Staatschefs bestimmen die Spitzenjobs im Hinterzimmer
215 Millionen EU-Bürger haben nichts zu sagen

Statt durchs Parlament werden die EU-Spitzenjobs in Hinterzimmer-Deals besetzt. Demokratisch ist das nicht.
Publiziert: 03.07.2019 um 23:29 Uhr
Siegerin eines Hinterzimmer-Deals: Ursula von der Leyen (r.) soll EU-Kommissionspräsidentin werden. Nicht der eigentliche Spitzenkandidat Manfred Weber.
Foto: AFP
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Sermîn Faki

Wer aus Bern derzeit nach Brüssel schaut, fragt sich unweigerlich: EU, wie hast du es mit der Demokratie? Statt Manfred Weber (46), Vertreter der EVP, der grössten Fraktion im EU-Parlament, zum mächtigsten EU-Beamten zu wählen, zauberten die Regierungschefs der EU-Staaten am Dienstagabend plötzlich Ursula von der Leyen (60) aus dem Hut. Die deutsche Verteidigungsministerin soll EU-Kommissionspräsidentin werden.

Das war den 50 Prozent der 430 Millionen wahlberechtigten EU-Bürger, die im Mai an die Urne gingen, anders versprochen worden. Zum zweiten Mal nämlich traten die Parteiblöcke mit Spitzenkandidaten an – diese sollten dann ins Rennen ums Kommissionspräsidium ziehen.

Das hatte zwei Gründe. Erstens wollte man so die Bürger besser in die EU-Politik einbinden. Zweitens wollte das Parlament mehr Mitsprache. Denn bis dahin konnte es den Entscheid der Regierungschefs nur abnicken.

Bei Juncker ging alles glatt

Vor fünf Jahren klappte das gut: Juncker war Spitzenkandidat der EVP, diese wurde stärkste Partei – folglich wurde er gewählt. Ganz anders heuer: Nach dem Wahltag ging unter den Staatschefs ein unwürdiger Hinterzimmer-Deal vonstatten – aus dem nun von der Leyen siegreich hervorgeht.

Verliererin ist die europäische Demokratie. Denn mit dem Willen von über 500 Millionen EU-Bürgern hat von der Leyens Ernennung nichts mehr zu tun. So sieht das auch Nationalrat Roland Rino Büchel (53), der für die Schweiz im Europarat sitzt. «Das ist ein Bschiss an den Wählern – warum sollen sie überhaupt noch an die Urne gehen?», schimpft er. So schaffe sich die EU langsam selbst ab – was den SVPler aber nicht wirklich traurig stimmt.

Manfred Weber als «Problem»

«Natürlich ist es frustrierend, diesem unseligen Geschacher zusehen zu müssen», meint auch der Baselbieter SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (58). Für den Europa-Politiker hat der Grund einen Namen: Manfred Weber. Eine Mehrheit sei für ihn ganz offenbar nicht zu kriegen gewesen.

In der Tat hatten Sondierungen im EU-Parlament ergeben, dass Weber nicht gewählt würde. Aber dennoch: Muss man sich in der EU nicht auch an demokratische Spielregeln halten? Nussbaumer differenziert: Dass der Spitzenkandidat der grössten Fraktion automatisch Kommissionspräsident werde, sei rechtlich nicht vorgeschrieben.

Geht das Parlament auf die Barrikaden?

«Als Schweizer sollten wir nicht zu hämisch sein», fügt Nussbaumer an. Auch hierzulande sei es lange gang und gäbe gewesen, dass nicht der portierte Kandidat in den Bundesrat gewählt wurde, sondern die Nummer 2 – «oder manchmal sogar jemand, der nicht auf dem Ticket stand».

Anders sieht das Büchel: «Wenn das Parlament auch nur einen Funken Selbstachtung hat, wird es Frau von der Leyen nicht einfach durchwinken, sondern auf die Barrikaden steigen.»

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