Terror-Experte sieht die Schweiz in Gefahr
«Kinder, meidet Massen-Ansammlungen!»

Europa wird vom Terror heimgesucht. Auch die Schweiz könnte Ziel werden. Sicherheitsexperte Mauro Mantovani sagt im BLICK, was dieses Risiko für jeden von uns bedeutet.
Publiziert: 12.06.2017 um 23:52 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 01:40 Uhr
Sicherheitsexperte Mauro Mantovani: «Ich persönlich habe mehr Vertrauen zu Pessimisten als zu Optimisten.»
Foto: Philippe Rossier
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Interview Sermîn Faki

Fast im Wochenrhythmus kommt es in Europa zu Terroranschlägen. Wie kommt es zu dieser Häufung?
Mauro Mantovani:
 Man muss bedenken: Die meisten Anschläge in Europa werden von den Sicherheitskräften verhindert. Es kann einfach Pech sein, dass Anschläge in den letzten Wochen vermehrt durch die Lappen gingen, denn die Anzahl gewaltbereiter Islamisten stellt für die Nachrichtendienste zunehmend ein Kapazitätsproblem dar. Schliesslich gibt es das Phänomen der Nachahmungstäter, vor dem Experten immer gewarnt haben.

Wie wahrscheinlich ist es, dass der Terror auch die Schweiz in den nächsten Monaten heimsucht?
Dafür gibt es keine einfache mathematische Skala. Die Einschätzung der Experten von Nachrichtendiensten und Polizei ist, dass das Risiko eines Terroranschlags auch in der Schweiz zugenommen hat. Diese Einschätzung beruht offenbar auf Hinweisen, zum Beispiel auf die Verbreitung jihadistischen Gedankenguts mit Schweizbezug über das Internet.

Können wir uns noch sicher fühlen? Sie selbst haben Ihren Kindern geraten, Menschenmassen zu meiden. 
Die Antwort auf diese Frage wird sehr individuell ausfallen: Wer hat recht – die 79 Prozent der Bevölkerung, die sich im öffentlichen Raum noch sicher fühlen, oder die 21 Prozent, die sich unsicher fühlen? Wenn es zu einem Anschlag kommt, stehen die ersten als Naivlinge da, wenn nicht, gelten die zweiten als Schwarzmaler.

Was sind Sie?
Ich persönlich habe mehr Vertrauen zu Pessimisten als zu Optimisten. Daher versuche ich, mich auf das Schlimmste vorzubereiten – um mich immer gerne positiv überraschen zu lassen. Ich zähle mich also zu den 21 Prozent der Bevölkerung und verstehe es als meine Pflicht als Vater, auch meine drei Kinder auf Risiken und Gefahren hinzuweisen und ihnen Ratschläge zu geben, worauf sie achten und wie sie sich am besten verhalten sollten.

Was macht diese konstante Bedrohung mit uns?
Auch das ist sehr individuell: Es gibt wohl zunehmend Menschen, die den öffentlichen Raum ganz oder teilweise meiden. Aber hoffentlich gibt es auch viele, die sich mit mehr Aufmerksamkeit und Umsicht in den öffentlichen Raum begeben. Offenbar nimmt auch die Anzahl Personen zu, die sich zum Selbstschutz bewaffnen wollen oder Selbstverteidigungskurse besuchen.

Die Waffenverkäufe steigen, das stimmt. Aber führt das nicht zu mehr Risiko?
Die schweren Gewaltdelikte sind in der Schweiz seit 2012 markant zurückgegangen, und dies bei steigender Wohnbevölkerung. Das heisst klar, dass das Risiko, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, statistisch gesehen abgenommen hat.

Am Champions-League-Final in Turin kam es grundlos zu einer Panik. Ist die Angst vor dem Terror vielleicht gefährlicher als der Terror selbst?
Es ist plausibel, dass in Zukunft Massenpanik vermehrt auch durch Terrorangst ausgelöst wird. Eine Gesellschaft, die den Terrorismus seit langem kennt, dürfte jedoch weniger anfällig sein für Hysterie.

Auf der anderen Seite sind wir viel weniger geschockt als zum Beispiel nach Charlie Hebdo. Warum?
Ich bezweifle, dass diese Aussage stimmt. Die Öffentlichkeit ist mittlerweile einfach weniger überrascht, wenn wieder ein Anschlag verübt wird. Meine Wahrnehmung ist aber, dass der islamistische Terrorismus weithin als bedrohlicher empfunden wird als andere Gewaltverbrechen.

Warum?
Zum einen scheint das Selbstmordattentat auf Unbeteiligte heutzutage eine Exklusivität radikaler Muslime zu sein, zum anderen geniesst der politische Islam, also der Islamismus, unter Muslimen weltweit eine starke Unterstützung: Bei 1,7 Milliarden Gläubigen ergibt das sehr viele potenzielle Gefährder. Diese beiden Faktoren machen den islamistischen Terrorismus einzigartig und unheimlich.

Müssen wir uns an den Terror gewöhnen?
Hoffentlich nicht. Wir dürfen das nicht als Schicksal anerkennen. Ich hoffe vielmehr, dass wir uns an erhöhte Sicherheitsvorkehrungen und veränderte Verhaltensweisen gewöhnen.

Sie fordern erhöhte Sicherheitsmassnahmen. Aber zeigen nicht gerade die Anschläge in England, dass das auch nichts nützt?
Nein. In diesen Ländern ist das Problem der radikalisierten Muslime einfach deutlich grösser. Hier wurde zu lange weggeschaut und die Entstehung von Parallelgesellschaften toleriert. Das zeigt sich schon an der Zahl der Jihadreisenden. Während es in der Schweiz etwas über 80 sind, wurden in Grossbritannien zehnmal so viele gezählt. Dies ist eine Erklärung für die dortigen Anschläge.

Wie müssen wir unser Verhalten anpassen?
Zunächst einmal müssen wir uns auf erhöhte Sicherheitsvorkehrungen einstellen. Wer ein Konzert besucht, muss seine Tasche kontrollieren lassen. An immer mehr Orten wird es Metalldetektoren geben. Schauen Sie nach Israel, das eine lange Erfahrung mit Anschlägen hat. Da kommen Sie ohne Taschenkontrolle nicht einmal in einen Supermarkt.

Mauro Mantovani lehrt an der Militärakademie an der ETH Zürich. Der studierte Historiker war früher in leitender Position beim Strategischen Nachrichtendienst.

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