SP-Wermuth twittert: «Putsch gegen Verfassung»
Parlament hebelt Mindestlöhne aus!

Allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge sollen kantonalen Mindestlöhnen vorgehen. Dieser Meinung ist das Parlament. Es hat am Mittwoch eine entsprechende Motion an den Bundesrat überwiesen.
Publiziert: 14.12.2022 um 18:00 Uhr

Der Entscheid in der grossen Kammer fiel mit 95 zu 93 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Die Fraktionen von SVP, FDP und Mitte setzten sich durch. Auch im Ständerat hatte zuvor eine FDP/Mitte-Mehrheit obsiegt.

Die Motion des Obwaldner Ständerats Erich Ettlin (60, Mitte) hat zum Ziel, allgemeinverbindlich erklärte Gesamtarbeitsverträge (GAV) anderslautenden Bestimmungen der Kantone zu Mindestlöhnen überzuordnen.

Kantonale Mindestlöhne werden ungültig

Wird die Motion umgesetzt, werden vom Volk bestätigte kantonale Mindestlohn-Bestimmungen – etwa in den Kantonen Genf, Neuenburg und Jura – nichtig, sofern der Bundesrat in entsprechenden Branchen den GAV als allgemeinverbindlich erklärt hat. Es gälten dann die GAV-Bestimmungen. Heisst: Die Mindestlöhne, über die die Bevölkerung in den Kantonen abgestimmt hat, würden null und nichtig!

Gibt es einen GAV, soll künftig dieser gelten und nicht der kantonale Mindestlohn. Das hat das Parlament beschlossen. Das betrifft vor allem Niedriglohn-Sektoren in den Westschweizer Kantonen.
Foto: Keystone
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Die Befürworter des Vorstosses argumentierten, dass die Sozialpartnerschaft seit über 100 Jahren den Arbeitsfrieden in der Schweiz sichere. Dies solle nicht durch Volksentscheide zu Mindestlöhnen gefährdet werden. Heute bestehe der Missstand, dass von den Sozialpartnern vereinbarte Gesamtarbeitsverträge zwar vom Bundesrat für die ganze Schweiz für allgemeinverbindlich erklärt werden, aber durch kantonale Bestimmungen wieder ausgehebelt werden könnten.

«Schlicht eine Dummheit»

Mit der neuen Regelung würden Mindestlöhne nicht bestritten, hielten die Befürworter zudem fest. Diese sollten aber insbesondere dort zum Zug kommen, wo kein GAV vorhanden sei und die Arbeitnehmer deshalb einen gewissen Schutz bräuchten.

Die Minderheit der Kommission, die letztlich unterlag, machte geltend, dass demokratisch getroffene Entscheide nicht umgangen werden sollten. Es handle sich hier um einen Frontalangriff gegen die kantonale Souveränität, sagte SP-Co-Präsident Cédric Wermuth (36). «Diese Idee ist schlicht eine Dummheit.»

Nach der Abstimmung reagierte er entsprechend genervt. «Das ist nichts weniger als ein parlamentarischer Putsch gegen die Verfassung», twitterte er.

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Kein Gehör für Westschweizer Kantone

Auch der Bundesrat hatte die Motion abgelehnt. Begründung: Ein allgemeinverbindlich erklärter GAV habe nicht dieselbe demokratische Legitimation wie ein kantonales Gesetz. Er sei der Auffassung, dass das Spannungsfeld nicht genüge, um einen möglicherweise weitreichenden Eingriff zu rechtfertigen, so Wirtschaftsminister Guy Parmelin (63).

Auch die Westschweizer Kantone hatten sich zuvor mit einem Brief an die Nationalrätinnen und Nationalräte gewendet und vor der «Missachtung des Volkswillens» gewarnt. Die Parlamentarier liess das kalt.

Gewerkschaften kündigen Widerstand an

Daher muss sich der Bundesrat nun an die Umsetzung der Motion machen. Was die Motion für Arbeitnehmende bedeuten würde, zeigt eine Berechnung der Gewerkschaft Unia. Fällt der kantonale Mindestlohn, erhält eine Coiffeuse in Genf gleich mehrere Hundert bis 1000 Franken weniger – pro Monat. In Neuenburg gehen ihr bis zu 400 Franken monatlich flöten.

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) kündigte bereits an, dass er die Vorlage «mit allen nötigen Mitteln bekämpfen und die kantonalen Mindestlöhne verteidigen» werde. Heisst: Sie würden wohl das Referendum ergreifen. (SDA/sf)

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