Und die Schweiz will noch mehr zahlen
Skandale kommen Frontex teuer zu stehen

Die Schweiz soll der EU-Grenzschutzbehörde Frontex mehr Geld geben – so wollen es Bundesrat und Parlament. Dabei ist die Agentur in krasse Skandale verstrickt. Die haben jetzt sogar dazu geführt, dass das EU-Parlament die Rechnung nicht genehmigen will.
Publiziert: 01.04.2022 um 20:34 Uhr
Sie sollten für Recht und Ordnung an der EU-Aussengrenze sorgen. Die Polizisten und Grenzwächter von Frontex.
Foto: keystone-sda.ch
1/7
Sermîn Faki

Knall in Brüssel: Der Haushaltsausschuss des EU-Parlaments verweigert der Grenzschutzagentur Frontex die Décharge. Er beantragt dem Europäischen Parlament, die Rechnung für das Jahr 2020 nicht zu genehmigen.

Grund sind massive Vorwürfe der EU-eigenen Antibetrugsbehörde (Olaf). Diese hat ein Jahr lang ermittelt und hält nun fest, dass die Frontex-Spitze um Chef Fabrice Leggeri (54) in Mobbing und die illegale Zurückdrängung von Migranten an der EU-Aussengrenze verwickelt ist.

Bericht zu heiklem Zeitpunkt

Was die Schweiz das kümmern muss? Am 15. Mai stimmen wir darüber ab, ob die Schweiz Frontex mehr Geld und Personal zur Verfügung stellen soll. Nach der Migrationskrise 2015 hat die EU entschieden, die Grenzschutzbehörde auf 10'000 Polizistinnen und Grenzwächter aufzustocken. Laut Finanzdepartement wird der Schweizer Beitrag von heute 24 Millionen Franken im Jahr bis 2027 auf 61 Millionen steigen.

Darum geht es bei der Frontex-Abstimmung

Die EU will den Schutz ihrer Aussengrenzen verbessern. Dazu soll die Grenzschutzagentur Frontex massiv mehr Mittel erhalten. Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz verpflichtet, sich daran zu beteiligen. Von wie heute 14 Millionen Franken jährlich soll sich der Frontex-Beitrag bis 2027 auf 61 Millionen Franken erhöhen. Zudem soll die Schweiz mehr Personal zur Verfügung stellen. Dagegen haben linke Kreise das Referendum ergriffen. Frontex spiele eine zentrale Rolle beim Ausbau der «Festung Europa», sagen sie.

Die EU will den Schutz ihrer Aussengrenzen verbessern. Dazu soll die Grenzschutzagentur Frontex massiv mehr Mittel erhalten. Als Schengen-Mitglied ist die Schweiz verpflichtet, sich daran zu beteiligen. Von wie heute 14 Millionen Franken jährlich soll sich der Frontex-Beitrag bis 2027 auf 61 Millionen Franken erhöhen. Zudem soll die Schweiz mehr Personal zur Verfügung stellen. Dagegen haben linke Kreise das Referendum ergriffen. Frontex spiele eine zentrale Rolle beim Ausbau der «Festung Europa», sagen sie.

Mehr

Weil migrantische und linke Kreise dagegen das Referendum ergriffen haben, hat das Volk das letzte Wort. Gemäss der ersten SRG-Umfrage wollen 63 Prozent Ja sagen. Gemäss Politologe Claude Longchamp (65) könnte es aber auch deutlich knapper werden.

Frontex guckte weg und vertuschte

Just in diesem politisch heiklen Moment macht Frontex Negativschlagzeilen. Die Grenzschutzagentur, die dafür sorgen muss, dass an der EU-Aussengrenze alles mit rechten Dingen zugeht, soll illegale Rückführungsaktionen nicht nur toleriert, sondern gar vertuscht haben, lautet ein Vorwurf.

Beispielsweise in Griechenland: Dessen Küstenwache stoppt Flüchtlingsboote auf dem Meer, zerstört die Motoren, schleppt die Boote wieder in türkische Gewässer und überlässt die Menschen, darunter oft auch Kinder, auf offenem Meer ihrem Schicksal. Dutzende solcher Aktionen sind dokumentiert, einige überwachte Frontex gar live, wie Recherchen des deutschen Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» kürzlich zeigten.

Manchmal, so der «Spiegel», würden die Grenzbeamten sogar Schutzsuchende zurückschicken, die schon eine der griechischen Inseln erreicht hatten. Menschenrechtler nennen solche Aktionen Pushbacks. Sie sind ein klarer Verstoss gegen EU-Recht.

Mobbing gegen Kontrolleurin

Frontex ist eigentlich verpflichtet, solche Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Stattdessen soll Leggeri selbst dafür gesorgt haben, dass die Meldungen nicht einmal untersucht wurden.

Ähnliche Vorwürfe treffen Frontex im Fall von Ungarn – dort sah die Agentur selbst dann weiter zu, nachdem der Europäische Gerichtshof geurteilt hatte, dass die ungarischen Flüchtlingsrückführungen nach EU-Recht illegal sind.

Menschenrechte scheinen dem Frontex-Chef egal zu sein. Das zeigt sich auch daran, dass die ihm zur Seite gestellte Grundrechtsbeauftragte Inmaculada Arnáez gezielt gemobbt wurde. Während sie krankgeschrieben war, schrieb Leggeri einfach ihre Stelle aus – und wurde dafür auch von der EU-Kommission gerügt, die das Vorgehen «schlicht und einfach illegal» nannte.

Molina fordert Veröffentlichung

Die Gegner der Frontex-Aufstockung sehen sich dadurch in all ihren Befürchtungen bestätigt. «Das zeigt, dass es bei Frontex ernsthafte Probleme gibt und dass es dringend eine Debatte über die europäische Flüchtlingspolitik braucht», sagt etwa SP-Nationalrat Fabian Molina (31). «Das Abschreckungssystem funktioniert schon heute nur in der Illegalität – und jetzt will man es noch auf 10'000 Mann ausbauen?»

Molina fordert, dass der bis jetzt streng geheime Bericht – selbst EU-Parlamentarier haben nur eine mündliche Zusammenfassung durch den Olaf-Chef bekommen – veröffentlicht wird. Und zwar vor der Abstimmung. «Damit die Stimmbürger das gesamte Ausmass beurteilen können, bevor sie so viel Geld in Frontex stecken.»

Anders sieht das die Gegenseite. «Den Bericht kenne ich nicht, und dessen Wahrheitsgehalt kann ich folglich nicht beurteilen», gibt Mitte-Ständerätin Andrea Gmür (57) zu. Aber er zeige zumindest, dass die EU allen Vorwürfen doppelt und dreifach nachgeht, die Kontrolle also sehr ernst genommen werde.

Sie hält fest: «Wenn es tatsächlich Pushbacks gegeben hat, ist das absolut inakzeptabel.» Die Sicherheitskommission des Ständerats habe die Vorwürfe genau geprüft. Mitarbeitende aus der Schweiz seien nicht in Pushbacks involviert gewesen.» Der Grenzschutz aber bleibe trotz allem wichtig. Und mit der Aufstockung solle zudem eine Art Kontrollbehörde innerhalb von Frontex geschaffen werden, «um die Einhaltung aller Regeln zu gewährleisten».

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?