Viele Therapien nicht von Versicherungen gedeckt
«Impfgeschädigte sind nach wie vor im luftleeren Raum»

Erstmals erhält in der Schweiz jemand eine Entschädigung wegen eines Corona-Impfschadens. Gregor Haab vom Verein Post-Vakzin-Syndrom Schweiz spart trotzdem nicht mit Kritik.
Publiziert: 04.10.2024 um 09:57 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2024 um 15:59 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Bund entschädigt erstmals Person mit Corona-Impfschaden
  • Viele Therapien für Impfgeschädigte nicht von Versicherungen gedeckt
  • Swissmedic meldet 6950 schwerwiegende Verdachtsfälle
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
«Wir sind auch frustriert»: Gregor Haab vom Verein Post-Vakzin-Syndrom Schweiz.
Foto: PD/PVS, Salvatore Di Nolfi/KEYSTONE – Montage: Beobachter
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Chantal Hebeisen
Beobachter

Der Bund hat erstmals einer Person mit einem Corona-Impfschaden eine Entschädigung zugesprochen. Was bedeutet dieser Entscheid für andere Betroffene?
Viele Menschen mit Corona-Impfschäden haben ihre Entschädigungsanträge vor über zwei Jahren gestellt – und warten immer noch auf einen Bescheid. Bei anderen wurde er in der ersten Instanz abgelehnt. Der jetzige Entscheid hat darum Signalwirkung. Und er zeigt endlich, dass schwerwiegende Impfnebenwirkungen Realität sind. Allerdings sind wir vom Verein auch frustriert.

Warum?
Ich kenne den behandelten Fall nicht im Detail, aber eine Genugtuung von 12’500 Franken und eine Entschädigung von 1360 Franken scheint mir ein relativ geringer Betrag. Anspruch auf eine Entschädigung haben ja nur Leute, die einen schwerwiegenden Schaden erlitten haben – und dieser verursacht meist massiv höhere Kosten, wie viele unserer Vereinsmitglieder berichten. Etwa für einen Rechtsbeistand, die effektiven Heilungskosten oder eine Entschädigung bei Erwerbsausfall.

Sie zählen Punkte auf, die eigentlich versichert sind, etwa die Heilungskosten.
Zahlreiche vielversprechende Therapien für Impfgeschädigte sind weder durch die Grundversicherung noch die Zusatzversicherung gedeckt. Auch ein Off-Label-Use – also wenn Medikamente für andere Zwecke als die durch Swissmedic zugelassenen verwendet werden – wird vielfach nicht übernommen. Oder nur, wenn man sich wehrt. Auch Therapien, die bislang nur im Ausland angeboten werden und vielversprechend sind für gewisse Krankheitsbilder, sind nicht durch die Grundversicherung gedeckt.

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Und die Erwerbsausfälle? Die sind doch in der Regel durch die Invalidenversicherung gedeckt.
Nur teilweise. Wenn ein IV-Antrag überhaupt gutgeheissen wird, erreichen Betroffene auch bei einer Vollrente nicht 100 Prozent ihres vorherigen Lohnes. Es entstehen über Jahre Deckungslücken. Wir fordern, dass der Bund diese Differenz übernimmt. Die Impfgeschädigten waren während der Pandemie solidarisch und haben sich impfen lassen. Jetzt fordern wir Solidarität vom Bund und faire Entschädigungen. Die ganze Impfkampagne hat den Schweizer Staat Milliarden von Franken gekostet – und jetzt soll nicht genug Geld vorhanden sein, um die angeblich wenigen Betroffenen angemessen zu entschädigen. Das ist weder gerecht noch nachvollziehbar!

Von wie vielen Betroffenen sprechen wir denn?
Unser Verein hat aktuell rund 300 Mitglieder – aber das sind natürlich nicht alle Betroffenen. Laut Swissmedic gibt es 6950 Verdachtsfälle, die als schwerwiegend eingestuft werden. Wir gehen aber von einer viel grösseren Dunkelziffer aus.

Warum?
Eine 2023 publizierte Studie der Universitäten Luzern und Zürich, des Unispitals Zürich und Swissmedic zeigte, dass nur 10 Prozent der Hospitalisationen, die wegen unerwünschter Nebenwirkungen notwendig sind, an Swissmedic gemeldet wurden. Obwohl medizinische Fachpersonen gesetzlich dazu verpflichtet wären. Die Studie untersuchte zwar nicht spezifisch die gemeldeten schweren Nebenwirkungen der Covid-Impfung. Wir gehen aber davon aus, dass die Untererfassung hier genauso gross ist.

