So stehen die Chancen für die Abtreibungs-Initiativen
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Polit-Experte Lukas Golder:So stehen die Chancen für die Abtreibungs-Initiativen

US-Urteil und seine Folgen für die Schweiz
«Das Urteil ermutigt Schweizer Abtreibungsgegnerinnen»

Zwei Volksinitiativen wollen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Schweiz einschränken. Nach dem vom höchsten US-Gericht verhängten Abtreibungsverbot steigt die Angst, dass nun in der Schweiz die Diskussion darüber neu entflammt.
Publiziert: 30.06.2022 um 10:39 Uhr
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Aktualisiert: 30.06.2022 um 10:41 Uhr
Sophie Reinhardt

Das amerikanische Abtreibungsverbot befeuert die Debatte in der Schweiz. Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs ist es Frauen in mehreren US-Staaten nicht mehr möglich, legal abzutreiben – auch nicht nach einer Vergewaltigung oder einem Inzest. Am Dienstag gab es in mehreren Schweizer Städten Proteste dagegen.

Kathrin Bertschy (42), Alliance-F-Präsidentin und GLP-Nationalrätin, befürchtet, dass nun auch hierzulande die Diskussion darüber neu entbrennt. Zwar gebe es in der Schweiz eine gefestigte Position zur Selbstbestimmung der Frau und dem Recht auf Abtreibung. «Das Urteil ermutigt Schweizer Abtreibungsgegnerinnen aber.»

So sind Abtreibungen in der Schweiz geregelt
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Der SVP reicht das nicht:So sind Abtreibungen in der Schweiz geregelt
In den USA hat das Abtreibungs-Urteil des Obersten Gerichtshofs massive Proteste ausgelöst.
Foto: IMAGO
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Zwei Initiativen gegen die Fristenlösung

Die Gegner haben bereits einen Angriff auf die Fristenlösung in der Schweiz gestartet. Die SVP-Politikerinnen Yvette Estermann (55) und Andrea Geissbühler (45) sammeln aktuell Unterschriften für zwei Volksinitiativen.

Abtreibungen immer wieder unter Druck

Heute darf eine Frau in der Schweiz bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abtreiben. Danach wird es schwieriger, ist aber immer noch erlaubt, sofern die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren stark gefährdet ist. Die sogenannte Fristenregelung gilt seit dem 2. Juni 2002.

Barbara Haering (68) hat als ehemalige SP-Nationalrätin an vorderster Front für die legale Abtreibung gekämpft. Vor knapp 30 Jahren reichte sie den Vorstoss für die Fristenregelung im Parlament ein, der damals nicht nur von den linken Parteien, sondern auch von den SVP-Frauen unterstützt wurde.

Immer wieder bekämpft

Angesichts der beiden hängigen Initiativen sagt sie: «Alle paar Jahre wird das Thema wieder aufgebracht.» 2014 etwa versuchte die EDU Abtreibungen und Sterbehilfe durch die Verfassung verbieten zu lassen. Die Initiative «Lebensschutz stopft Milliardenloch» scheiterte im Sammelstadium.

Im selben Jahr verlangte SVP-Nationalrätin Verena Herzog (65) im Parlament «Massnahmen zur Reduktion der Schwangerschaftsabbrüche». Gleichzeitig wollte eine Volksinitiative erreichen, dass Abtreibungen nicht von der Grundversicherung bezahlt werden. Sie wurde von knapp 70 Prozent der Stimmbevölkerung abgelehnt. Danach wollten mehrere SVP-Nationalräte im Parlament thematisieren, wie man in der Schweiz «Spätabtreibungen» reduzieren will. Weder Bundesrat noch Parlament sahen dies als wichtig an.

Noch immer im Strafgesetzbuch

Noch heute ist der Schwangerschaftsabbruch im Schweizerischen Strafgesetzbuch verankert. So steht im Artikel 119, dass dieser nur dann straflos ist, «wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann». Die Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet (32) hat eine parlamentarische Initiative eingereicht, um Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. (sie)

Heute darf eine Frau in der Schweiz bis zur zwölften Schwangerschaftswoche abtreiben. Danach wird es schwieriger, ist aber immer noch erlaubt, sofern die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren stark gefährdet ist. Die sogenannte Fristenregelung gilt seit dem 2. Juni 2002.

Barbara Haering (68) hat als ehemalige SP-Nationalrätin an vorderster Front für die legale Abtreibung gekämpft. Vor knapp 30 Jahren reichte sie den Vorstoss für die Fristenregelung im Parlament ein, der damals nicht nur von den linken Parteien, sondern auch von den SVP-Frauen unterstützt wurde.

Immer wieder bekämpft

Angesichts der beiden hängigen Initiativen sagt sie: «Alle paar Jahre wird das Thema wieder aufgebracht.» 2014 etwa versuchte die EDU Abtreibungen und Sterbehilfe durch die Verfassung verbieten zu lassen. Die Initiative «Lebensschutz stopft Milliardenloch» scheiterte im Sammelstadium.

