In Frankreich sind viele betagte Personen an Grippe erkrankt und mehrere davon gestorben (Symbolbild)
Foto: KEYSTONE/GAETAN BALLY

Pflichtteil für Nachkommen wird gesenkt
Experte warnt vor Erbschleichern

Das Schweizer Erbrecht ist über 100 Jahre alt – jetzt wird es modernisiert. Experten fürchten, dass die Reform zu viel mehr Streit in Familien führt. Und zu mehr Erbschleichern.
Publiziert: 11.08.2019 um 23:24 Uhr
Der Bundesrat will das Erbrecht modernisieren.
Foto: imago/Gerhard Leber
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Sermîn FakiPolitikchefin

«Wie schön, zu pflanzen, was ein lieber Sohn einst erntet», schrieb Friedrich Schiller in seinem Drama «Don Carlos». Dem guten Gefühl beim Vererben möchte der Bundesrat künftig mehr Geltung verschaffen. Heute sind Erblasser in ihrer Freiheit, wem sie wie viel vererben wollen, stark eingeschränkt.

Denn über einen beträchtlichen Teil des Erbes bestimmt das Gesetz: Dieses legt etwa fest, dass Nachkommen drei Viertel des Vermögens erben, wenn der Verstorbene keinen Ehepartner hinterlässt. Das heisst: Der Erblasser kann nur über ein Viertel seines Erbes frei entscheiden.

Pflichtteile als «Notbremse»

Zu wenig, findet der Bundesrat und schlägt darum vor, diese sogenannten Pflichtteile zu senken: Nachkommen sollen anstatt drei Viertel nur noch die Hälfte des Nachlasses erben. Sind Ehegatten vorhanden, reduziert sich der Anspruch der Nachkommen von drei Achteln auf ein Viertel des Nachlasses.

Erbrechtsexperten warnen jedoch vor der Reform: Die Reduktion der Pflichtteile werde Erbschleicher auf den Plan rufen. Gerade, weil wir immer älter würden und Krankheiten wie Demenz zunähmen. Dadurch steige das Risiko, dass sich etwa Betreuungspersonen das Vertrauen ihrer Schützlinge erschleichen oder Abhängigkeiten ausnützen, fürchtet Erbrechtsexperte Andreas Flückiger (60). Die Pflichtteile seien dann oft «die einzige Notbremse gegenüber Erbschleichern».

Mehr Ungleichbehandlung möglich

Der reduzierte Pflichtteil würde auch unter den berechtigten Erben wohl zu mehr Streit führen, sagt der Anwalt und Notar und illustriert das mit einem Beispiel: Bei unverheirateten Erblassern mit drei Kindern sei schon heute eine Ungleichbehandlung möglich, diese könnte aber noch grösser werden. Ein Nachlass im Wert von 100'000 Franken etwa könne heute zu 50 Prozent an ein Kind gehen, die beiden Geschwister erhielten je 25'000 Franken. Künftig könnte das «Lieblingskind» gar etwa 66'000 Franken bekommen, die beiden anderen müssten sich mit je rund 16'600 Franken begnügen.

Das sei auch richtig so, findet etwa der Ausserrhoder Ständerat Andrea Caroni (39, FDP). «Dass die Pflichtteile etwas reduziert werden, ist in Ordnung», so der Freisinnige. «Der Erblasser sollte mehr Verfügungsfreiheit über sein Vermögen erhalten, denn er kennt die konkrete Familiensituation am besten.» Auch Caroni macht ein Beispiel: Sei es denn nicht gerechter, wenn das Kind, das die Mutter hingebungsvoll bis zum letzten Tag gepflegt hat, mehr vom Erbe erhalte, fragt er.

Flückiger gibt zu, dass dies in Einzelfällen solche Konstellationen durchaus vorkommen könnten. Dafür stünden aber bessere Lösungen zur Verfügung, eine lebzeitige Betreuungsentschädigung etwa.

Gutes Testament ist wichtig

Ab Montag beugt sich die ständerätliche Rechtskommission über die Vorschläge – und wird dem Bundesrat in den meisten Fällen folgen. Caroni glaubt nicht, dass es mehr Streit geben werde: «Schon heute sind Ungleichbehandlungen zulässig, nur die Beträge ändern sich allenfalls.» Auch sein Freiburger Kommissionskollege Beat Vonlanthen (62, CVP) sagt: «Ums Erben gibt es immer Streit – schon heute. Dagegen hilft nur, die Leute zu sensibilisieren: Man sollte rechtzeitig ein gutes Testament machen.»

