Serbische Premier auf Blitzbesuch in der Schweiz
«Den Haag hat uns nicht versöhnt»

Ana Brnabic (42) ist seit diesem Sommer Serbiens Premierministerin. Die erste Frau überhaupt in dieser Funktion – und zudem bekennende Lesbe. Sie will in die EU, zieht Reformen durch und kritisiert das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.
Publiziert: 11.12.2017 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:33 Uhr
Ana Brnabic über den EU-Beitritt: «Serbien hat keine Zeit zu verlieren.»
Foto: ANJA WURM
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Interview: Tobias Marti und Christian Kolbe; Fotos: Anja Wurm
Persönlich

Ana Brnabic (42) ist seit dem Sommer Serbiens Premierministerin. Zuvor war sie Ministerin für Verwaltungsreformen. Sie ist die erste Frau in dieser Funktion – und zudem bekennende Lesbe. Nach dem Gym­nasium verliess sie Serbien 1994 während des Kriegs und studierte in den USA sowie Grossbritannien. 2002 kehrte sie heim, um für die amerikanische Hilfsagentur Usaid zu arbeiten. Anschliessend leitete sie eine Firma für Windkraftwerke. l

Ana Brnabic (42) ist seit dem Sommer Serbiens Premierministerin. Zuvor war sie Ministerin für Verwaltungsreformen. Sie ist die erste Frau in dieser Funktion – und zudem bekennende Lesbe. Nach dem Gym­nasium verliess sie Serbien 1994 während des Kriegs und studierte in den USA sowie Grossbritannien. 2002 kehrte sie heim, um für die amerikanische Hilfsagentur Usaid zu arbeiten. Anschliessend leitete sie eine Firma für Windkraftwerke. l

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Ein leerer Partyraum im Zürcher Ausgehtempel Kaufleuten: Am Rande der Wissenschaftskonferenz World Minds treffen wir Ana Brnabic zum Interview. Die junge Premierministerin ist sehr präsent, wechselt während des Interviews oft die Mimik. Begeistert erzählt sie von ihren Visionen für Serbien. Kommt das Gespräch auf die kriegerische Vergangenheit, wirkt sie nachdenklich, fast abwehrend.

SonntagsBlick: Schweiz gegen Serbien wird an der Fussballweltmeisterschaft ein entscheidendes Spiel sein. Wer gewinnt?
Ana Brnabic: Das Resultat kann ich nicht voraussagen. Aber wir werden Freunde bleiben. Versprochen.

Was führt Sie in die Schweiz?
Ich bin Gast bei den World Minds, wo sich spannende Köpfe aus der ganzen Gesellschaft treffen. Ich habe in Zürich bekannt gegeben, dass der Anlass 2019 auch in Belgrad stattfindet. Er passt zu den Prioritäten meiner Regierung: Digitalisierung und Bildung.

Ein Grossteil der serbischen Industrie ist veraltet. Muss die Wirtschaft erneuert werden?
Ja. Manche Staatsbetriebe wurden privatisiert, und dank Reformen haben wir zum ersten Mal seit zwölf Jahren einen Budgetüberschuss. Wir verringerten die Staatsschulden, die Arbeitslosigkeit wurde halbiert. Sie liegt bei zwölf Prozent. Das ist immer noch hoch, aber viel tiefer als früher.

Sie haben Bundespräsidentin Doris Leuthard getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?
Die Schweizer Investitionen in Serbien haben sich verdoppelt, das hat zwischen 8000 und 9000 Jobs geschaffen. Wir lernen viel von der Schweiz. Etwa ver­suchen wir das Modell des dualen Bildungssystems zu über­nehmen.

Sie erwähnten Reformen. Manche davon waren offenbar sehr unpopulär.
Ja. Ende 2014 mussten wir unsere öffentlichen Ausgaben kürzen. Mittlerweile haben wir 40000 Beamte weniger. Auch mussten wir Löhne und Pensionen kürzen. Diese Reform ist mittlerweile fast abgeschlossen.

Warum so drastische Reformen?
Wir mussten etwas tun, wir standen kurz vor dem Bankrott. Die Weltbank forderte uns zum Handeln auf. Im Nachgang war es überraschend, dass die Regierung wiedergewählt wurde. Die Bevölkerung verstand, dass die Reformen nötig waren. Und wir schufen im Gegenzug mehr Jobs im privaten Sektor.

