Umstrittene PR-Kampagne
DJ Bobo soll Arztkosten senken

Der Kanton Luzern will etwas gegen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen tun. Sein Rezept: Die Bevölkerung soll – mit der Hilfe von DJ Bobo – weniger zum Arzt. Doch wie viel tragen die Patienten wirklich zur Gesundheitsmisere bei?
Publiziert: 05.02.2019 um 00:54 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2019 um 10:23 Uhr
«Gehen Sie nicht wegen jedem Bobo zum Arzt!»: Die Gesundheitskampagne des Kantons Luzern mit Musiker DJ Bobo appelliert an die Eigenverantwortung. Mit diesem Plakat will der Kanton Luzern die Bevölkerung dazu bringen, nicht wegen jedes Wehwechens zum Arzt zu gehen.
Foto: Gesundheits- und Sozialdepartement Kanton Luzern
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Lea Hartmann und Patricia Broder

Im Kanton Luzern lächelt ab heute DJ Bobo (51) von den Plakatwänden. Der Popstar macht nicht etwa Werbung für seine aktuelle Tournee – sondern lässt sich vom Kanton Luzern für eine Gesundheitskampagne einspannen. «Gehen Sie nicht wegen jedem Bobo zum Arzt!», lautet die Botschaft in Anspielung an den Künstlernamen. Der Kanton will damit versuchen, das Kostenwachstum im Gesundheitswesen und in der Folge die Prämienexplosion zu bremsen. 

«Jeder Bagatellfall verursacht unnötige Kosten», sagt der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf (60). Zudem seien die Notfallpraxen aufgrund dieser Fälle teilweise überlastet – was zum Nachteil derjenigen sei, die wirklich ärztliche Hilfe bräuchten. Ein Blick in die Statistik zeigt, dass die Zahl der Arztbesuche tatsächlich gestiegen ist – gesamtschweizerisch um zehn Prozent zwischen 2013 und 2017. Allerdings lässt sich nicht genau sagen, wie viel davon tatsächlich auf Bagatellfälle zurückzuführen ist.

Kanton rät nicht generell vom Arztbesuch ab

Graf wie auch Kantonsarzt Roger Harstall (49) betonen, das Ziel der Kampagne sei nicht, generell vom Arztbesuch abzuraten. «Es geht nicht darum, mit der Kampagne die Früherkennung von ernsthaften Krankheiten zu unterlaufen», so Harstall. Es sei allerdings Tatsache, dass heute viele Menschen schon «mit einer einfachen Erkältung ärztlichen Rat aufsuchen, obwohl sie die Symptome gut selbst behandeln könnten».

Wegen solcher Kleinigkeiten nicht zum Arzt zu gehen, lohne sich auch für den Einzelnen: «Er vermeidet eine unnütze Konsultation, bei der er lange warten muss, und bei dem für ihn Kosten entstehen», argumentiert Harstall. Indirekt spare er damit zudem Prämien und Steuern.

DJ Bobo hat nicht viel zum Thema zu sagen

100'000 Franken lässt sich der Kanton die Kampagne kosten. Auf die Idee, DJ Bobo dafür einzuspannen, kam man in den Amtsstuben, als man an einem griffigen Slogan hirnte. «DJ Bobo zeigte sich sehr interessiert», sagt Graf – und so kams zur Zusammenarbeit mit dem Aargauer Superstar.

Dieser weilt gerade in den USA und ist für BLICK nicht erreichbar. Einzig auf der Kampagnen-Website ist ein kurzes Statement zu lesen: «Bei Heiserkeit muss ich meine Stimme schonen. Mit Salzwasser gurgeln hilft da genauso gut, wie eine halbe Stunde beim Hausarzt.»

Kampagne habe «schalen Beigeschmack»

Die neue Kampagne im Kampf gegen die steigenden Gesundheitskosten kommt nur wenige Tage, nachdem der Kanton Luzern vom Bundesgericht in Sachen Prämienverbilligung zurückgepfiffen worden ist. Weil er in seiner Sparwut die Einkommensobergrenze für die Verbilligungen zu hoch angesetzt hat, muss er nun Tausenden Familien Bezüge nachzahlen und bei der Festlegung der Limiten über die Bücher.

Vor diesem Hintergrund habe die neue Kampagne des Gesundheitsdepartements einen «schalen Beigeschmack», findet David Roth (33), Präsident der kantonalen SP, die wegen der Prämienverbilligungen gegen den Kanton vor Gericht gezogen war. «Man wird den Eindruck nicht los, dass der Kanton diejenigen, die zu Unrecht keine Prämienverbilligungen erhalten, nun noch zum Sparen ermahnen will», sagt er. Nach dem Motto: Wenn der Kanton schon nicht sparen darf, dann sollen es gefälligst die Prämienzahler tun.