Im selben Jahr verlangte SVP-Nationalrätin Verena Herzog (65) im Parlament «Massnahmen zur Reduktion der Schwangerschaftsabbrüche». Gleichzeitig wollte eine Volksinitiative erreichen, dass Abtreibungen nicht von der Grundversicherung bezahlt werden. Sie wurde von knapp 70 Prozent der Stimmbevölkerung abgelehnt. Danach wollten mehrere SVP-Nationalräte im Parlament thematisieren, wie man in der Schweiz «Spätabtreibungen» reduzieren will. Weder Bundesrat noch Parlament sahen dies als wichtig an.

Noch immer im Strafgesetzbuch

Noch heute ist der Schwangerschaftsabbruch im Schweizerischen Strafgesetzbuch verankert. So steht im Artikel 119, dass dieser nur dann straflos ist, «wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann». Die Grünen-Nationalrätin Léonore Porchet (32) hat eine parlamentarische Initiative eingereicht, um Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. (sie)

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Die eine Initiative will einen Tag Bedenkzeit vor jedem Schwangerschaftsabbruch einführen. Die andere will Spätabtreibungen verbieten, die zu einem Zeitpunkt erfolgen, an dem das Kind ausserhalb des Mutterleibes mit medizinischer Hilfe lebensfähig wäre. Heute sind diese erlaubt, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist. Auch eine Behinderung des Ungeborenen kann Grund für einen späten Abbruch sein, da diese manchmal erst spät diagnostiziert wird.

Initiantinnen sehen sich bestärkt

«Wir finden es gut, dass die Bevölkerung im Moment stark auf dieses Thema sensibilisiert wird», sagt Geissbühler auf die Frage, was der US-Entscheid für die Schweiz bedeute. Ihre Initiativen haben beide zum Ziel, «das grosse Leid, das bei Abtreibungen für alle Beteiligten entsteht, mit moderaten Massnahmen zu reduzieren». Bisher – die Sammelfrist läuft noch knapp zwölf Monate – seien sie zufrieden mit der Unterschriftensammlung, sagen Estermann und Geissbühler.

Allerdings halten die beiden vor allem ihre prominenten Köpfe hin. Bei der Ausarbeitung der Initiativen waren sie nicht beteiligt. Dahinter stecken Organisationen wie der Verein Mamma, der sich radikal gegen Abtreibungen wehrt. Estermann und Geissbühler wurden von David Trachsel (27), dem Präsidenten der Jungen SVP, für das Co-Präsidium angefragt, wie die «Aargauer Zeitung» berichtete.

Wenig Support von Parteien

Bisher hat sich auch keine Partei hinter das Anliegen der SVP-Frauen gestellt, nicht mal die eigene. So sagte SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi (43) im «SonnTalk» von Tele Züri, er sei der Meinung, «dass die aktuell in der Schweiz geltende Fristenlösung gut funktioniert». Ebenfalls vehement dagegen äussert sich die neue Präsidentin der SVP Stadt Zürich. Sie werde die Initiative bekämpfen, kündigte Camille Lothe (28) an.

Geissbühler und Estermann geben sich betont gelassen. «Der Schutz von ungeborenem Leben ist kein Thema einer bestimmten Partei. Wähler aller Parteien stimmen dem zu oder lehnen diese Initiativen ab, je nach persönlicher Überzeugung», so Estermann.

Alliance-F-Co-Präsidentin Bertschy ist daher besorgt. Viele gesellschaftspolitische Themen würden mit ein paar Jahren Verspätung aus den USA in die Schweiz überschwappen, sagt sie. Schliesslich handle es sich um eine der wichtigsten Demokratien der Welt. Dass nach Polen und den USA nun auch in der Schweiz wieder über die Regeln der Abtreibungen diskutiert wird, «muss uns nachdenklich stimmen», so Bertschy.

Abstimmung kommt, hat aber wenig Chancen auf Sieg

Politologe Lukas Golder (47) geht davon aus, dass die nötigen 100'000 Unterschriften für die beiden Initiativen zusammenkommen. «Es gibt ein fundamental-christliches Milieu in der Schweiz, dem ich das zutraue», so der Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern. Es könne durchaus sein, dass dieses Milieu sich durch das Urteil in den USA bestärkt fühle.

In einer Volksabstimmung sehe es dann aber anders aus, ist er überzeugt. «Es ist nicht realistisch, dass eine Mehrheit in der Schweizer Stimmbevölkerung diese Haltung teilt.» Es könne im Gegenteil zu einem Bumerang-Effekt kommen: «Frauenbewegungen auf der ganzen Welt sind alarmiert, dass Rechtskonservative wieder an der Fristenregelung rütteln.»

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