Unternehmen wollen Geld vom Bund
Nur jede zehnte Firma fördert Milizsystem

Die Wirtschaft bekennt sich zwar zur Schweizer Milizpolitik – aktiv fördern tun sie aber die wenigsten Unternehmen. Das zeigt eine neue Studie. Offen ist man indes für Staatshilfe.
Publiziert: 08.11.2021 um 00:51 Uhr

Die Credit Suisse zahlt ihre Mitarbeitenden auch, wenn sie gar nicht für sie arbeiten. Bis zu 20 Prozent ihrer Arbeitszeit können Angestellte der Grossbank bei einer 100-Prozent-Anstellung für ein öffentlich gewähltes Amt aufwenden – zum Beispiel für den Gemeinde- oder Kantonsrat. Auch beim Versicherungskonzern Zurich dürfen Mitarbeitende maximal einen Tag pro Woche auf Arbeitszeit politisieren.

Von solchem Entgegenkommen des Arbeitgebers kann eine Mehrheit der Milizpolitikerinnen und -politiker im Land nur träumen. Die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Milizamt ist einer der Hauptgründe, weshalb viele Gemeinden grosse Schwierigkeiten haben, Kandidierende zu finden.

Taten statt Worte?

Das ist der Wirtschaft bewusst. 2015 haben der Wirtschaftsverband Economiesuisse und der Arbeitgeberverband in einer Absichtserklärung versprochen, das Milizprinzip aktiv zu fördern. Denn es habe massgeblich zum heutigen Wohlstand der Schweiz beigetragen. Über 200 Unternehmen hatten das Manifest damals unterzeichnet.

Polit-Personal gesucht: Viele Gemeinden haben grosse Mühe, Posten im Gemeinderat zu besetzen.
Foto: Wikipedia
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Auf die Worte folgten allerdings nur wenige Taten, wie eine neue Studie der Fachhochschule Graubünden und des Milizexperten Andreas Müller (56) zeigt. Von gut 500 befragten Unternehmen geben nur 9 Prozent an, das politische Milizsystem aktiv fördern zu wollen. 70 Prozent sehen keinen Bedarf. Besonders mittelgrosse Unternehmen sind zurückhaltend.

«Deutlicher Handlungsbedarf»

Aus Sicht der Studienautoren besteht «deutlicher Handlungsbedarf». Die befragten Milizpolitiker wünschen sich von der Wirtschaft ein stärkeres Engagement – und mehr Wertschätzung. Gefragt ist insbesondere die Förderung flexibler Arbeitszeit oder der Zugang zur Infrastruktur des Arbeitgebers für die Amtsausübung.

FDP-Ständerat Damian Müller (37) ist sich sicher, dass sich das für Unternehmen lohnt. «Engagierte Milizpolitiker fallen häufig auch am Arbeitsplatz als sehr engagiert und belastbar auf und sind sehr motiviert», sagt der Luzerner, der neben seinem Amt Teilzeit bei der Mobiliar arbeitet. Die Personen würden dem Arbeitgeber aber auch durch ihr spezifisches Wissen und ihre Kompetenzen einen Mehrwert bringen.

Unternehmen sind für Staatshilfe

Doch während die befragten Milizpolitiker die Wirtschaft in die Pflicht nehmen, gibt diese den Ball an den Staat weiter. 58 Prozent der Unternehmen sprechen sich dafür aus, dass der Bund für politische Milizarbeit – gleich wie beim Militär- oder Zivildienst – Erwerbsersatz (EO) zahlt.

Eine politisch umstrittene Forderung. Für den Freisinnigen Müller kommt das, aller Liebe zum Milizwesen zum Trotz, nicht infrage. Auch SVP-Nationalrätin und Unternehmerin Diana Gutjahr (37) hält nichts von Staatshilfe. Im Blick auf die kommunale und kantonale Politik findet sie: «Statt dass sich die Wirtschaft an die Verwaltung anpasst, muss sich die Verwaltung an die Wirtschaft anpassen.» Und zum Beispiel Sitzungen nicht mitten am Nachmittag ansetzen.

«Wirtschaft bleibt in der Pflicht»

Anders sieht das SP-Nationalrätin Priska Seiler Graf (53). Sie unterstütze alle Anstrengungen, um das Milizsystem zu stärken, sagt die Berufspolitikerin, die lange Stadträtin in Kloten ZH war. Auch staatlichen Unterstützungsmassnahmen ist sie nicht abgeneigt. «Aber die Wirtschaft bleibt mit oder ohne staatliche Unterstützung in der Pflicht. Miliztätigkeit muss möglich gemacht werden. Das gehört zu unserem System.»

Seiler-Graf sieht besonders auch auf nationaler Ebene Handlungsbedarf. «Dort ist die Miliztauglichkeit sehr infrage gestellt», findet sie. «Wer das verneint, macht entweder die Arbeit nicht richtig oder schwindelt.»

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