Post geht auf Brautschau für Filialen
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Grosser Strategiewechsel:Post geht auf Brautschau für Filialen

Post-Chef Roberto Cirillo reagiert auf den Paketboom
«Für die Zeit ab 2021 suchen wir Partner»

Sie brachten die ganze Schweiz gegen die Post auf: die Filialschliessungen. Jetzt verspricht der Konzernchef: Ab Ende Jahr ist Schluss damit.
Publiziert: 14.05.2020 um 23:01 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2020 um 07:07 Uhr
Interview: Pascal Tischhauser

Wie immer höflich und gut gelaunt empfängt der Konzernchef Roberto Cirillo (48) BLICK im Berner Posthauptsitz. Der Tessiner sitzt hinter einer Plexiglaswand, wie sie jetzt in zahlreichen Läden, aber auch Postfilialen stehen. Wegen der Corona-Pandemie stellte der gelbe Riese seine neue Vierjahresstrategie 2021 bis 2024 mit dem Namen «Post von morgen» per Videokonferenz vor. Statt den ohnehin noch bis Ende Jahr vorgesehenen Abbau von Filialen auch künftig weiterzuführen, hat Cirillo soeben den Stopp der Netzausdünnung beschlossen. Plötzlich sollen sie Teil des neuen Wachstumskonzepts sein.

BLICK: Wer nicht überzeugen kann, muss verwirren. Jetzt hat die Post vielleicht noch über 900 eigenbetriebene Filialen. Es werden bis Ende Jahr mehr als 100 geschlossen, dann ist Schluss?
Roberto Cirillo: Es geht nicht um eine plötzliche Umkehr, sondern wir haben eine strategische Entscheidung getroffen. Wir sind überzeugt, dass wir mit einem Netz von 800 Filialen eine stabile Grösse haben, die auch attraktiv ist für Partner.

Das heisst also, bis Ende Jahr gehen die Poststellen, deren Schicksal schon besiegelt ist, noch zu.
Diejenigen Filialen, für die wir eine Anschlusslösung mit einer Post-Agentur beschlossen haben, werden noch umgewandelt. Für die Zeit ab 2021 suchen wir Partner, um die verbleibenden 800 Filialen zusammen mit diesen als Dienstleistungszentren eigenständig führen zu können.

Post-Chef Cirillo verspricht Abbaustopp bei Filialen.
Foto: Keystone
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Was könnten das für Partner sein?
Dienstleistungsorientierte Unternehmen, die ein Interesse daran haben, nicht nur digital mit der Kundschaft in Kontakt zu treten, sondern auch eine persönliche Beratung vor Ort zu bieten. Es gibt ein Bedürfnis danach. Das können Versicherungen, digitale Unternehmen im Technologiebereich oder Gesundheitswesen sein. Es geht um Dienstleistungen, die die Menschen nachfragen für ihren Alltag. Wir möchten zusammen mit den Partnern die Poststellen besser auslasten.

Was war der Anlass, die bisherige Abbaustrategie zu überdenken?
Sehen Sie, wir haben geprüft, wie gross das Filialnetz sein muss, damit einerseits die Kosten für uns tragbar sind und das Netz andererseits genug gross ist, um für Partner längerfristig attraktiv zu sein. Dafür scheint uns die Zielgrösse von 800 Filialen passend.

Und wenn jetzt ein Dorf kommt und Ihnen einen Partner präsentiert, kann das die Umwandlung zur Postagentur stoppen?
Wir sind immer offen dafür, im Dialog für alle Beteiligten gute Lösungen zu finden. Aber ich muss klar sagen: Ein Netz, das markant mehr Filialen umfasst als 800, wird nicht tragbar sein. Und es ist auch nicht im Interesse der lokalen Bevölkerung, weiterhin eine leere Filiale zu haben.

Ein Herzstück der neuen Strategie ist die Zusammenlegung des Paketbereichs mit den Briefen. Was steckt dahinter?
Der Qualitätsgedanke und die langfristige Entwicklung. Wir können die von uns erwartete Pünktlichkeit in den nächsten zehn Jahren nur sicherstellen, wenn die Auslastung unserer Mitarbeitenden und unserer Infrastruktur korrekt ist. Der Trend der letzten Jahre – mehr Päckli und weniger Briefe – hat sich wegen Corona noch verstärkt. Weil das so weitergehen wird, führen wir die beiden Bereiche zusammen, sodass die Briefpöstler die Päcklipöstler stärker unterstützen können.

