Parlamentarier erzählen zum Abschied
Lacher und Tränen im Bundeshaus

Für gut drei Dutzend Bundesparlamentarier ist heute der letzte Sessionstag. Blick.ch erzählten einige von ihnen besondere persönliche Episoden – lustige und bewegende – aus ihrer Bundeshauszeit.
Publiziert: 25.09.2015 um 11:59 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:23 Uhr
Das werden die abtretenden Nationalräte nie vergessen
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:Adé Bundesbern: Das werden die abtretenden Nationalräte nie vergessen
Von Ruedi Studer

Wer jahrelang im Bundeshaus politisiert, der hat was zu erzählen. Blick.ch wollte von abtretenden Bundesparlamentariern für einmal nichts von ihren wichtigsten Erfolgen wissen, sondern welches ihre speziellen persönlichen Episoden – lustige, verwundernde, bewegende – Geschichten in ihrer Amtszeit waren.

Diener bekam eins auf die Äpfelschnitz

GLP-Ständerätin Verena Diener (66, ZH) erinnert sich dabei an eine Geschichte ganz zu Beginn ihrer Amtszeit 1987: «Mein erster Tag als Nationalrätin vor bald 30 Jahren: Nervös, unvertraut mit dem Ratsgeschehen, zerteile ich einen Apfel in Schnitze und verteile diese; erzählt sie. Nach dem ersten Bissen erschien der Weibel neben ihrem Pult und zitierte sie zum Präsidenten.

«Dieser rügt mich: Essen im Saal nicht erlaubt!» Zutiefst erschrocken fragte sie nach weiteren Regeln, die sie allenfalls wissen müsste. «Antwort des Ratspräsidenten: ‘Anständig angezogen sein’ – Pause  und kritischer Blick – ‘aber das sind sie. Bitte wieder an den Platz!’ Ja, das waren noch Zeiten…»

Miesch stibitzte Giezis Panetone

Auch Streiche werden im Bundeshaus gespielt: Die SVP-Nationalräte Christian Miesch (67, BL) und Parteikollege Ulrich Giezendanner (61, AG) mögen sich und necken sich. Einmal stibitzte Miesch (der abtritt) von Giezendanner (der nochmals antritt) einen Panetone, welche die Tessiner Regierung den Parlamentariern jedes Jahr verteilen lässt. «Für meine Frau, sie liebt das Gebäck», erzählt Miesch.

Die leere Schachtel füllte er mit faulen Äpfeln. Giezendanner, der Panetone nicht mag, merkte nichts und schickte die Schachtel seiner Schwiegermutter. Von dieser gabs ein Donnerwetter! Giezi revanchierte sich auf seine Weise: Wenig später erhielt Miesch zuhause dicke Post. Eine Riesenschachtel voller Altpapier aus dem Parlament. «Ich durfte das Ganze dann entsorgen», so Miesch.

Und er hat noch eine andere Geschichte auf Lager. Giezendanner liess in gleich mehrere Motionen unterschreiben. Miesch vertraute ihm und verzichtete darauf, die Forderungen durchzulesen. «Mit einer Motion wurde meine sofortige Absetzung als Nationalrat verlangt», erzählt Miesch lachend. «27 Leute haben unterschrieben – darunter ich selbst.» Der Vorstoss wurde aber nie eingereicht.

Gleiche Hebamme bei Lustenbergers

Eine Schmunzelgeschichte aus seiner Zeit als Nationalratspräsident hat CVP-Nationalrat Ruedi Lustenberger (65, LU) auf Lager. Er und seine Frau Marie-Theres waren in die Schweizer Botschaft nach Berlin eingeladen.

Das Besucherformular füllte er ganz wahrheitsgetreu aus: Geburtstag: 2. April 1950. Wohnort: Romoos. Geburtsort: Romoos. Heimatort: Romoos. Für seine Frau – ebenso wahrheitsgetreu – dasselbe: Geburtstag: 2. April 1950. Wohnort: Romoos. Geburtsort: Romoos. Heimatort: Romoos.