Sie fordern eine zentrale Anlaufstelle. Warum braucht es die?
Impfgeschädigte sind nach wie vor im luftleeren Raum, sie erhalten weder von den Behörden noch von der Medizin spezifische Unterstützung. Es braucht eine eng verzahnte, interdisziplinäre Fachstelle, die sich auch laufend über neueste wissenschaftliche Erkenntnisse mit ausländischen Kolleginnen und Kollegen austauscht. Ein Spezialist oder Hausarzt hier in der Schweiz kann diese Arbeit gar nicht leisten. Und sie soll bei der Ärzteschaft und der Bevölkerung Aufklärung betreiben über Impfschäden und so zur Entstigmatisierung beitragen.

Was sagen Sie zum Vorwurf, gewisse Menschen würden unspezifische Leiden auf die Impfung abschieben, weil sie mit dem «Impfzwang» nicht einverstanden waren?
Das ist eine Anmassung! Man unterstellt den Leuten, sie würden etwas vorgaukeln, nur um ein politisches Statement zu machen. Die Impfgeschädigten werden in einen Topf geworfen mit Corona-Leugnern und Impfgegnern. Sie sind keine Impfgegner – im Gegenteil. Das haben sie gezeigt, indem sie solidarisch waren mit den besonders gefährdeten Personen und sich impfen liessen. Nun ist es an der Gesellschaft, sich solidarisch zu zeigen mit den Opfern der Impfung.

Kommt die Anlaufstelle nicht zu spät?
Wir fordern die Anlaufstelle seit Jahren, wurden bisher aber nicht gehört. Sie soll Impfgeschädigten und ihren Angehörigen helfen, eine für sie geeignete medizinische und finanzielle Unterstützung zu erhalten und sie beim Beantragen von Versicherungsleistungen und Entschädigungen zu unterstützen. Ebenso soll sie Betroffenen helfen bei den Abklärungen eines kausalen Zusammenhangs zwischen Impfung und den gesundheitlichen Schäden.

Sie kritisieren, der Bund habe im Mai 2024 plötzlich die Antragsformulare verändert. Warum ist das wichtig?
Es verunsichert die Betroffenen. Vor allem jene, deren Antrag bereits abgelehnt wurde oder die ihr Gesuch noch mit den alten Formularen eingereicht haben. Es tauchen Fragen auf, etwa, ob man ihren Antrag gutgeheissen hätte, wenn er nach dem neuen Prozess eingereicht worden wäre. Doch in den Ablehnungsschreiben gibt es weder eine juristische Aufklärung noch eine Rechtsmittelbelehrung. Und es wurden nachweislich Parameter verändert, etwa die Bandbreiten, wie viel Genugtuung Betroffene ab welchem Beeinträchtigungsgrad erhalten.

Das ist eine schwerwiegende Veränderung. Geht Ihr Verein diesem Punkt noch gesondert nach?
Wir sind unter anderem wegen dieser undurchsichtigen Prozesse fürs Beantragen einer Entschädigung in Kontakt mit Parlamentariern und Parlamentarierinnen sowie mit Vertretern des Bundesamts für Gesundheit. Eine Stellungnahme zu den Anpassungen gab es bis jetzt nicht.

Sie haben selbst einen solchen Antrag für Ihre Tochter ausgefüllt. Wie war das?
Wir waren rund ein Jahr mit dem Antrag beschäftigt. Wir haben alle Schritte mit einer Anwältin besprochen, wie wir den Kausalzusammenhang zwischen den Beeinträchtigungen meiner Tochter und der Impfung nachweisen können. Dazu haben wir einige zusätzliche Untersuchungen gemacht, die medizinisch nicht notwendig gewesen wären. Also nur, um den Anforderungen im Antrag Genüge zu leisten. Am Ende haben wir rund 7000 Franken und 100 Stunden Arbeit investiert und zwei Bundesordner eingereicht. Das ist kein Spaziergang – und es gibt vermutlich einige, die diesen Aufwand finanziell oder wegen ihrer eingeschränkten Kräfte nicht leisten können. Die bleiben auf der Strecke.

Wie geht es jetzt weiter?
Wir warten auf den Bescheid – wie viele andere Betroffene auch. Die Mehrheit unserer Vereinsmitglieder hat noch immer mit teilweise schwerwiegenden Beeinträchtigungen zu kämpfen. Die Entschädigung wäre wichtig für ihre finanzielle Stabilität. Aber egal, mit wem ich rede: Alle sagen, sie möchten einfach wieder gesund werden, ihr altes Leben zurückhaben und aktiv am gesellschaftlichen Geschehen teilnehmen.

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