Parlament erlaubt Rechtsvorbeifahren
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Aber Spurwechsel bleibt verboten:Parlament erlaubt Rechtsvorbeifahren

Unfallexperten warnen vor Rechtsüberholen
«Es wird gefährlicher für alle auf der Autobahn»

Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) will vom generellen Rechtsvorbeifahren auf Autobahnen nichts wissen. Und schon gar nichts vom Ende des Rechtsüberholverbots. Experte Stefan Siegrist warnt vor mehr Kollisionen und Staus.
Publiziert: 24.01.2019 um 09:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2019 um 12:14 Uhr
Stefan Siegrist, Direktor der Beratungsstelle für Unfallverhütung, will von einer Regelanpassung nichts wissen.
Foto: Zvg
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Bundesrat und Parlament wollen das Rechtsvorbeifahren auf den Autobahnen grundsätzlich erlauben. Am Rechtsüberholverbot hält der Bundesrat zwar fest, doch dafür geben nun die Kantone Gas: Gleich das Rechtsüberholen zu erlauben «wäre konsequenter», monieren mehrere Kantone (BLICK berichtete). 

Den Unfallexperten geht das gegen den Strich. Die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) will an der heutigen Regelung am liebsten gar nichts ändern, wie ihr Direktor Stefan Siegrist (57) im BLICK-Interview erklärt.

BLICK: Herr Siegrist, das Rechtsvorbeifahren auf den Autobahnen soll grundsätzlich erlaubt werden. Macht diese Neuregelung Sinn?
Stefan Siegrist:
Nein. Bis eine solche Regelung von allen verstanden und umgesetzt wird, dauert es seine Zeit. Es wäre mit einer schwierigen Übergangsphase zu rechnen, da die Regelung neue, unsichere Situationen für die Autofahrer mit sich bringt. Das Fazit ist daher klar: Das Unfallrisiko würde steigen.

Sie trauen den Leuten den Wechsel nicht zu?
Es ist keine Frage des Vertrauens, sondern der Gewohnheit. Wir kennen die Tradition des Rechtsvorbeifahrens nicht. Wir wären zudem das einzige Land in Europa, welches dieses erlauben würde. Das bedeutet, dass sich ausländische Autofahrer diese Regelung ebenfalls nicht gewohnt sind. Die Gefahr steigt also.

Trotzdem ist die heutige Regelung doch unbefriedigend: Das Rechtsvorbeifahren ist in Ausnahmefällen zwar erlaubt, es bleibt aber ein Graubereich.
Nein, die heutige Regelung ist weitgehend auf Situationen mit dichtem Kolonnenverkehr beschränkt. Das funktioniert weitgehend problemlos. Ich weiss nicht, weshalb man eine funktionierende Regelung über Bord werfen will, um sie mit einer risikoreicheren zu ersetzen.

Sie befürchten mehr Verletzte oder gar Tote?
Ich will keine konkreten Zahlen nennen. Wird das Rechtsvorbeifahren aber generell erlaubt, rechne ich mit mehr Kollisionen – damit auch mit mehr Schwerverletzten und allenfalls Toten – und mit mehr Staus. 

Die Kantone wollen gar einen Schritt weiter gehen und stellen das Rechtsüberholverbot in Frage.
Das kommt für uns nicht in Frage. Damit würde das Unfallrisiko nochmals zusätzlich erhöht.

Wäre es nicht gerade umgekehrt, indem eine wirklich klare Regelung geschaffen würde?
Nein, denn mit dem Rechtsüberholen ist auch eine höhere Geschwindigkeit verbunden. Diese ist für den Linksfahrer nicht immer abschätzbar. So dass er trotzdem wieder auf die rechte Spur einbiegt, obwohl auf dieser ein Fahrzeug heranbraust. Die Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen ist begrenzt. Die häufigste Unfallursache im Strassenverkehr ist die: Man «sieht» zwar, «erkennt» aber nicht. Mit einer Lockerung wird es daher für alle gefährlicher auf der Autobahn.

Sie übertreiben. In den USA zum Beispiel ist das Rechtsüberholen gang und gäbe.
Wir haben dafür pro gefahrenen Kilometer nur einen Viertel Verkehrstote wie die USA. Allerdings lassen sich die beiden Länder nicht direkt vergleichen: Bei uns gibt es mehr Ein- und Ausfahrten, was zu mehr Spurwechseln führt. Zudem sind die meisten Autobahnen bei uns nur zweispurig, in den USA mehrspurig. 

SVP-Nationalrat Erich Hess fordert, dass das Rechtsüberholen wenigstens nicht mehr so hart bestraft wird. Nur noch eine Ordnungsbusse soll es geben. Was halten Sie davon?
Die Strafhöhe ist für uns kein zentrales Thema. Natürlich sollte aber eine gewisse abschreckende Wirkung vorhanden sein. Entscheidend dafür ist aber weniger die Strafhöhe, als vielmehr genügend Kontrollen.

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