Klar dachte die Botschaft bei dieser Übereinstimmung an einen Irrtum und bat Lustenberger um eine Korrektur. «Alles richtig!», meldete er nach Berlin – und fügte an: «Hätten Sie mich auch noch nach der Hebamme gefragt: Es ist für beide auch noch die Gleiche gewesen!»

Bewegende Momente

Doch neben lustigen gibt es auch traurige Geschichten. Einen emotionalen Moment erlebte FDP-Ständerätin Christine Egerszegi (67, AG) Im Jahr 2004. Damals noch als Nationalrätin war sie Ende November gerade zur zweiten Vizepräsidentin gewählt worden.

Wenige Wochen später bestellte Nationalratspräsident Jean-Philippe Maitre (CVP) sie und den ersten Vize Claude Janiak (SP) nach Genf. Er habe einen Hirntumor, eröffnete Maitre den beiden – und übergab ihnen per sofort die Amtsgeschäfte. «Das war ein sehr bewegender Moment für mich, denn nur gerade zehn Monate zuvor war mein Mann an einem Hirntumor gestorben.» Maitre selbst verstarb etwas mehr als ein Jahr später.

Auch CVP-Ständerat Urs Schwaller (62, FR) wird bei seiner Geschichte nachdenklich. «Wir sind mehrere Ständeräte mit Jahrgang 1952. Im ersten Jahr haben wir verschiedentlich davon gesprochen, am Ende der Legislatur ein Foto mit allen 1952ern zu machen», erzählt er. «In der Zwischenzeit sind leider Pankraz Freitag und This Jenny nicht mehr unter uns. Das geplante Gesamtfoto wird es nicht mehr geben. Das bewegt und kommt mir oft in den Sinn, wenn ich im Ständeratssaal in die Runde schaue.»

Schoggiherz mit harten Nüssen für SP-Fehr

Auch im Zusammenhang mit politischen Geschäften gibt es spezielle Episoden. «Nachdem die SP die Abstimmung 2008 zum Gesundheitsartikel – zur stärkeren Privatisierung – gewonnen hatte, verhielten sich die bürgerliche SGK-Mitglieder so, als ob nichts gewesen wäre und als ob es diesen Volksentscheid nicht gebe», berichtet SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr (52, ZH).

Sie habe darauf ziemlich geschumpfen und Klartext gesprochen. «Am folgenden Tag hat mit Toni Bortoluzzi im Namen seiner Kollegen ein grosses Schoggiherz mit Nüssen geschenkt. Damit ich nicht mehr so mit ihnen schimpfe und weil sie sich entschuldigen möchten. Die Nüsse seien drin, weil sie halt etwas hart zu knacken seien.»

Freysingers Kürzest-Votum

Und auch SVP-Nationalrat Oskar Freysinger (55, VS) bleibt ein Politgeschäft in besonderer Erinnerung. «Vor zwei Jahren sass ich einen ganzen Abend mit dem Grünen Antonio Hodgers beim Bier und er erzählte mir, dass die Abwesenheit seines von der argentinischen Junta ermordeten Vaters in seiner Jugend ein Trauma gewesen sei», berichtet Freysinger.

Am nächsten Tag gab Freysinger im Parlament ein Votum gegen das Adoptionsrecht durch gleichgeschlechtliche Paare ab und sagte, ein Kind brauche eine Mutter und einen Vater. Die Abwesenheit eines Elternteils sei problematisch für das Kind. Hodgers ging ans Mikrophon und stellte Freysinger die Frage, ob er glaube, dass er wegen der Abwesenheit seines Vaters ein Problem habe.

«Ich antwortete einfach nur mit 'Ja'», so Freysinger. «Das war das kürzestes Votum mit den grössten Auswirkungen der Parlamentsgeschichte, weil am folgenden Tag alle Medien schrieben, ich hätte mich über meinen Kollegen lustig gemacht und der beleidigte Hodgers eifrig nachheizte.» Freysinger Fazit: «Die Wahrheit behält man besser für sich.»

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