«Die Neutralität ist überhaupt nicht in Gefahr»
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Priska Seiler Graf:«Die Neutralität ist überhaupt nicht in Gefahr»

Überraschender Entscheid
Nationalräte beschliessen indirekte Waffenlieferungen an Ukraine

Überraschende Wende in der Schweiz: Die Nationalratskommission will das Waffenexportgesetz ändern, um indirekte Lieferungen an die Ukraine zu ermöglichen.
Publiziert: 18.06.2024 um 15:09 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2024 um 16:51 Uhr

Die Schweiz hatte sich im Westen keine Freunde gemacht. Erst durfte Deutschland keine Munition aus Schweizer Produktion an die Ukraine liefern, Dänemark keine Radschützenpanzer weitergeben. Dann lehnte es der Bundesrat ab, 96 Leopard-1-Panzer an die deutsche Herstellerfirma Rheinmetall zurückzugeben. Und Spanien durfte keine Flugabwehrkanonen an Kiew weitergeben.

Seit bald zwei Jahren ringt die hiesige Politik mit einem schlechten Gewissen und den gesetzlichen Möglichkeiten, trotz Schweizer Neutralität die Weitergabe von Waffen in gewissen Fällen auch an Kriegsparteien zu ermöglichen. Bisher aber scheiterten sämtliche Vorschläge. Im Bundeshaus schien sich allmählich Resignation breitzumachen.

Kommission will Gesetz lockern

Am Dienstag nun hat die Sicherheitspolitische Kommission (SiK) des Nationalrats mit einem neuen Vorschlag überrascht: Die Schweiz will der Ukraine doch noch indirekt Waffen liefern. Die Kommissionsmehrheit will das Kriegsmaterialgesetz, das solche Re-Exporte bisher verhindert, entsprechend ändern. Dafür legt sie dem Nationalrat einen Gesetzesentwurf vor.

Dänemark dürfte künftig Piranha-Radschützenpanzer aus Schweizer Produktion an die Ukraine weitergeben.
Foto: Imago

Die Kommissionsmehrheit schlägt vor, das Nichtwiederausfuhr-Verbot für Länder zu lockern, die über ähnliche Mechanismen für die Exportkontrolle verfügen wie die Schweiz und mit der Schweiz ähnliche Werte teilen. Konkret handelt es sich um die im Anhang 2 zur Kriegsmaterialverordnung aufgeführten Staaten.

Die Nichtwiederausfuhr-Erklärung bei Exporten soll für diese ausgewählten Länder auf fünf Jahre befristet werden. Anträge für auf zehn Jahre Befristung oder auf eine generelle Befristung auf fünf Jahre für alle Staaten lehnte die Mehrheit ab. Eine unterlegene Minderheit wollte auch keine Rückwirkung, unterlag aber.

Weitergegeben werden darf das Material vom Abnehmerland an ein Drittland nur, wenn dieses Auflagen erfüllt. Namentlich darf es die Menschenrechte nicht schwerwiegend und systematisch verletzen. Auch darf kein Risiko bestehen, dass die Rüstungsgüter aus der Schweiz im Drittland gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt werden.

Schweiz soll anderen Ländern vertrauen

Ist das Drittland in einen bewaffneten Konflikt verwickelt, ist die Wiederausfuhr erlaubt, wenn das Land von seinem völkerrechtlich verankerten Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch macht und der Uno-Sicherheitsrat einen Verstoss gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot gemäss Uno-Charta festgestellt hat.

Ob Kriegsmaterial weitergegeben wird, sollen nach dem Willen der SiK die Abnehmer-Länder entscheiden. Ein politischer Entscheid des Bundesrats aufgrund eines Gesuches sei neutralitätsrechtlich nicht möglich, sagte Kommissionspräsidentin Priska Seiler Graf (55, SP). Das weitergebende Land habe selbst zu entscheiden, ob die Bedingungen für eine Weitergabe erfüllt seien.

Die SiK traf diesen Entscheid nur drei Tage nach der Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock. Die Mehrheit der Kommission will das bisherige Gesetz ändern, das solche Re-Exporte verhindert, wie Kommissionspräsidentin Seiler Graf vor den Medien erklärte. Ein entsprechender Gesetzesentwurf werde nun dem Nationalrat vorgelegt.

Ob Lockerung der Ukraine tatsächlich nützt, ist offen

Allerdings: Der Durchbruch war äusserst knapp: ein Patt von 10 zu 10 Stimmen bei 4 Enthaltungen. Kommissionspräsidentin Seiler Graf gab am Schluss mit Stichentscheid den Ausschlag. Das zeigt, wie hart umkämpft der Entscheid war. Ob diese Mehrheit im Plenum des Nationalrats und im Ständerat bestehen bleibt, ist ungewiss.

Kommt hinzu: Bis das gelockerte Kriegsmaterialgesetz tatsächlich in Kraft treten würde, wird auf jeden Fall noch einige Zeit vergehen. Zumal bereits ein Referendum angekündigt sei, wie Seiler Graf erwähnte. Ob eine mögliche Gesetzesänderung der Ukraine also tatsächlich noch nützen wird, ist völlig ungewiss.

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