«Ein Sieg für die Schweizer Bevölkerung»
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Chiesa zum Rahmenabkommen:«Ein Sieg für die Schweizer Bevölkerung»

Reaktionen auf toten EU-Deal
SVP jubiliert, Euroturbos geschockt

Die Reaktionen auf den Abbruch der Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen sind von der Sorge um die Weiterführung des bilateralen Wegs geprägt. Nur die SVP jubiliert – und der Gewerkschaftsbund freut sich, dass der Lohnschutz weiter gewährt bleibt.
Publiziert: 26.05.2021 um 20:54 Uhr
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Aktualisiert: 27.05.2021 um 10:40 Uhr
Mattea Meyer (33), SP-Co-Präsidentin: «Wir sind enttäuscht, dass der Bundesrat die Verhandlungen abgebrochen hat. Jetzt müssen sich alle fortschrittlichen Kräfte an einen Tisch setzen und Lösungen finden. Es braucht nicht weniger Europa, sondern mehr Europa. Ein Europa für die Menschen.»
Foto: Keystone
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Für SVP-Präsident Marco Chiesa (46) ist klar: «Das ist ein guter Tag für die Schweiz.» Der Abbruch des Rahmenabkommens sei ein Sieg für die Selbstbestimmung und die direkte Demokratie der Schweiz. Gegenüber der EU müsse klar kommuniziert werden, dass es kein Abkommen mit automatischer Rechtsübernahme und EU-Gerichtsbarkeit gebe. Auch dürfe die Kohäsionsmilliarde nicht bezahlt werden, solange die EU die Schweiz diskriminiere.

Für die SP ist es schade, dass der Bundesrat nicht ernsthaft alternative Wege geprüft hat. Jetzt müssen alle konstruktiven Kräfte zusammen an einer Europapolitik mit Perspektive arbeiten. «Es braucht mehr Europa», so Co-Präsidentin Mattea Meyer zu Blick. Aber ein Europa für die Menschen. Die dynamische Rechtsübernahme – und damit die faktische Passivmitgliedschaft der Schweiz in der EU – ohne politische Beteiligung an den entsprechenden Entscheiden sei aus demokratiepolitischer Perspektive problematisch. Die Frage nach Beitrittsverhandlungen dürfe kein Tabu sein.

Mitte will Eskalation verhindern

Mitte-Präsident Gerhard Pfister (58) sieht dem Bundesrat auf dem richtigen weg und sagt: «Wir sind bereit, Hand zu bieten und Verantwortung zu übernehmen. Es gilt nun, Eskalationen auf beiden Seiten zu vermeiden und Alternativen zu entwickeln, wie wir das gute bilaterale Verhältnis zwischen der EU und der Schweiz sichern und weiterentwickeln können.»

Die FDP reagiert mit Bedauern und Besorgnis auf den Abbruch der Verhandlungen. Es müssten alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die negativen Folgen der Beendigung der Verhandlungen wo möglich zu verhindern oder zumindest abzufedern. Angesichts der Bedeutung der bilateralen Beziehungen stehe der gesamte Bundesrat in der Verantwortung, möglichst rasch ernsthafte Vorschläge zu präsentieren, wie der Wohlstand der Schweiz gesichert und der bilaterale Weg weiterentwickelt werden könne.

«Grosser Scherbenhaufen»

Die Grünen kritisieren den Verhandlungsabbruch. Eine Einigung mit materiellem Erhalt des Lohnschutzes wäre möglich gewesen, so Präsident Balthasar Glättli (49) auf Twitter. Der Bundesrat habe es verpasst, die damalige Koalition für die Bilateralen zu erneuern. Bundesrat Ignazio Cassis habe mit dem Rahmenabkommen den Lohnschutz schwächen wollen. Diese Fehler hätten zum heutigen Scherbenhaufen geführt.

Der Präsident der Grünliberalen, Jürg Grossen (51), findet es einen historischen Fehlentscheid des Bundesrates. Er breche die Verhandlungen mit der EU ab, ohne einen angemessen Plan für die Zukunft. «Nachdem der Bundesrat das Europadossier jahrelang konzept- und führungslos vor sich hinschob, hat er heute den grossen Scherbenhaufen produziert. Er nimmt den Zerfall der bilateralen Beziehungen zur Europäischen Union mutwillig in Kauf. Es ist nicht akzeptabel, dass der Bundesrat dieses zentrale Dossier ohne Einbezug des Parlaments nicht mehr weiterverfolgen will.»

Kantone und Wirtschaft fürchten Eskalation

Für die Kantone bleiben stabile Beziehungen mit der EU von grösster Bedeutung. Die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) will sich deshalb mit Nachdruck dafür einsetzen, dass an den bestehenden bilateralen Verträgen festgehalten wird. In Ergänzung dazu müsse die Schweiz aber auch ihre Handelsbeziehungen mit anderen Ländern ausserhalb der EU weiterführen und ausbauen.

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse äussert Bedauern darüber, dass kein einvernehmliches Ergebnis erzielt wurde. Nun liege es am Bundesrat, den bilateralen Weg zu stabilisieren und den Schaden zu minimieren. Wo die Erosion bilateraler Abkommen zu absehbaren Nachteilen für den Wirtschaftsstandort führe, brauche es gezielte Massnahmen zur Abfederung der Schäden.

Akt der Vernunft

Der Schweizerische Gewerbeverband (SGV) hingegen wertet den Verzicht des Bundesrats als Akt der Vernunft. Der vorliegende Vertragsentwurf sei zu viele Konzessionen eingegangen und nicht geeignet, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zu erhalten. Begrüsst wird der Wille, das Verhältnis mit der EU weiterzupflegen und die bilaterale Zusammenarbeit zu sichern.

Auch Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) begrüsst den Entscheid des Bundesrats. Präsident Pierre-Yves Maillard (53): «Wir sind erleichtert, dass der Lohnschutz verteidigt werden konnte. Das Rahmenabkommen hätte unsere Errungenschaften der vergangenen Jahre in Frage gestellt.» Die bilateralen Verträge seien aber für die Arbeitnehmenden wichtig. Eine Eskalation durch die Schweiz oder die EU-Kommission sei unerwünscht. Die Schweiz solle daher die Kohäsionsmilliarde baldmöglichst freigeben.

Schock bei Euroturbos

Die Europäische Bewegung Schweiz äussert sich schockiert und entsetzt über den Bundesratsentscheid. Er bedeute das Ende des bilateralen Wegs. Die Bewegung erwägt die Lancierung einer Volksinitiative zur Sicherung der europäischen Integration der Schweiz. Präsident Eric Nussbaumer (60): «Der bundesrätliche Entscheid ist falsch. Er bringt unnötig Rechtsunsicherheit, er bringt Arbeitsplätze in Gefahr und schränkt die Zukunftsperspektiven für unser Land ein. Ein Kompromiss wäre möglich gewesen.»

Für Operation Libero verweigert sich der Bundesrat einer grundsätzlichen Europadebatte und setze die Schweiz damit wissentlich und ohne einen Ausweg zu haben, erheblichen Nachteilen aus. Wenn es keine Abstimmung über das Rahmenabkommen gebe, dann müsse es eine andere Abstimmung über den Platz der Schweiz in Europa geben. (SDA/sf/dba)

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