«Was für eine verlogene Politik!»
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Ständemehr abschaffen?«Was für eine verlogene Politik!»

Ständemehr abschaffen? Das sagt unsere Community
«Was für eine verlogene Politik!»

Ist es okay, dass die Stimme eines Appenzellers fast 40-mal so viel wiegt, wie die einer Zürcherin? Nach dem Nein zur Konzernverantwortungs-Initiative fordern die Linken ein Überdenken des Ständemehrs. Das sorgt innerhalb der BLICK-Community für Diskussionen.
Publiziert: 01.12.2020 um 16:33 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2020 um 18:36 Uhr
Am Ständemehr gescheitert: Die Konzernverantwortungs-Initiative ist abgelehnt worden – trotz knappem Volksmehr.
Foto: Keystone
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Die Schweiz sagt Jein zur Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi). So fasste die Operation Libero, die für das Anliegen gekämpft hatte, den Ausgang der Abstimmung zusammen. Zwar sagte eine knappe Mehrheit der Stimmbevölkerung Ja, nicht aber eine Mehrheit der Kantone. Nun haben einige der Befürworterinnen und Befürworter der Kovi offensichtlich Mühe, das Ergebnis zu akzeptieren und stellen – nicht zum ersten Mal – das Ständemehr in Frage.

«Das Ständemehr gehört auf den Müllhaufen der Geschichte», schrieb Juso-Präsidentin Ronja Jansen (25) am Sonntagabend wütend auf Twitter. Innerhalb der BLICK-Community hat diese Forderung eine heftige Diskussion ausgelöst. Während wenige die Meinung von Jansen teilen, stehen die meisten Leserinnen und Leser hinter dem Ständemehr.

«Was soll das? Die Ablehnung war eindeutig!»

Ein Überdenken oder gar Abschaffen des Ständemehrs halten viele Leserinnen und Leser für überflüssig. Sie sind überzeugt von der Wichtigkeit dieses Systems. «Das Ständemehr wurde eingeführt, damit bevölkerungsarme Landkantone nicht durch bevölkerungsreiche Stadtkantone überstimmt werden», schreibt Leser Willi Frischknecht. Es sei völlig unnötig, das zu ändern, zumal das Ständemehr sowieso nur in seltenen Fällen relevant sei.

«Die linksgrünen Kantone überstimmen die Bergkantone immer mehr, wie zum Bespiel die Jagdgesetz-Thematik deutlich zeigte», schreibt auch Leser Ueli Hugentobler. Darum müsse das Ständemehr unbedingt bleiben. «Der Stadt-Land-Graben wird sonst nur noch grösser.» Markus Henzi schliesst sich dieser Meinung an: «Undemokratisch ist, wenn die Grossen über die Kleinen hinweg bestimmen können!» Ohne diese Sicherheitsvorrichtung des Ständemehrs, so der Leser, hätte es die Schweiz in der heutigen Form nie gegeben.

Und auch Urs Käser hält nichts von den Vorschlägen der Linken. «Das Ständemehr ist meines Erachtens einer der wichtigsten Pfeiler unserer Gesellschaft.» Würde es abgeschafft, wären die Stimmen der Appenzeller und der Nidwaldner praktisch nichts mehr wert. «Und nur weil jetzt mal etwas vorgekommen ist, das man alle paar Jahrzehnte erlebt, muss man doch nicht sofort ein etabliertes System über den Haufen werfen!»

«Was für eine verlogene Politik!»

Dass eine Entscheidung gegen die Kovi gefallen ist, sollten die Befürworter akzeptieren, finden einige Stimmen aus der Community. Sie halten die Juso für schlechte Verlierer: «Verlieren ist nie schön», schreibt Ruedi Voser. «Typisch links!», kommentiert auch Jürg Rowe. «Wenn die Linken eine Wahl verlieren, muss das Verfahren geändert werden, oder man startet gleich einen neuen Angriff.» Der Ausgang einer Initiative würde nur dann von ihnen akzeptiert, wenn sie gewinnen. «Was für eine verlogene Politik!»

