen zeigen, dass Steuerabzüge nur wenig bewirken und vor allem zu hohen Steuerausfällen führen. Wer sowieso sanieren will, nimmt den Steuerabzug gerne. Aber kaum jemand saniert sein Haus nur wegen eines Steuerabzugs. Direkte Fördergelder haben da eine viel bessere Wirkung und führen effektiv zu zusätzlichen Sanierungen. Die Steuerabzüge sind unfair.

Wieso sollen sie unfair sein?
Sie führen dazu, dass Mieter die Energiewende überproportional berappen. Nach der Sanierung steigt die Miete, obwohl der Eigentümer einen Teil der Kosten via Steuerabzug zurückerhält. Direkte Subventionierungen dagegen bewirken geringere wertvermehrende Investitionen. Entsprechend steigen die Mieten weniger stark. 

Also könnten die Grünen der Abschaffung des Eigenmietwerts bedenkenlos zustimmen?
Davon gehe ich persönlich aus. Die Fraktion hat darüber aber noch nicht diskutiert.

Nichtsdestotrotz: Die Streichung der Abzugsmöglichkeit für ökologische Sanierungen widerspricht den Vorgaben der Energiestrategie 2050.
Die Energiestrategie will eine höhere Rate an energetischen Gebäudesanierungen. Dieses Ziel kann mit einer zielgenauen Subventionierung schneller, günstiger und sozial gerechter erreicht werden als mit Steuerabzügen. Wir werden uns dafür einsetzen, dass diese Fördermittel für Subventionen ausgebaut statt abgebaut werden.

Laut der WAK-S steht es den Kantonen offen, die Abzugsfähigkeit energetischer Sanierungen auch künftig beizubehalten. Ist es schlau, einen wesentlichen Bestandteil der Energiestrategie zu dezentralisieren und in die Hände der Kantone zu geben?
Diese Möglichkeit führt zu einem kantonalen Wildwuchs von zusätzlichen Abzugsmöglichkeiten. Er trägt damit dazu bei, dass die Verfassungsvorgabe der steuerlichen Gleichbehandlung von MieterInnen und EigentümerInnen weiter verletzt wird und der Steuerwettbewerb unter den Kantonen ein weiteres Mal angeheizt wird.

Die Abschaffung des Eigenmietwerts zusammen mit der Streichung der Abzüge sei ein Nullsummenspiel und würde keine Steuerausfälle produzieren, sagen Befürworter. Ist es also ein rein symbolischer Akt?
Der Eigenmietwert und die zu seiner Kompensation geschaffenen Abzüge werden von vielen Leuten nicht verstanden. Das Konstrukt der Ständeratskommission ist etwas gesucht. Ein reiner Systemwechsel mit vollständiger Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung und gleichzeitiger vollständiger Abschaffung aller Abzüge in diesem Zusammenhang wäre einfacher und verständlicher. 

Schon seit Jahren wird versucht, der Eigenmietwert abzuschaffen. Nun sprechen WAK-S und der Hauseigentümerverband von einem «Durchbruch» und «historischen Meilenstein». Wieso sollte ausgerechnet jetzt die Abschaffung mehrheitsfähig sein?
Die Abschaffung ist dann mehrheitsfähig, wenn tatsächlich nicht nur der Eigenmietwert, sondern auch die verschiedenen Steuerabzüge für Eigentümer abgeschafft werden. Einen solchen reinen Systemwechsel hat der Mieterinnen- und Mieterverband nie bekämpft. Wogegen er sich wehrt, ist die «5er-und-Weggli»-Mentalität des Hauseigentümerverbands: Eigenmietwertbesteuerung abschaffen – aber dennoch einzelne Abzüge beibehalten.

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