Nichtregierungsorganisationen schlagen Alarm
Frauenhäuser sind an ihrer Belastungsgrenze

Viele Schutzhäuser in der Schweiz sind seit Jahresbeginn überbelegt – und das bei zu knappen Mitteln. Bund und Kantone tun zu wenig, um Frauen effektiv vor Gewalt zu schützen.
Publiziert: 25.04.2023 um 09:10 Uhr
Dominique Schlund

Viele Schweizer Schutz- und Frauenhäuser sind zum Bersten voll – übervoll teilweise. Eine Zunahme an häuslicher Gewalt trifft dabei auf stagnierende Mittel von Bund und Kantonen. Dies, obwohl sich die Schweiz mit der Unterzeichnung der Istanbul Konvention dazu verpflichtet hat, mehr zum Schutz von Frauen gegen häusliche Gewalt zu tun.

Wie Recherchen zeigen, fühlen sich die Betreiber der Frauenhäuser mit ihrem Schicksal allein gelassen. Am meisten darunter leiden oft Frauen, die durch die Hölle gegangen sind.

Schweiz lahmt bei Umsetzung der Istanbul Konvention

Die Istanbul-Konvention ist eine Europarats-Übereinkunft, um mehr gegen Gewalt an Frauen zu unternehmen, diese gar resolut zu bekämpfen. Die Schweiz trat der Konvention 2018 bei.

Die Gewalt gegen Frauen nimmt Jahr für Jahr zu. (Symbolbild)
Foto: Shutterstock 716866177
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Doch die Umsetzung verläuft schleppend. Die Grevio, ein Überwachungsgremium internationaler Experten, macht grosses Verbesserungspotential aus. In einem Bericht vom Oktober 2022 heisst es: Die Schweiz stelle nach wie vor «nicht genügend Mittel» für den Kampf gegen Gewalt an Frauen zur Verfügung. Als Folge davon gäbe es in hierzulande «nicht genügend Krisenzentren für die Opfer von Misshandlungen und sexueller Gewalt, für Kurz-, Mittel- und Langzeitbetreuung».

Schweizweites Problem

In vielen Kantonen sind die Frauenhäuser deshalb überlastet, wie die «Zürichsee Zeitung» bereits letzte Woche für den Kanton Zürich feststellte. Das Problem besteht jedoch auch in vielen anderen Kantonen.

Auf Nachfragen in einem Frauenhaus im Kanton Freiburg heisst es beispielsweise: «Leider können wir Ihre Anfragen nicht im Detail bearbeiten – wir sind einfach zu beschäftigt.» Eine Mitarbeiterin bestätigt aber eine «Auslastung von mehr als 90 Prozent im Jahr 2022», die sich seit Beginn dieses Jahres weiter erhöht habe. Angepeilt hatte man eigentlich eine maximale Auslastung von 75 Prozent, um einerseits Kapazitäten für Notfälle zu haben und andererseits eine adäquate Betreuung der Opfer zu garantieren.

Ähnlich tönt es in Frauenhäusern in Zug, im Aargau und in St. Gallen. Sie alle kämpfen mit zu wenig Mitteln gegen ein immer grösser werdendes Problem. 2022 wurden von der Polizei 19'978 Straftaten im häuslichen Bereich registriert – und die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Die fast 20'000 Taten entsprechen einer Zunahme um 3,3 Prozent im Vergleich zu 2021.

Kantone zu knausrig

Doch wie schaffen es Frauenhäuser, trotz unzureichender Mittel und zu hoher Auslastung zu bestehen? «Wir mieten uns oft in Abbruchliegenschaften ein oder suchen Zwischennutzungen. Dies spart Geld und ermöglicht uns auch, die geheimen Standorte der Unterkünfte regelmässig zu wechseln», sagt Lelia Hunziker von der Fachstelle für Frauenhandel und Migration. Die Organisation betreibt sechs Schutzunterkünfte.

Viele Nichtregierungsorganisationen, die Frauenhäuser betreiben, fühlen sich von den Behörden aber zunehmend im Stich gelassen. «Mit der Istanbul Konvention verpflichtet sich der Staat zum Schutz der Gewaltopfer, doch die Umsetzung wird an NGOs mit Fachwissen delegiert. Wir tragen also das Risiko», so Hunziker.

Der Mangel an Pflegepersonen sei ohnehin schon gross. Die Mittelknappheit mache es für die Schutzhäuser aber noch schwieriger, gut ausgebildetes Personal zu finden. Laut Hunziker nehmen allerdings einige ihre Verantwortung wahr, andere kaum. «Einige Kantone haben im letzten Jahr zudem darauf verzichtet, einen Teuerungsausgleich zu zahlen – das belastet unser Budget zusätzlich», schildert sie die Situation, die sich seit Jahresbeginn weiter zugespitzt hat.


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