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Ösi-Kanzler Kurz im exklusiven BLICK-Interview
Konservativ und öko – geht das?

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (33) regiert neu mit den Grünen. Im Interview spricht er über diese überraschende Koalition, seine Rezepte gegen den Klimawandel und sein wichtigstes Thema: illegale Migration.
Publiziert: 26.01.2020 um 22:56 Uhr
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Aktualisiert: 15.04.2021 um 16:53 Uhr
Christian Dorer (Interview) und Alessandro Della Valle (Fotos)

Sebastian Kurz kann wieder lachen, als BLICK ihn bei Sonnenschein am WEF in Davos GR trifft. Er hat das turbulenteste und härteste Jahr seines Lebens hinter sich – seine Regierung implodiert, er abgesetzt, Neuwahlen, Sieg. Seit drei Wochen führt er eine neue Regierung mit den Grünen an. Seiner Popularität hat all das nicht geschadet, offenbar auch in der Schweiz nicht: Als wir für das Foto auf die Strasse gehen, bittet ihn eine entzückte Davoserin um ein Selfie.

BLICK: Herr Bundeskanzler, Sie haben mit den Grünen eine Regierung gebildet. Sind Sie mit dem Nachtzug in die Schweiz gefahren, um das Klima zu schützen?
Sebastian Kurz:
Nein, ich bin geflogen. Es ist falsch zu glauben, dass wir das Rad der Zeit zurückdrehen und auf Autos oder Flugzeuge verzichten können. Nachhaltiger wäre, wenn wir es durch Innovation schaffen und durch alternativen Treibstoff CO2-Emissionen reduzieren.

Sie haben ein verrücktes Jahr hinter: Kanzler, Ibiza-Affäre, Absetzung, Wahlkampf, Wiederwahl …
Ja, ich habe es mitbekommen (lacht).

Wiedererstarkt trat Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am WEF in Davos GR auf.
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Wie haben Sie das überstanden?
Wir hatten eine gut funktionierende Regierung. Im Frühjahr 2019 tauchte das Ibiza-Video auf und die FPÖ liebäugelte mit Korruption. Das machte es notwendig, diese Regierung zu beenden. Als Revanche haben mir dann FPÖ und SPÖ im Parlament das Misstrauen ausgesprochen. Darauf folgte ein harter Wahlkampf. Ich bin sehr dankbar, dass wir mit 37 Prozent der Stimmen einen klaren Sieg erreichen konnten.

Was war das Schwierigste? Die menschlichen Enttäuschungen?
Natürlich waren da menschliche Enttäuschungen dabei. Aber besonders wehgetan hat mir, dass wir viele unserer guten Projekte für Österreich nicht mehr umsetzen konnten, wie zum Beispiel die Steuersenkung für arbeitende Menschen.

Sie sind Chef einer konservativen Partei, wirtschaftsfreundlich, strikt in Migrationsfragen. Wie soll das mit den Grünen zusammenpassen?
Die Verhandlungen waren schwierig. Wir haben uns nur deshalb gefunden, weil wir nicht versucht haben, uns in allen Bereichen runterzuverhandeln und einen Minimalkompromiss zu finden. Vielmehr haben wir Themen definiert, bei denen die Grünen federführend verantwortlich sind, und Themen, bei denen wir den Lead haben. Die Grünen haben ihren Schwerpunkt im Bereich des Klimaschutzes und wir im Bereich des Wirtschaftsstandorts, der Steuersenkung und bei der Sicherheits- und Migrationspolitik. Es ist das Beste aus beiden Welten.

Wieso nicht überall Kompromisse schliessen?
Für uns war wichtig, unsere Wahlversprechen einzuhalten. Nämlich keine Schulden, weniger Steuern und eine konsequente Linie in der Migrationspolitik. Für die Grünen hat der Klimaschutz Priorität. Das Programm sieht genau das vor.

Kritiker monieren, Sie seien ein Wendehals, weil Sie zuerst eine Regierung mit den Rechten bildeten und jetzt mit den Linken.Diese Kritik ist absurd. Ich habe in meinem Leben weder die Freiheitlichen noch die Grünen gewählt, sondern immer die Volkspartei. Doch auch wenn wir extrem stark sind, haben wir keine absolute Mehrheit. Nachdem die Freiheitliche Partei für eine Koalition nicht zur Verfügung stand und ich keine Koalition mit den Sozialdemokraten eingehen wollte, gab es nur eine Option: die Grünen. Das Verhandlungsergebnis ist gut. Daher freue ich mich auf die Umsetzung dieses Programms.

