Reiner Eichenberger (61) sagt Nein zur AHV-Revision
Liberaler Ökonom springt Linken zur Seite

Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger gilt bei der Linken als «Chefökonom der SVP». Doch bei der AHV-Reform eilt er nun ausgerechnet der SP zu Hilfe. Er lehnt die Vorlage ab – aus liberaler Überzeugung.
Publiziert: 08.09.2022 um 00:10 Uhr
Ruedi Studer

Für Linke ist Reiner Eichenberger (61) ein rotes Tuch. Die hohe Zuwanderung erachtet der Wirtschaftsprofessor der Universität Freiburg als schädlich, die Sozialhilfe möchte er verschlanken, nach ihm belasten Velofahrer die Allgemeinheit pro Kilometer stärker als Autofahrer, und in der Corona-Pandemie hätte er am liebsten auf eine «klug gelenkte» Durchseuchungsstrategie gesetzt. Kein Wunder, gilt er im links-grünen Lager als ordoliberale Allzweckwaffe und «Chefökonom der SVP».

Doch nun springt Eichenberger für einmal der Linken zur Seite. Er lehnt das AHV-Paket, das am 25. September vors Volk kommt, ab. «Im Gegensatz zur Linken aber aus liberalen Überlegungen», wie er gegenüber Blick betont. «Der Zwang, länger arbeiten zu müssen, verbunden mit einer Abgabenerhöhung, ist der falsche Weg.»

Anreize statt Zwang für Altersarbeit

Eichenberger ist einem höheren Rentenalter keineswegs abgeneigt. Er plädiert aber für einen anderen Ansatz. «Wir müssen Anreize schaffen, damit Frauen und Männer länger arbeiten können und wollen, anstatt sie zu gängeln», so der Ökonom.

Ökonom Reiner Eichenberger springt für einmal der SP zur Seite und lehnt die AHV-Vorlage ab.
Foto: Daniel Kellenberger
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Doch gerade dies gehe die jetzige Reform nicht wirklich an, auch wenn sie eine gewisse Flexibilisierung vorsieht. «Wer den Rentenbezug bis 67 aufschiebt, erhält danach zwar eine höhere Rente», macht Eichenberger ein Beispiel. «Doch erst mit 86 Jahren macht die höhere Rente den Aufschub wett.» Für sehr viele also ein Verlustgeschäft. Und daher «unattraktiv und kaum genutzt».

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Liberales Alternativmodell

Mit der jetzigen Vorlage werde das Problem zementiert, kritisiert Eichenberger. Ihm schwebt stattdessen eine «Sicherung der Altersvorsorge durch freiwillige Erwerbsarbeit im Alter dank Anreizen» vor – «Safe AAA» nennt er sein Modell. Wer seinen Rentenbezug aufschiebt, soll mit weniger Lohnabzügen belohnt werden – und Altersarbeit mit einem Steuerrabatt.

«Mehr Menschen würden länger arbeiten und Unternehmen in ältere Arbeitnehmende investieren», ist Eichenberger überzeugt. «Unter dem Strich profitiert auch der Staat von Mehreinnahmen. Und diese wiederum sollten in die Sozialwerke fliessen.»

Gegen höhere Mehrwertsteuer

Umso mehr ist ihm deshalb die geplante Mehrwertsteuererhöhung um 0,4 Prozentpunkte ein Dorn im Auge, die jährlich rund 1,5 Milliarden Franken in die AHV-Kasse spült. «Die Erhöhung ist grösstenteils unnötig», sagt der Wirtschaftsprofessor.

Mit dem höheren Frauenrentenalter steige die gesamte Arbeitsleistung um über 1 Prozent. Daraus resultierten auch höhere Steuereinnahmen. «Schon nur die Einkommenssteuern dürften um 600 Millionen Franken jährlich zunehmen», schätzt Eichenberger. «Und weil mit zusätzlichen Arbeitskräften die gesamte Volkswirtschaft wächst, kann der Staat sogar mit 1,7 Milliarden Franken zusätzlich rechnen.» Geld, das in die AHV-Kasse fliessen könnte anstelle zusätzlicher Mehrwertsteuerprozente.

Bloss: Das Frauenrentenalter 65 ist ohne die Steuererhöhung nicht zu haben – die beiden Vorlagen sind miteinander verknüpft. «Mit der geplanten Reform verschwindet das Geld beim Staat», moniert Eichenberger. «Es ist also vor allem eine Vorlage zur Staatsaufblähung.»

Er wird die beiden Vorlagen deshalb ablehnen. Zumindest in diesem Punkt ist ihm der Applaus von links für einmal sicher.

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