Foto: Pius Koller

Öko-Label zieht die Schrauben an
Strengere Vorgaben für «Energiestädte»

Am Label Energiestadt wurde jüngst immer wieder Kritik laut. Jetzt will sich der Verein neu ausrichten. Ziel: Netto-Null bis 2050. Viele Gemeinden müssen wohl nochmals über die Bücher.
Publiziert: 19.09.2024 um 12:08 Uhr
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Aktualisiert: 19.09.2024 um 15:30 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Energiestadt setzt auf neue Netto-Null-Strategie
  • Über 600 Gemeinden sind bei Energiestadt dabei
  • Jüngst wurde immer wieder Kritik am Label laut
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Über 600 Schweizer Städte und Gemeinden tragen das Label Energiestadt.
Foto: Pius Koller
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Céline ZahnoPraktikantin Politik

Wer mit dem Auto in eine Gemeinde einfährt, passiert oftmals nicht nur das Ortsschild, sondern auch eine weisse Plakette mit blauem Dorfumriss. Es ist das Aushängeschild der «Energiestadt». Über 600 Schweizer Gemeinden und Städte schmücken sich damit, 5,2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer wohnen in einem Ort mit der Auszeichnung.

Seit mehr als 30 Jahren setzt sich das Label dafür ein, dass Gemeinden auf eine nachhaltige Klimapolitik setzen. Jüngst gab es aber immer wieder Kritik am Energiestadt-Label. Vergangenes Jahr hat die Vorzeige-Gemeinde St. Moritz GR die Auszeichnung nach über 20 Jahren abgegeben. Es sei zu aufwendig und teuer, die Kosten stünden in keinem Verhältnis dazu, dass man am Dorfrand eine Plakette erhalte, begründete der Gemeindepräsident die Entscheidung gegenüber SRF. Ausserdem habe die Gesetzgebung das Label Energiestadt mittlerweile weit überholt und das Bewusstsein bei den Leuten sei heute da, ob mit oder ohne Label.

Ziel: Netto-Null bis 2050

Jetzt reagiert Energiestadt auf die Kritik: Es sei Zeit für einen Neustart, gibt der Verein am Donnerstag an einer Medienkonferenz bekannt. Denn vieles, was damals als klimapolitisch ambitioniert galt, sei heute Standard. Darum zieht man die Schrauben an und legt ab jetzt den Fokus konsequent auf das Netto-Null-Ziel. 

Viele Gemeinden müssen nun wohl nochmals über die Bücher. Denn im bisherigen Deal der «Energiestadt» können Gemeinden ihren eigenen Massnahmenplan vorlegen. Wenn sie 50 Prozent der Massnahmen erreichen, behalten sie das Label, bei 75 Prozent gibt es die Gold-Version. Ausserdem gibt es alle vier Jahre einen Zustupf vom Bundesamt für Energie: Je nachdem, wie viele Massnahmen die Gemeinden erreichen, entweder 4000 oder 10'000 Franken. 

Flotte aus Elektroautos

«Bis jetzt hat sich jede Gemeinde eigene Ziele gesteckt», sagt Maren Kornmann, Co-Geschäftsführerin des Trägervereins Energiestadt. Neu wird genauer darauf geachtet, ob die Gemeinden mit den Massnahmen bis 2050 das Netto-Null-Ziel erreichen. Das könnte etwa heissen: Wenn eine Gemeinde nur auf einzelnen Gebäuden Solaranlagen plant und damit das Netto-Null-Ziel bis 2050 nicht erreichen kann, erhält sie das Label nicht mehr. Um langfristig dabei zu bleiben, müssten wohl viele eine Schippe drauflegen und die Projekte ausbauen.

Die Gemeinden sind neu auch mit einem konkreten Ziel verpflichtet, vor der eigenen Haustür zu kehren. «Alles, was sie selbst im Griff haben, sollen die Verwaltungen früher erreichen», so Kornmann. Heisst: klimaneutral bis 2040. «Alle Gebäude müssen mit erneuerbarer Wärme und Strom funktionieren, die ganze kommunale Flotte muss aus Elektroautos bestehen.»

Weniger Bürokratie

Der Verein Energiestadt reagiert auch auf die Kritik von Gemeinden, dass die Zertifizierung zu kompliziert sei. Der Massnahmenkatalog für die Beurteilung sei verkürzt worden auf genau die Kriterien, die für das Netto-Null-Ziel relevant seien, so Kornmann. Ausserdem wird der Aufwand für kleine Gemeinden um ein Drittel reduziert.

Ob St. Moritz deswegen zum Label zurückkehrt, könne man noch nicht sagen, sagt Gian Marco Tomaschett vom Gemeindevorstand St. Moritz zu Blick. Momentan sei die das Label aber kein Thema mehr. Mit nachhaltigen Energieprojekten würde man allerdings weiterhin vorwärtsmachen.

Kein Zustupf mehr vom Bund

Trotz Neuauflage: Einige Gemeinden könnten das Kosten-Nutzen-Verhältnis weiterhin kritisch sehen. Das Bundesamt für Energie hat nämlich dieses Jahr angekündigt, dass die Beiträge an die Energiestadt-Gemeinden nur noch bei der Erstzertifizierung erfolgen, und nicht wie bisher alle vier Jahre.

Im Fokus stehe der Aufbau von neuen Massnahmen, Dauersubventionen wolle man verhindern, begründet das Amt den Entscheid gegenüber Blick. Kornmann bedauert das: «Das ist schade für Energiestadt. Die erstmalige Zertifizierung ist für Gemeinden nicht die grösste Herausforderung, sondern lange dranzubleiben.»

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