«Das Hauptproblem sind nicht die Patienten»

Äusserst kritisch beurteilt auch Gesundheitsökonom Heinz Locher (75) die Bobo-Kampagne. «Man sollte den überforderten Menschen besser Hilfe anbieten, statt den Moralapostel zu spielen», so sein vernichtendes Urteil. Auch die Krankenkassen sind skeptisch.

Matthias Müller vom Verband Santésuisse sagt, es sei «gut und recht», wenn man dazu aufruft, nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt zu gehen. Fakt ist aber: Oft sind es die Ärzte, die die Patienten zu häufig aufbieten.»

Der Luzerner Regierungsrat Guido Graf verteidigt die Kampagne. Dass es im Gesundheitssystem Fehlanreize gebe, sei eine Tatsache. Auf Seiten der Leistungserbringer, also Krankenkassen, Ärzte und Spitäler, habe man deshalb auch schon Massnahmen zur Kostendämmung eingeführt. Nun sind aus Sicht des Kantons Luzern die Patienten dran.

So vermeiden Sie unnötige Arztbesuche

20 Prozent der Behandlungen sind unnötig oder unwirksam, schätzt der Bundesrat. Manchmal liegt das an den Patienten – doch auch die Versicherten haben ein Interesse daran, dass diese Zahl sinkt: Sie bezahlen die Kosten nämlich mit ihren Krankenkassenprämien.

  • Bei vielen Bobos kann man auf bewährte Hausmittel zurückgreifen: Zwieback und Tee bei Magenweh und Durchfall, selbst gemachter Hustensaft aus Zwiebeln und Honig, Dampfinhalationen bei Schnupfen.
  • Oft – bei einer Erkältung oder einem grippalen Infekt mit Gliederschmerzen, bei leichten Verstauchungen oder Ohrenweh – reicht auch ein Gang in die Apotheke. Die Mitarbeiter dort können in vielen Fällen direkt helfen. Erst wenn sich die Erkrankung nach einigen Tagen nicht verbessert, sollte der Arzt aufgesucht werden.
  • Wer ein Versicherungsmodell mit Telemedizin hat, kann sich dort Rat holen. Die medizinisch geschulten Mitarbeiter der Telefonhotline können eine Triage durchführen und sagen, ob ein Besuch beim Doktor angezeigt ist.
  • Manche Krankenkassen bieten sogar Apps an, die mit einfachen Fragen dem Gesundheitsproblem auf den Grund gehen und ein weiteres Vorgehen empfehlen.
  • Und wenn es doch der Arzt sein muss: Gehen Sie zuerst zu Ihrem Hausarzt und nicht direkt zum Spezialisten. Ihr Hausarzt kennt sie besser – und ist günstiger als der Spezialist.

20 Prozent der Behandlungen sind unnötig oder unwirksam, schätzt der Bundesrat. Manchmal liegt das an den Patienten – doch auch die Versicherten haben ein Interesse daran, dass diese Zahl sinkt: Sie bezahlen die Kosten nämlich mit ihren Krankenkassenprämien.

  • Bei vielen Bobos kann man auf bewährte Hausmittel zurückgreifen: Zwieback und Tee bei Magenweh und Durchfall, selbst gemachter Hustensaft aus Zwiebeln und Honig, Dampfinhalationen bei Schnupfen.
  • Oft – bei einer Erkältung oder einem grippalen Infekt mit Gliederschmerzen, bei leichten Verstauchungen oder Ohrenweh – reicht auch ein Gang in die Apotheke. Die Mitarbeiter dort können in vielen Fällen direkt helfen. Erst wenn sich die Erkrankung nach einigen Tagen nicht verbessert, sollte der Arzt aufgesucht werden.
  • Wer ein Versicherungsmodell mit Telemedizin hat, kann sich dort Rat holen. Die medizinisch geschulten Mitarbeiter der Telefonhotline können eine Triage durchführen und sagen, ob ein Besuch beim Doktor angezeigt ist.
  • Manche Krankenkassen bieten sogar Apps an, die mit einfachen Fragen dem Gesundheitsproblem auf den Grund gehen und ein weiteres Vorgehen empfehlen.
  • Und wenn es doch der Arzt sein muss: Gehen Sie zuerst zu Ihrem Hausarzt und nicht direkt zum Spezialisten. Ihr Hausarzt kennt sie besser – und ist günstiger als der Spezialist.
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