Bei einer Annahme der Selbstbestimmungs-Initiative wäre die Bundesverfassung über dem  Völkerrecht gestanden. Das Volk hat die Initiative jedoch wuchtig verworfen. (Archivbild)
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Politiker toben wegen Ausschaffungs-Stopp des Bundesgerichts
«Unglaublich» – «Nicht im Interesse des Gesetzgebers»

Das Bundesgericht macht einen Landesverweis gegen einen kriminellen Spanier rückgängig. FDP- und SVP-Politiker wollen jetzt das Gesetz verschärfen.
Publiziert: 20.12.2018 um 16:48 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2020 um 21:27 Uhr
Nico Menzato
Nico MenzatoBundeshaus-Redaktor

Ein Spanier (33) wird trotz Raub und vier anderer Delikte nicht ausgeschafft. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Die höchsten Richter wendeten erstmals seit dem Inkrafttreten der Ausschaffungs-Initiative im Oktober 2016 die Härtefallklausel an – und fällten damit ein Präzedenzurteil.

Das Waadtländer Kantonsgericht hatte den Mann 2017 wegen Raubes sowie wegen Verstössen gegen das Waffen- und Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Plus Landesverweis. Den Raub beging er Ende Februar 2017.

«Weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll»

Die Lausanner Richter kehrten jetzt dieses Urteil. Die SVP, Urheberin der 2010 vom Volk angenommenen Ausschaffungs-Initiative, schäumt. «Das ist unglaublich. Ich weiss nicht, ob ich lachen oder weinen soll», sagt Gregor Rutz (46) zu BLICK.

Will jetzt das Gesetz verschärfen: Der Aargauer FDP-Ständerat Philipp Müller.
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Das Bundesgericht stelle Überlegungen an, was für den Spanier «schöner» sei anstatt anzuerkennen, dass es keine zwingenden Gründe gebe, den Mann nicht nach Spanien auszuschaffen. «Spanien ist keine Krisenregion, wir gehen dorthin in die Ferien. Wieso soll der Spanier also nicht ins Heimatland zurückkehren müssen?», so der Zürcher Nationalrat.

Auch FDP-Ständerat Philipp Müller (66), der eine pfefferscharfe Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative angekündigt hat, ist konsterniert. «Dieses Urteil erstaunt mich.»

Integration, Geld, Situation im Heimatland

Das Bundesgericht hat sich beim Urteil an Kriterien orientiert, wie sie im Ausländerrecht für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung in einem schwerwiegenden persönlichen Härtefall gelten: Integration, Respektierung der Rechtsordnung, Familienverhältnisse, die finanziellen Verhältnisse und die Erwerbssituation.

Auch die Anwesenheitsdauer in der Schweiz, der Gesundheitszustand und die Möglichkeit der Wiedereingliederung im Heimatland spielen eine wesentliche Rolle.

Das Bundesgericht argumentiert denn auch, der Spanier sei hier geboren und habe immer in der Schweiz gelebt. Auch alle seine Angehörigen (Grossmutter, Mutter) würden hier leben und er unterhalte eine enge Beziehung zu seinen beiden vier und sieben Jahre alten Kinder. Beim Raub der Mobiltelefone habe er zudem als «Mittäter seines Cousins» gehandelt, selber aber nicht die Initiative ergriffen.

Parlament soll das Gesetz verschärfen

Für Müller sind diese vom Bundesgericht genannten Kriterien ganz klar «nicht im Interesse des Gesetzgebers, der eine restriktive Anwendung der Härtefallklausel verlangte». Die Perspektive im Herkunftsland dürfe in diesem Fall nicht zur Beurteilung herangezogen werden, so der Aargauer.

Auch SVP-Rutz nennt diese Kriterien «viel zu tolerant». Er verlangt via Vorstoss, die Härtefallklausel ganz zu streichen. «Wenn das nicht gelingt, muss das Parlament selbst klare und scharfe Kriterien formulieren. Dies haben im Übrigen auch FDP und CVP versprochen», so der Nationalrat.

Müller kündigt bereits an, in der nächsten Session einen entsprechenden Vorstoss einzureichen. «Jetzt muss das Parlament restriktive Kriterien für eine Anwendung der Härtefallklausel formulieren.»

Ausschaffungszahlen tief – aber wackelig

Nicht nur das Bundesgericht, auch die vorgelagerten Instanzen stellten das private Interesse eines Täters oft über das öffentliche Interesse an einem Landesverweis.

Das Bundesamt für Statistik publizierte im Sommer erste Zahlen zu den Ausschaffungen straffälliger Ausländer für das Jahr 2017. So durfte jeder Dritte kriminelle Ausländer bleiben.

Doch die Statistik hatte Mängel, weshalb sie zunächst korrigiert und dann gänzlich zurückgezogen wurde. Eine verlässliche Statistik soll nun erst 2020 vorliegen.

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