Wo sind Sie selber grüner geworden?
Ich habe meine Meinung nicht geändert. Die Volkspartei stand schon immer für das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft: ein starker Wirtschaftsstandort verbunden mit einem Sozialstaat, der für alle da ist, die ihn brauchen, und einen respektvollen Umgang mit der Umwelt. Wir setzen auf Innovation. Natürlich ist es sinnvoll zu überlegen, ob man sparsamer mit Energie umgehen oder regionale Produkte kaufen könnte. So kann jeder Einzelne seinen Beitrag leisten. Aber wir wollen nicht das Rad der Zeit zurückdrehen.

Wird es wirklich ganz ohne Verbote gehen?
Es ist absurd zu glauben, dass man auf das Auto oder das Handy verzichten kann. Wir werden im Kampf gegen den Klimawandel nur durch Innovation erfolgreich sein. Es wird in Zukunft genauso Autos geben, aber sie werden CO2-ärmer sein, und das ist gut so. In Österreich werden wir bis 2030 ausschliesslich sauberen Strom produzieren, und zwar ohne Atomkraftwerke, und bis 2040 komplett CO2-neutral sein.

Der jüngste Regierungschef der Welt

Sebastian Kurz (33) ist dreifach der Jüngste: der jüngste Altkanzler, der jüngste amtierende österreichische Bundeskanzler und der jüngste Regierungschef der Welt! Seine Politkarriere begann früh: Mit 16 stieg er bei der Jungen ÖVP ein, mit 23 wurde er deren Obmann, mit 24 Staatssekretär für Integration, mit 27 Aussenminister, mit 31 Bundeskanzler. Er ist als einziges Kind eines Ingenieurs und einer Lehrerin aufgewachsen, hat kurze Zeit Jus studiert und wohnt heute mit seiner Partnerin aus Schulzeiten im Wiener Arbeiterbezirk Meidling, wo er auch aufgewachsen ist. Kurz' Regierung mit den Freiheitlichen implodierte im Mai 2019 wegen des Ibiza-Skandalvideos seines Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (50). Seit Anfang 2020 regiert Kurz mit den Grünen.

Sebastian Kurz (33) ist dreifach der Jüngste: der jüngste Altkanzler, der jüngste amtierende österreichische Bundeskanzler und der jüngste Regierungschef der Welt! Seine Politkarriere begann früh: Mit 16 stieg er bei der Jungen ÖVP ein, mit 23 wurde er deren Obmann, mit 24 Staatssekretär für Integration, mit 27 Aussenminister, mit 31 Bundeskanzler. Er ist als einziges Kind eines Ingenieurs und einer Lehrerin aufgewachsen, hat kurze Zeit Jus studiert und wohnt heute mit seiner Partnerin aus Schulzeiten im Wiener Arbeiterbezirk Meidling, wo er auch aufgewachsen ist. Kurz' Regierung mit den Freiheitlichen implodierte im Mai 2019 wegen des Ibiza-Skandalvideos seines Vizekanzlers Heinz-Christian Strache (50). Seit Anfang 2020 regiert Kurz mit den Grünen.

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Donald Trump und Greta Thunberg waren in Davos die Antipoden in der Klimadiskussion. Wer steht Ihnen näher?
Diese Diskussion zeigt auf, welcher Denkfehler gemacht wird: zu glauben, es sei entweder Klimaschutz oder Wirtschaftswachstum. Vielmehr braucht es immer die Verbindung von beidem. Ein respektvoller Umgang mit der Umwelt und gleichzeitig wirtschaftliche Stärke und Wachstum. Ich will nicht, dass wir das Klima schützen und dafür die europäische Industrie und Wirtschaft zerstören. Das wäre der absolut falsche Weg.

Warum?
Es würde bedeuten, dass die Arbeitsplätze in Europa verloren gehen und die Produktion ausserhalb Europas stattfindet, wahrscheinlich sogar unter niedrigeren Umweltstandards. Dann wäre die Massnahme doppelt schädlich. Deshalb bin ich für weltweite CO2-Zölle, dass also Kosten anfallen, wenn Produkte importiert werden, bei deren Produktion CO2 ausgestossen wurde.

Halten Sie den Klimawandel für das grösste Problem der Menschheit?
Politik ist nie etwas Monothematisches. Es gibt viele Aufgaben, an denen man gleichzeitig arbeiten muss. Mein Ziel ist es, dass Österreich ein wirtschaftlich starkes Land ist, in dem die Menschen Arbeit haben, von der sie auch leben können. Und dass wir ein sicheres Land sind und konsequent gegen illegale Migration vorgehen, damit wir auch unsere österreichische Identität bewahren. Und ja, ich möchte natürlich auch einen respektvollen Umgang mit der Schöpfung, damit wir unsere Lebensgrundlage erhalten.