Leser Franz Peterhans findet die Diskussion seitens der Linken unnötig. «Akzeptieren Sie doch einfach die Niederlage, Frau Jansen. Und versuchen Sie nicht, das Wahlsystem so zu ändern, dass Sie bei jeder umstrittenen Initiative als Siegerin hervorgehen.» In der Politik müsse die Juso-Präsidentin noch einiges lernen.

«Die Spielregeln waren doch vor der Abstimmung bekannt, oder?», fragt Andre Milani und zieht einen Vergleich: «Sonst kann ich ja auch einfach ins Casino gehen und im Nachhinein fordern, dass die Regeln so lange angepasst werden, bis ich gewinne.»

Es habe schon viele Abstimmungen gegeben, die genau auf diese Weise entschieden wurden, ergänzt Leser Roger Duppenthaler. «Sorry, aber die jetzige Debatte beweist einmal mehr, dass gewisse Leute unsere Demokratie nicht verstehen wollen oder können.» Es sei die Schweizer Demokratie, die entschieden hat – «nicht eine Firma, und auch keine Lobby».

«Umsetzbare Initiativen einreichen wäre ein besserer Weg»

«50,7 Prozent sind mir zu wenig Differenz, zumal die Stimmbeteiligung deutlich unter 50 Prozent lag», schreibt Leser Ernst von Büchlen, und findet in einem solchen Fall das Schweizer Wahlsystem sinnvoll. Bei so einer kleinen Differenz, so der Leser, sei das Ständemehr durchaus akzeptabel. «Sinnvoll wäre, endlich dafür zu sorgen, dass die Stimmbeteiligung klar über 60 Prozent liegt!»

Von Beginn an umsetzbare Initiativen einreichen sei der beste Weg, um grosse Enttäuschungen zu vermeiden, findet Peter Leo. «Diese Art von Niederlage haben auch schon andere Parteirichtungen erfahren müssen.» Er findet, die Schweiz spiele sich häufig als Moralapostel innerhalb der Welt auf, und das müsse aufhören.

«Um das Ständemehr abzuschaffen, braucht es das Ständemehr», erklärt Albin Alder. «Also hört auf zu jammern – dazu wird es nämlich eh niemals kommen.»

«Das Ständemehr ist peinlich!»

Einige Leser hingegen finden den Ansatz der Juso-Präsidentin durchaus gerechtfertigt und teilen ihre Forderung. «Wer das krasse Missverhältnis der Stimmgewichtung nicht als Ungerechtigkeit akzeptieren und einer massvollen Angleichung nicht zustimmen kann, ist meines Erachtens ein schlechter Gewinner», schreibt Hans Maag in der Kommentarspalte. «Mit der Beibehaltung des bestehenden Missverhältnisses wird sich der Land-Stadt-Gegensatz nicht – wie eigentlich mit der bestehenden Regelung beabsichtigt – verkleinern, sondern mehr und mehr verstärken!»

Auch Thomas Campalongo ist ein Gegner des Ständemehrs. «Wir machen uns über das Wahlsystem der USA lustig – dabei ist das Ständemehr in unserer Demokratie genauso peinlich!» Er fordert, es abzuschaffen.

«Das Ständemehr hat seine Begründung darin, dass bevölkerungsarme Regionen nicht einfach von bevölkerungsreichen Regionen überstimmt und damit diktiert werden können», schreibt Martin Arnold. Dieses System brauche es nur, wenn es um Verfassungsänderungen geht. «Ob die vorliegende Formel heute immer noch die richtige ist, darf man aus Gründen der Bevölkerungswanderung durchaus hinterfragen.» Komplett auf einen entsprechenden Ausgleich zu verzichten wäre seiner Meinung nach jedoch auch falsch. Stattdessen könne man über eine andere Möglichkeit nachdenken, die das heutige Ständemehr ersetzt und den kleinen Regionen trotzdem mehr Gewicht verleiht. (bej)

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