SGB-Chefökonom Daniel Lampart zur Altersvorsorge
«Auch die Babyboomer-Phase geht vorbei»

Arbeitgeber und bürgerliche Parteien machten bei der Altersvorsorge auf Panik, sagt Gewerkschaftsbund-Chefökonom Daniel Lampart im BLICK-Interview. Stattdessen fordert er höhere AHV-Renten. Dass bedingungslose Grundeinkommen hingegen lehnt er ab.
Publiziert: 04.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 15:15 Uhr
Ruedi Studer und Christoph Lenz

Herr Lampart, die AHV schrieb 2015 ein fettes Minus von 559 Millionen Franken. Jetzt müssen doch auch bei den Gewerkschaften die Alarmglocken schrillen!

Daniel Lampart: Wir haben zwar ein Minus, doch es ist weit von den Panik-Szenarien entfernt, die der Bund verbreitet hat: Vor einigen Jahren wurde für 2015 ein Minus von 4,5 Milliarden prognostiziert. Das jetzige Minus entspricht gerade mal 0,1 Lohnprozent und ist zu bewältigen.

559 Millionen Defizit sind Peanuts?

SGB-Chefökonom Daniel Lampart (47) will die erste Säule stärken und dafür die AHV-Renten erhöhen.
Foto: Marco Zanoni

Nein. Wir reden von 0,1 Prozent der Lohnsumme. Steigen die Löhne wie dieses Jahr um 0,5 Prozent, ist dieses Minus bereits wieder wett gemacht. Das System funktioniert sehr gut. Deshalb empören mich die dauernden Panik-Szenarien der Arbeitgeber und der bürgerlichen Parteien. Das führt dazu, dass die Leute das Gefühl haben, die AHV-Finanzen seien in ernsthafter Schieflage. Das stimmt nicht.

Foto: Marco Zanoni

Die Bürgerlichen machen auf Panik, Sie dagegen auf Schönfärberei. Die Löcher werden wegen der Babyboom-Generation grösser!

Im Hinblick auf das nächste Jahrzehnt werden wir wegen der Babyboomer für einen Ausgleich sorgen müssen. Das kostet uns im Vergleich zu heute aber nur 0,7 zusätzliche Mehrwertsteuer-Prozent, wie es in der Altersvorsorge-Reform 2020 derzeit vorgesehen ist. Das zeigt, wie stabil die AHV trotz demografischer Alterung ist. Und klar ist auch: Die Babyboomer-Phase geht vorbei.

Wir stehen am Anfang einer grossen demografischen Herausforderung und Sie reden von Stabilität. Mit Verlaub, aber das erinnert an den Mann, der vom Hochhaus stürzt und während des Fluges zu sich sagt: Bis jetzt ist alles gut.

Sie sind offenbar auch Opfer der irreführenden Propaganda von Wirtschaft und Bürgerlichen. Entscheidend ist die Lohnentwicklung. Steigen die Löhne, bleibt trotz höherem AHV-Beitrag immer noch mehr in den Taschen. Es profitieren die Jungen und die Alten!

Sie wollen aber noch mehr. Mit der AHV-Plus-Initiative fordern die Gewerkschaften eine Erhöhung der AHV-Renten um 10 Prozent.

Die Anpassung der AHV-Renten ist längst überfällig. Einerseits, um den Rückstand auf die Lohnentwicklung aufzuholen. Andererseits, um die Einbussen in der zweiten Säule zur korrigieren.

Ihr Chef, Gewerkschaftsboss und SP-Ständerat Paul Rechsteiner, hat aber im Ständerat einen Kompromissvorschlag mit eingefädelt, der eine 70-Franken-Erhöhung für AHV-Einzelrenten vorsieht.

Diese Erhöhung ist positiv. Doch der Kompromiss hat einige Haken wie die Erhöhung des Frauen-Rentenalters oder die Senkung des BVG-Umwandlungssatzes. Für uns hat deshalb die AHV-Plus-Initiative Priorität.

Dieser Spass kostet aber nochmals über 4 Milliarden Franken pro Jahr – Tendenz steigend.

Das entspricht einem knappen Lohnprozent mehr. Das können wir uns leisten. Gerade ist das Parlament dabei, mit der Unternehmenssteuerreform Geschenke an Firmen und Aktionäre zu verteilen. Von unserer Initiative hingegen profitiert der Normalbürger.

Aber auch Milliardären wie Blocher und Co. wird mehr Geld nachgeworfen.

Die AHV ist eine Versicherung. Jeder, der einzahlt, erhält deshalb zu Recht eine Rente. Dass auch Herr Blocher diese bekommt, ist richtig. Er hat viel Geld einbezahlt. Das ist das Gute an der AHV: Die Reichen zahlen viel mehr ein als sie je als Rente zurückerhalten. Das macht die AHV effizient, stabil und gerecht.

Man hätte ja einfach das Minimum anheben können.

Das haben wir diskutiert. Aber die Maximalrenten sind mit 3525 Franken für ein Ehepaar ja nicht gerade besonders hoch. Rund 90 Prozent der Ehepaare beziehen dieses Maximum – darunter finde sich auch viele untere und mittlere Einkommen. Eine generelle Anhebung ist daher nötig.

Selbst wenn die AHV-Finanzierung kein Problem sein sollte. Die gesamte Altersvorsorge – also mit den Pensionskassen – gerät trotzdem aus den Fugen.