Dass Konservative und Grüne zusammen eine Landesregierung bilden, ist ein Novum. Kann das zum Modell für andere werden?
Ich kann mir das durchaus vorstellen. Die politische Landschaft ist bunter geworden, und oftmals blockierten sich grosse Koalitionen aus Sozialdemokratie und Christdemokraten gegenseitig so stark, dass nichts mehr ging – das hatten wir in Österreich schmerzhaft erlebt. Neue Koalitionsvarianten haben da durchaus Charme. Insofern glaube ich, dass es dieses Modell in Zukunft auch in einigen anderen europäischen Ländern geben wird, vielleicht sogar in Deutschland.

Damit würden die Grünen die Sozialdemokraten ersetzen?
Die Sozialdemokraten tun sich sehr schwer, auf viele Fragen der Gegenwart die richtigen Antworten zu finden. Die Menschen spüren, dass der beschworene Klassenkampf zwischen Unternehmern und Arbeitnehmern nicht mehr zeitgemäss ist. Viele Menschen in meinem Alter sind einmal Arbeitnehmer und einmal Unternehmer. Ich habe Freunde, die sind angestellt und arbeiten daneben selbständig. Da haben sich die Thesen der Sozialdemokratie überholt.

Der Kampf für den einfachen Arbeiter ist auch heute aktuell.
Ja, aber nicht im gewerkschaftlichen Sinn. Das Ziel muss sein, dass die Menschen Arbeit haben, gut verdienen und davon leben können. Dass die Steuerlast sinkt, damit der Staat nicht zu viel wegfrisst und jeder die Freiheit hat, seine Talente einzubringen. Gleichzeitig braucht es die Sicherheit, dass der Sozialstaat da ist, wenn er gebraucht wird.

Letzte Woche hat Heinz-Christian Strache, der mit seinem Ibiza-Video den Regierungscrash verursacht hat, sein Comeback angekündigt. Wird da noch schmutzige Wäsche gewaschen?
Nein, ich habe immer gut mit ihm zusammengearbeitet, auch wenn unsere Koalition ein vorzeitiges Ende gefunden hat. Ich werde ihm gegenüber nicht nachtreten.

Sie wurden europaweit mit Ihrem Kampf gegen Migration bekannt. Es scheint, als würde inzwischen anderes die Menschen mehr beschäftigen.
Das Thema ist noch lange nicht gelöst. Wir haben nach wie vor eine zu hohe Zahl an illegalen Migranten, die nach Europa kommen. Wir haben vor allem noch immer zu viele Schlepper, die gutes Geld verdienen, und noch immer Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Ich werde weiter für den Aussengrenzschutz und für die Rückstellungen nach der Rettung im Mittelmeer kämpfen.

Was ist die wichtigste Massnahme?
Dass Menschen nach der Rettung im Mittelmeer nicht nach Mitteleuropa gebracht, sondern in sichere Transit- oder Herkunftsländer zurückgeführt werden. Damit wird die gefährliche Reise nach Europa unattraktiv, und wir zerstören das Geschäftsmodell der Schlepper. Diesen Systemwechsel müssen wir schaffen.

Sie wurden heftigst angegriffen, weil Sie die private Seenotrettung kritisiert hatten. Aber man kann die Flüchtlinge ja nicht ertrinken lassen.
Natürlich nicht, und ich lasse mir das auch nicht unterstellen. Aber ich bleibe bei meiner Haltung: Wenn Seenotretter mit Schleppern zusammenarbeiten, dann darf nicht weggeschaut werden. Denn Schlepper betreiben ein grausames Geschäft auf dem Rücken der Ärmsten. Es ist erwiesen, dass wir das Ertrinken nur dann beenden können, wenn die Menschen nach der Rettung in die Herkunfts- oder Transitländer zurückgestellt werden. Wenn sie hingegen nach Europa gebracht werden, dann machen sich immer mehr auf den Weg. Die Schlepper verdienen immer mehr, und immer mehr Menschen ertrinken. Schlepper müssen genauso bekämpft werden wie die internationalen Drogenkartelle.

Wir haben uns vor einem Jahr hier in Davos über das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU unterhalten – und sind seither keinen Schritt weitergekommen. Wird sich das mit Ursula von der Leyen etwas ändern?
Ich hoffe, dass die neue Kommission auch eine neue Dynamik bringt in der Partnerschaft mit der Schweiz. Uns als Nachbar ist wichtig, dass es eine enge Kooperation mit der Schweiz gibt. Und wo wir einen Beitrag leisten können, wollen wir das tun.

Kann das Abkommen beim Lohnschutz und bei der Sozialhilfe nachgebessert werden?
Die Schweiz weiss genau, dass sie jetzt am Zug ist. Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Mag sein, dass es beim einen oder anderen Punkt noch Raum für Klarstellungen gibt. Ich hoffe, dass man sich einigt.

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