Zoff ums Konkubinat

Die Erbrechtsreform dürfte schlank durchs Parlament gehen. Nur ein Punkt wird für Zoff sorgen: die Frage, wie Konkubinatspartner beim Erbe berücksichtigt werden sollen. Heute bekommen sie von Rechts wegen nichts. Daran wird nicht gerüttelt: Durch die reduzierten Pflichtteile für rechtmässige Erben könnten sie aber mehr aus dem frei verfügbaren Teil des Erbes erhalten – wenn dies im Testament so festgelegt ist.

Die Reform, die noch aus der Feder der ehemaligen SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga (59) stammt, will zudem, dass überlebende Lebenspartner zumindest vor Armut geschützt sind: Wenn das Konkubinat mindestens fünf Jahre gedauert hat und die überlebende Partnerin – in der Regel wird es Frauen betreffen – sich um die Kinder oder pflegebedürftige Familienmitglieder gekümmert hat statt arbeiten zu gehen, soll sie Anrecht auf Unterhalt aus dem Erbe haben. Jedenfalls, wenn sie sonst armengenössig würde. Ein Viertel des Erbes soll dafür reserviert werden müssen.

Was ist ein Härtefall?

Sich hier Streit mit den gesetzlichen Erben, etwa Kindern aus erster Ehe, vorzustellen, ist nicht schwer. «Die Erben könnten die faktische Lebensgemeinschaft bestreiten oder, dass ein Härtefall vorliegt», sagt etwa der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler (59), der dem Vorschlag kritisch gegenübersteht.

Auch bei der FDP kommt dieser nicht gut an: «Dass ein Konkubinatspartner automatisch Unterhalt aus dem Erbe erhalten soll, lehne ich ab», sagt FDP-Ständerat Andrea Caroni (39). Denn Konkubinatspaare könnten heiraten oder entsprechende Regeln im Testament festlegen. «Wer beides nicht macht, hat eine solche Verpflichtung eben nicht gewollt.» (sf)

Die Erbrechtsreform dürfte schlank durchs Parlament gehen. Nur ein Punkt wird für Zoff sorgen: die Frage, wie Konkubinatspartner beim Erbe berücksichtigt werden sollen. Heute bekommen sie von Rechts wegen nichts. Daran wird nicht gerüttelt: Durch die reduzierten Pflichtteile für rechtmässige Erben könnten sie aber mehr aus dem frei verfügbaren Teil des Erbes erhalten – wenn dies im Testament so festgelegt ist.

Die Reform, die noch aus der Feder der ehemaligen SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga (59) stammt, will zudem, dass überlebende Lebenspartner zumindest vor Armut geschützt sind: Wenn das Konkubinat mindestens fünf Jahre gedauert hat und die überlebende Partnerin – in der Regel wird es Frauen betreffen – sich um die Kinder oder pflegebedürftige Familienmitglieder gekümmert hat statt arbeiten zu gehen, soll sie Anrecht auf Unterhalt aus dem Erbe haben. Jedenfalls, wenn sie sonst armengenössig würde. Ein Viertel des Erbes soll dafür reserviert werden müssen.

Was ist ein Härtefall?

Sich hier Streit mit den gesetzlichen Erben, etwa Kindern aus erster Ehe, vorzustellen, ist nicht schwer. «Die Erben könnten die faktische Lebensgemeinschaft bestreiten oder, dass ein Härtefall vorliegt», sagt etwa der Bündner CVP-Ständerat Stefan Engler (59), der dem Vorschlag kritisch gegenübersteht.

Auch bei der FDP kommt dieser nicht gut an: «Dass ein Konkubinatspartner automatisch Unterhalt aus dem Erbe erhalten soll, lehne ich ab», sagt FDP-Ständerat Andrea Caroni (39). Denn Konkubinatspaare könnten heiraten oder entsprechende Regeln im Testament festlegen. «Wer beides nicht macht, hat eine solche Verpflichtung eben nicht gewollt.» (sf)

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