Die Pensionskassen haben im Moment ein Problem, ihr Geld gewinnbringend anzulegen. Alleine seit Anfang Jahr haben sie gut 10 Milliarden Franken verloren und die Nationalbank verrechnet Negativzinsen. Doch das kann sich rasch ändern. Wenn der Franken schwächer wird oder der Ölpreis steigt, gibt es Inflation. Dann steigen die Zinsen.

Foto: Marco Zanoni

Sie sind ein Optimist!

Nein, sobald die Zinsen steigen, ändert sich die Situation schlagartig. Die jetzigen Schwierigkeiten der Pensionskassen dürfen wir keinesfalls auf die nächsten Jahrzehnte extrapolieren.

Ihr Rezept ist also: Ausbau bei der AHV und Nichtstun bei der beruflichen Vorsorge.

Bei den Pensionskassen findet im überobligatorischen Bereich ja eine kleine Reduktion statt. Beim Obligatorium sind aber vorerst keine Korrekturen nötig. Die Abbauer bei den Pensionskassen gehen davon aus, dass auch im nächsten Jahrzehnt Finanzkrise herrscht. Wenn das der Fall wäre, hätten wir aber nicht nur bei den Pensionskassen ein gröberes Problem.

Dieses Katastrophen-Szenario scheint Sie nicht besonders zu beschäftigen.

Nun, wenn der Kapitalismus in zehn Jahren wirklich noch wankt, sind die Probleme, über die wir heute diskutieren, eher marginal. Wir haben es aber selber in der Hand. Wichtig ist, dass die Schweiz alles unternimmt, damit Vollbeschäftigung herrscht und die Löhne steigen. Die Nationalbank muss aktiver gegen die Frankenüberbewertung vorgehen.

Teuerung, Finanzmärkte, Konjunktur, Löhne: Ihre Szenarien für die Zukunft enthalten sehr viele Unbekannte. Die Politik müsste sich doch auf harte Zeiten vorbereiten und – wie bereits viele EU-Staaten auch – endlich die Erhöhung des Rentenalters angehen. Das lehnen Sie partout ab. Warum?

Erstens haben wir in der Schweiz schon ein relativ hohes Rentenalter. Zweitens hat bereits die Erhöhung des Frauenrentenalters mehr Arbeitslosigkeit verursacht. Drittens ist das Volk dagegen. Lieber stecken die Leute noch ein halbes Lohnprozent in die AHV, als einer Erhöhung des Rentenalters auf 67 zuzustimmen.

Sie müssen doch anerkennen, dass man immer länger lebt und dass immer weniger Beitragszahler für die Rentner aufkommen müssen.

Tatsache ist aber auch, dass viele Arbeitnehmer schon mit 50 oder 55 Jahren unter Druck geraten. Sie haben Angst, den Job zu verlieren.

Bürgerliche wollen eine automatische Erhöhung des Rentenalters, wenn das Geld im AHV-Fonds unter eine gewisse Grenze fällt. Eine Lösung zur Entkrampfung des Streits ums Rentenalter?

Über solche Formeln kann ich eigentlich nur lachen. Ich erwarte vom Parlament, dass es Probleme dann löst, wenn sie auftreten. Dass es sich stattdessen mit bürokratischen Formeln behelfen will, das versteht ausserhalb des Parlaments kein Mensch.

Der Nationalrat ist nach rechts gerückt. Was heisst das für die Rentendebatte?

Es herrscht Übermut bei den Bürgerlichen, das sieht man bei der Diskussion um die Unternehmenssteuerreform III. Wenn der Nationalrat die Lage mit klarem Kopf analysiert, sollte er zum Schluss kommen, dass die AHV gestärkt werden muss. Es ist die günstigere und bessere Lösung.

Warum noch um die AHV streiten, wenn sich die Lösung auf dem Silbertablett präsentiert: Das bedingungslose Grundeinkommen ist doch eine «AHV-Superplus». Vorab Renter-Ehepaare würden deutlich besser gestellt. Trotzdem sind Sie dagegen.

Auf den ersten Blick tönt das tatsächlich gut. Wir finden es ja auch sympathisch, dass man Menschen vor Armut schützen will. Aber das bedingungslose Grundeinkommen birgt riesige Gefahren.

Welche?

2500 Franken pro Monat und Bewohner – das sind rund 200 Milliarden Franken pro Jahr. Das ist wahnsinnig viel Geld, das man zuerst mal einkassieren muss. Die Versuchung, das System auszutricksen, wäre relativ gross. Am Schluss könnten ausgerechnet die Schwächsten unter die Räder kommen. Es könnte auch die AHV destabilisieren und so die soziale Sicherheit schwächen.

Foto: Marco Zanoni

Die AHV bräuchte es dann doch gar nicht mehr.

Je nachdem. Wenn es nur das Grundeinkommen von 2500 Franken gäbe, könnte eine 70-jährige Frau plötzlich wieder gezwungen sein, sich Arbeit zu suchen, weil sie mit dem Geld nicht mehr durchkommt. Das wäre eine soziale Katastrophe.

Man könnte ja Ergänzungsleistungen aufrecht erhalten.

Dann würde das Grundeinkommen halt noch teurer. Das heisst: Noch mehr Steuern, noch mehr Anreiz zum Missbrauch. Das System würde implodieren. Hinzu kommt: Die Schweiz müsste wohl die Grenzen schliessen oder das Grundeinkommen einschränken. Sonst müsste man jedem, der in die Schweiz kommt, dieses Grundeinkommen geben. Eine solche  Abschottungspolitik wäre Gift für unser Land.

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