Es gibt die reinen Briefzentren, in denen die Briefpost sortiert wird, und die Zentren, in welchen Päckli dem richtigen Empfänger zugeordnet werden. Jetzt wollen Sie das mischen?
Das tun wir zum Teil heute schon. Gerade in den letzten Wochen haben wir in den Briefzentren Tausende von kleinen Paketen sortiert. Es ist eine grosse technische Herausforderung für die nächsten fünf bis zehn Jahre, ein Briefzentrum nach dem anderen so anzupassen, dass dort auch Pakete verarbeitet werden können. Und wir müssen neue regionale Zentren aufbauen. So eröffnen wir auch Chancen für viele unserer Mitarbeiter.

Wie das?
Die Mitarbeiter in den Briefzentren mussten mitansehen, wie sie laufend weniger Briefe zu verarbeiten hatten. Mit der neuen Strategie geben wir ihnen eine neue Perspektive: Sie können vom Paket-Boom profitieren. Und die Briefträger bringen vermehrt kleine Päckli.

Wie viele Angestellte hat die Post im Moment?
Mehr als 50'000 Mitarbeiter.

Vor wenigen Jahren waren es noch 63'000 Mitarbeitende. Der Trend zeigt Richtung Stellenabbau.
Nein, überhaupt nicht. Wir präsentieren eine Wachstumsstrategie, kein Sparprogramm. Dafür brauchen wir unsere Mitarbeitenden. Zudem steht eine massive Pensionierungswelle an. Unsere Stellen werden anders, interessanter, aber sie gehen nicht verloren.

Sie wollen Postnetz zu einer eigenen Aktiengesellschaft machen. Warum?
Um zu zeigen, dass wir auf das Filialnetz setzen, und damit wir es mit den Partnern weiterentwickeln wollen. Eine Privatisierung oder gar ein Verkauf ist aber gerade nicht vorgesehen. Auch in 10 Jahren oder 20 Jahren nicht. Postnetz bleibt unter dem Dach der Post.

Die Gewerkschaften haben Angst, dass in einer neuen AG der Gesamtarbeitsvertrag bald nicht mehr zählt.
Ich verspreche: Der Inhalt und die Grundlagen des GAVs, den wir gerade eben mit den Sozialpartnern verhandelt haben, gilt auch für die Postnetz AG.

Normalerweise investiert die Post über vier Jahre etwa 1,6 Milliarden Franken. Jetzt noch 1,4 Milliarden zusätzlich. Woher kommt das Geld?
Aus den Reserven der Post. Und wir werden unsere Finanzen noch gezielter einsetzen. Zudem müssen wir die nächsten fünf Jahre nicht mehr 200 Millionen Dividende an den Bund abliefern, sondern nur noch 50 Millionen. Und wir prüfen den Verkauf von nicht mehr notwendigen Immobilien.

Sie verscherbeln das Tafelsilber?
Nein. Wir besitzen aktuell beispielsweise Wohnungen. Diese sind nicht betriebsnotwendig für unser Kerngeschäft. Jetzt wollen wir einen Teil verkaufen und diese Mittel im Kerngeschäft einsetzen und so die Post weiterentwickeln. Es geht ja um eine Wachstumsstrategie. Auch in zehn Jahren wollen wir uns noch eigenständig finanzieren.

Kosmopolit Cirillo

Roberto Cirillo kam in Zürich als Sohn italienischer Einwanderer zur Welt. Er verbrachte seine Jugend im Tessin und arbeitete unter anderem in den Niederlanden, China, Australien, Russland und der Türkei. Im April 2019 kehrte der 48-Jährige in die Schweiz zurück: als neuer Chef der Post.

Post-Chef Roberto Cirillo

Roberto Cirillo kam in Zürich als Sohn italienischer Einwanderer zur Welt. Er verbrachte seine Jugend im Tessin und arbeitete unter anderem in den Niederlanden, China, Australien, Russland und der Türkei. Im April 2019 kehrte der 48-Jährige in die Schweiz zurück: als neuer Chef der Post.

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