Der heutige Präsident, Ale­ksandar Vucic, hat sie zur Premierministerin gemacht. Sie sind parteilos und haben keine politische Hausmacht. Wie abhängig sind Sie von ihm?
Als Technokratin, die aus der Privatwirtschaft kam, brauche ich eine Mehrheit im Parlament. Und diese hat Präsident Vucic mit seiner Partei (Serbische Fortschrittspartei). Ich kann tun, was ich für das Beste halte. Gleichzeitig bin ich aber auf einer Linie mit dem Präsidenten. Sonst wäre ich nicht der Regierung beigetreten.

Mit Ihrem Lebenslauf sind Sie die perfekte Vorzeigepolitikerin für ein Serbien, das in die EU will. War das Vucics Absicht?
Gute Frage ... Ich denke, dass es sich um einen glücklichen Zufall handelt. Wir arbeiten gut zusammen, sind beide Workaholics. Serbien hat keine Zeit zu verlieren.

Die EU ist das erklärte Ziel Ihrer Regierung. Was sind die Hindernisse?
Ich bin sehr stolz, dass Serbien einer der aussichtsreichsten Kandidaten ist. Aber unsere Reformen interessieren mich mehr. Die machen wir ja nicht für die EU. Wenn wir sie vor dem Beitritt nicht abschliessen, bietet die EU nicht mehr viele Vorteile für uns. Viele qualifizierte Fachkräfte würden das Land verlassen. Und umgekehrt wollen wir die EU in Serbien auch nicht als Geldtopf anpreisen. Wir wollen ein Mitglied werden, das etwas beisteuern kann.

Die Kosovo-Frage bleibt ein Hindernis. Wie lösen Sie sie?
Unsere Regierung hat politisch ein paar mutige, aber unpopuläre Entscheide gefällt. Wir haben die Brüsseler Übereinkunft mit dem Kosovo unterschrieben und fast vollständig umgesetzt. Im Gegenzug hat Pristina noch nicht einmal damit angefangen. Darauf bestehen wir nun. Wir wollen sehen, dass auch Pristina mitzieht.

Das Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag ist bald Geschichte. Wie lautet Ihre Bilanz?
Den Haag hat keinen Beitrag zur Versöhnung geleistet. Wenn das Tribunal objektiv gewesen wäre und die Hauptschuldigen auf allen Seiten verurteilt hätte, hätte dies sehr wohl der Versöhnung gedient. Aber das passierte leider nicht.

Also war das Tribunal unfair gegenüber Serbien?
Ich denke, es war nicht ausgewogen und nicht objektiv. Unfair sage ich nicht. Und auch die gefällten Urteile stelle ich nicht in Frage. Ich kritisiere aber, dass manche Urteile nicht gefällt wurden. Über zwei Drittel der Ver­urteilten sind Serben: Das bildet nicht ab, was in den Kriegsjahren wirklich passierte.

Müssen Richter überhaupt versöhnen? Das ist doch der Job der einzelnen Staaten.
Wir arbeiten hart an den Beziehungen mit unseren Nachbarn. Jene zu Kroatien sind noch immer komplex, jene zu Bosnien und Herzegowina auch. Aber des Präsidenten allererste Reise in der Region war die nach Sarajewo. So versöhnen wir uns.

Das Thema Krieg ist auf dem Balkan aber noch dauerpräsent.
Nun werden die Unterlagen von Den Haag der Justiz jedes einzelnen Landes übergeben. Ich hoffe, dass Gerechtigkeit in manchen Fällen noch möglich sein wird. Aber wir müssen uns sowieso der Zukunft zuwenden. Es ist ein sehr emotionales Thema. Ich versuche, so wenig darüber zu reden wie nur möglich. Weil es nur wieder neue Bereiche öffnet.

Sie sind eine junge, moderne Frau. Bei Serbien denkt man an patriarchale Strukturen. Wie wollen Sie erfolgreich sein?
Genau dieses Image Serbiens müssen wir ändern. Wir sind ganz anders, das Land ändert sich täglich. Fünf von 21 unserer Minister sind übrigens Frauen. Das ist zwar eine Minderheit, aber in wichtigen Positionen.

Ist Ihre Homosexualität noch immer ein Thema?
Nein, das ist kein Thema mehr.

Es war aber eines.
Es gab Kritik, aber nicht so viel. Es wurde eher als Kuriosität empfunden. Aber das war nach der ersten Woche vorbei. Danach fokussierten sich alle auf meine Arbeit. Ob ich fähig bin zu liefern. Diese Botschaft will ich senden.

Dann hoffen wir, dass Sie liefern werden.
Das wäre wohl besser.

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