Neues Buch erhebt Nazi-Vorwürfe gegen Altkanzler Helmut Schmidt
Wie lebte er unter dem Hakenkreuz?

Die Vergangenheit des ehemaligen Bundeskanzlers ist brauner, als er es wahrhaben will. Dies legt ein neues Buch nahe.
Publiziert: 01.12.2014 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 04:08 Uhr
SPD-Troika: Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner (v. l.).
Foto: Keystone
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Von René Lüchinger

Er war der fünfte Kanzler der Bundesrepublik. Die «Schmidt Schnauze» aus Hamburg. Der Weltökonom. Seit drei Jahrzehnten Herausgeber der liberalen «Zeit». Der beliebteste Politiker der jüngeren deutschen Geschichte, wie ihm eine repräsentative Umfrage einst beschied.

Und jetzt das! Ein neues Buch untersucht das frühe Leben des 1918, nur Wochen nach dem Zerfall des Deutschen Kaiserreichs geborenen Helmut Schmidt bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs 1945. In «Helmut Schmidt und der Scheisskrieg» attestiert die Autorin Sabine Pamperrien dem 95-jährigen Altkanzler und seiner Entourage «eine immer weiter um sich greifende Geschichtsklitterung».

«Kriegsscheisse»

Gerade auch deshalb, weil der gewöhnlich intellek­tuell präzise Hanseate Zeit seines Lebens die Jahre unter dem Hakenkreuz mit dem Begriff «Kriegsscheisse» abzukanzeln pflegt. Nun hat die Autorin mit Einwilligung des Altkanzlers erstmals dessen Wehrmachtsakten aus dem Militärarchiv in Freiburg im Breisgau ausgewertet und kommt zum Schluss: Helmut Schmidt sei zeitweise «von Nazi-Ideologie kontaminiert» gewesen. Am 1. Februar 1942 attestiert der militärische Vorgesetzte dem damals 23-jährigen Luftwaffenoffizier Schmidt einen «geraden Charakter». Aber eben auch: «Steht auf dem Boden der national­sozialistischen Weltanschauung und versteht es, dieses Gedankengut weiterzugeben.» Am 30. September 1943 heisst es: «einwandfreie nationalsozialistische Haltung.» Und am 18. September 1944: «Nationalso­zialistische Haltung tadelfrei.»

Vor seinen Kollegen in der Hitler-Jugend

Für die nach dem Krieg geborene Pamperrien sind das Indizien einer nicht kongruenten Biografie jenes Mannes, der zu verbreiten pflegt, er sei nicht einmal am Anfang des Dritten Reiches dem Zeitgeist erlegen. Ihre Recherchen zeigen: Helmut Schmidt gehört zu jenen wenigen Jungen seiner Klasse, die 1933 in die Hitler-Jugend (HJ) eintreten. Im Krieg steht der Luftwaffenmann vor Leningrad und Moskau, und  einiges deutet darauf hin, dass auch Helmut Schmidt, wie viele seiner Generation, sich erst im Laufe der Zeit von einer gewissen Faszination für die braune Bewegung hatte lösen können. 1979 schreibt er einem Parteifreund: Obwohl seine Eltern «klar gegen Hitler und die NSDAP eingestellt» gewesen seien, sei er in den ersten Jahren der Hitler-Diktatur «unter den Einfluss der braunen Machthaber» geraten.

In seinen Notizen aus der Kriegsgefangenschaft schreibt Schmidt nach der Reichskristallnacht: «Scham über die Judenverfolgung», und «nunmehr klare Kontrastellung zum N.S.» – um dann anzufügen: «Hitler persönlich» sei von dieser Kontra-Stellung «noch ausgenommen». Klar scheint: Hier ringt einer in den Zwanzigern stehender junger Mann mit seinem Verhältnis zum herrschenden NS-Staat, und dies wird auch nach dem Krieg immer wieder Thema. Erna Stahl etwa, die ehemalige Deutschlehrerin, während des Kriegs Mitglied der Widerstandsbewegung «Weisse Rose», sagt Schmidt nach 1945 auf den Kopf zu, «auf der Gegenseite» gestanden zu haben.

Zuschauer an Prozess gegen Hitler-Attentäter

Noch Jahre später wirft ihm der ewige politische Gegner, CSU-Chef Franz Josef Strauss, Nähe zum NS-Regime vor, weil er sich von einem Vorgesetzten als Zuschauer zu einem Prozess gegen die Hitler-Attentäter hatte abkommandieren lassen.

Muss nun die moralische Instanz Helmut Schmidt relativiert werden – ähnlich wie einst Günter Grass, der seine Mitgliedschaft zur Waffen-SS 2007 bekannt gemacht und damit einen Shitstorm entfacht hatte? Das Buch lasse sich «nicht leichthin abtun», schreibt der «Spiegel», weil es anhand neuer Dokumente in der Vita des Altkanzlers «eine beträchtliche Anzahl von Widersprüchen» offenlege.

Was tut der gewöhnlich streitbare Helmut Schmidt? Er hat sich seine Wehrmachtsakten kommen lassen und publiziert 2015 ein neues Buch. Titel: «Was ich noch sagen wollte.» 

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