Offiziere schlagen Alarm
«Die Armee hat gravierende Defizite»

In der Schweizerischen Offiziersgesellschaft tobt ein Machtkampf um die Zukunft von Präsident Dominik Knill. Ein Gespräch über den Zustand der Truppe, Nato-Pläne – und Viola Amherd.
Publiziert: 03.03.2024 um 09:12 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2024 um 14:43 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Blick: Herr Knill, sind Sie zu nett?
Dominik Knill: Nett, aber bestimmt.

Ihr Vorgänger kritisiert Ihren Umgang mit VBS-Chefin Viola Amherd sowie Ihren Führungsstil und will Sie nun als Präsident stürzen.
Mit Fundamentalopposition erreichen Sie im Verteidigungsdepartement wenig. Ich setze auf einen kritischen, aber konstruktiven Dialog. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er den Verfassungsauftrag der Landesverteidigung ernst nimmt. Das kostet viel Geld.

Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Vorgänger seinem Nachfolger das Amt streitig macht?
Ich habe vor sechs Monaten angekündigt, nochmals für ein Jahr zu kandidieren. Dass Stefan Holenstein nun kurzfristig antritt, ohne mich vorgängig zu informieren, entspricht nicht meinem Verständnis von Kameradschaft. Mein Nachfolger ab 2025 sollte aus der lateinischen Schweiz kommen.

Dominik Knill kämpft um seine Wiederwahl als Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft.
Foto: Siggi Bucher
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Was sagen Sie zum Vorwurf, die Geschäftsstelle und Sie kosteten zu viel?
Ich bin Präsident im Ehrenamt, erhalte eine moderate Pauschale und Spesen. Ohne eine Geschäftsstelle können Sie keinen Verband leiten.

Der Armee fehlen Milliarden Franken. Ist da Ihr Kuschelkurs mit Frau Amherd angebracht?
Die Bundespräsidentin sagt klar, dass die Armee in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart wurde. Die Armee folgt dem Primat der Politik, diese muss nun Verantwortung übernehmen. Die Schweizerische Offiziersgesellschaft unterstützt die Politik.

Müsste der Chef der Armee, Thomas Süssli, nicht zurücktreten, wenn die Leistungsfähigkeit der Armee nicht mehr gegeben ist?
Engpässe in der Ausrüstung gab es schon während des Kalten Krieges. Es spricht für den Armeechef, dass er Mängel benennt und nach Abhilfe sucht. Aufgeben scheint keine Option zu sein. Frau Amherd hat Herrn Süssli ihr Vertrauen ausgesprochen.

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Wie dramatisch sind die Fähigkeitslücken der Schweizer Armee?
Die Armee hat gravierende Defizite. Durch den Ukraine-Krieg sind Rüstungsgüter begehrt, die Lieferzeiten lang und teuer geworden. Veraltete Systeme verschlingen Unsummen für den Unterhalt, sind ineffizient und stellen zunehmend eine Gefahr für Bediener dar. Halb gerüstet ist eben keine billige Sicherheit, sondern verschleudertes Geld. Jetzt, wo in Europa Krieg herrscht, dürfen wir weder Kosten noch Mühen scheuen, die Fähigkeitslücken möglichst rasch zu schliessen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron brachte diese Woche westliche Bodentruppen für die Ukraine ins Spiel.
Das wäre höchst problematisch – so stünde die Nato direkt im Krieg mit Russland. Das ist nicht in unserem Interesse. Ich bin froh, dass der deutsche Kanzler Scholz dem klar widersprochen hat.

Dürften französische Truppen die Schweiz durchqueren?
Das würde dem Neutralitätsrecht widersprechen. Als Franzose würde ich den Weg über Deutschland oder Italien wählen.

Kopf der Offiziere

Oberst Dominik Knill (65) ist Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, die knapp 20'000 Milizoffiziere vertritt. Knill hat mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Rüstungsindustrie, zwölf davon im Ausland, war Uno-Militärbeobachter in Georgien und Vermittler im Aceh-Konflikt im Norden Sumatras. Knill ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Am 9. März stellt er sich zur Wiederwahl, sein Gegenkandidat ist Stefan Holenstein (62).

Oberst Dominik Knill (65) ist Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft, die knapp 20'000 Milizoffiziere vertritt. Knill hat mehr als 40 Jahre Erfahrung in der Rüstungsindustrie, zwölf davon im Ausland, war Uno-Militärbeobachter in Georgien und Vermittler im Aceh-Konflikt im Norden Sumatras. Knill ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern. Am 9. März stellt er sich zur Wiederwahl, sein Gegenkandidat ist Stefan Holenstein (62).

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In der Armeebotschaft 2024 heisst es, ein Angriff auf die Schweiz mit ballistischen Lenkwaffen, Marschflugkörpern oder bewaffneten Drohnen sei «eher wahrscheinlich». Müssen wir uns auf Krieg einstellen?
Ich halte einen grossen konventionellen Krieg gegen die Schweiz für unwahrscheinlich. Ich spekuliere aber nicht über die Eintretenswahrscheinlichkeit anderer Formen der Kriegsführung. Die Möglichkeit, dass die Schweiz dabei in Mitleidenschaft gezogen wird, ist wahrscheinlicher geworden.

SP und SVP wollen der Schweizer Armee verbieten, an Nato-Übungen teilzunehmen, die den Verteidigungsfall betreffen.
Die Bedingungen für eine Zusammenarbeit stellt die Nato und nicht die Schweiz. Unser aktuelles Milizsystem wäre überfordert.

Bilden SP und SVP bei der Neutralitäts-Initiative eine unheilige Allianz?
Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit der Schweiz sind mit der Neutralitäts-Initiative gefährdet, die faktisch eine Sanktionsverbots-Initiative ist. Die Neutralität ist Mittel zum Zweck. Die Neutralitätspolitik muss die Handlungsfreiheit der Regierung gewährleisten.

Sind Sie ein Nato-Turbo, Herr Knill?
Ich kann mit diesem Begriff nicht viel anfangen. Inhaltlich ist für mich klar: Wir sind Teil des europäischen Sicherheitsraumes und auf dessen Stabilität angewiesen. Deshalb ist es wichtig, die Zusammenarbeit mit gleichgesinnten Nachbarn und der wichtigsten westlichen Sicherheitsorganisation zu festigen und zu diversifizieren. Einen Nato-Beitritt der Schweiz lehne ich ab. Ich befürworte die bewaffnete Neutralität mit einer voll ausgerüsteten und ausreichend alimentierten Milizarmee.

Der Armeechef will die Truppenstärke von 100'000 auf 120'000 erhöhen. Bräuchte es nicht zuerst besseres Material?
Im Licht der Erfahrungen durch den Ukraine-Krieg halte ich den Rahmen von 100'000 Soldaten für zu knapp. Offen ist, wie eine Erhöhung zu realisieren wäre. Wir könnten die Dienst- und Ausbildungspflicht verlängern und entlassene Armeeangehörige wieder integrieren. Wir könnten die Wiedereinführung einer zweiten Heeresklasse prüfen und müssten die hohen Zivildienstabgänge reduzieren. Ohne moderne Ausrüstung und gesicherte Finanzen jedoch bleibt eine Bestandserhöhung unglaubwürdig.

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