Viele ukrainische Flüchtlinge machen sich auf den Weg nach Hause
Das Heimweh ist stärker als die Angst

Obwohl ein Kriegsende nicht absehbar ist: Die Zahl der Ukrainerinnen und Ukrainer, die zurück in ihre Heimat wollen, ist gestiegen. Warum? Eine Rückkehrberaterin und ein Rückkehrberater erzählen.
Publiziert: 15.05.2023 um 01:24 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2023 um 07:48 Uhr

Viele Ukrainerinnen und Ukrainer, die zu Lea Meier (41) kommen, würden die Schweiz am liebsten gleich am nächsten Tag verlassen. Meier und eine Kollegin arbeiten bei der Kirchlichen Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen, einer Berner Fachstelle, die im Auftrag des Kantons Rückkehrberatung für Geflüchtete anbietet.

Derzeit sind sie auf der Suche nach Verstärkung. Denn seit einigen Monaten kommen deutlich mehr Ukrainerinnen und Ukrainern zu ihnen als noch im 2022. Sind im vergangenen Jahr rund 240 Menschen aus dem Kanton Bern in die Ukraine zurückgekehrt, waren es allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres 210 Personen.

500 Franken pro Erwachsener

«Sie haben die Tickets für die Rückreise meist schon gekauft und sind gut informiert», erzählt Meier. Bei der Beratungsstelle kommen die Ukrainerinnen in aller Regel nur vorbei, um die vom Bund finanzierte Rückkehrhilfe zu erhalten. 500 Franken sind es pro Erwachsener, 250 pro Kind – insgesamt bis zu 2000 Franken für eine Familie. Ukrainer, die in der Schweiz Asylsozialhilfe beziehen, seien auf diese Unterstützung angewiesen, sagt Meier.

Zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer kehren in ihre Heimat zurück, obwohl dort noch immer Krieg herrscht. (Archiv)
Foto: keystone-sda.ch
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Rückkehrberater Andreas Ackermann (41) von der Caritas geht aber davon aus, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer mit eigenen Mitteln die Schweiz verlassen. Die Caritas kümmert sich in den Kantonen Zug, Schwyz und Obwalden um die Rückkehrberatung. Ackermann stellt seit einem Jahr eine «konstant hohe Nachfrage» von Ukrainerinnen und Ukrainern fest. Etwa sechs bis sieben Beratungsgespräche führe man pro Woche.

Zurück, um die betagten Eltern zu pflegen

«Oft nennen die Menschen familiäre Gründe, warum sie zurückwollen», sagt Ackermann. Etwa weil sie betagte Eltern haben, um die sie sich kümmern wollen. Oder weil jemand aus dem nahen Umfeld erkrankt ist. Andere erzählten, dass sie Angst hätten, den Anschluss in der Ukraine zu verlieren. «Teilweise haben die Menschen auch noch eine Arbeit vor Ort oder eine Wohnung», erzählt der Rückkehrberater. «Auch von grossem Heimweh haben wir in Gesprächen gehört und von den Mühen, sich in der Schweiz einzugliedern.»

Auch Beraterin Meier aus dem Kanton Bern berichtet: «Fast alle haben Heimweh.» Erst kürzlich sei eine Ukrainerin mit zwei Kindern zu ihr gekommen. Deren Vater sei wegen des Kriegs in die Armee eingezogen worden und durfte nicht ausreisen. «Sie wollten zu ihm, weil sie ihn so vermissen.»

Sehr häufig kämen die Menschen auch nicht damit zurecht, plötzlich so von staatlicher Hilfe abhängig zu sein. «In der Ukraine hatten sie einen Job und waren unabhängig.»

Rückkehr via Moskau

Nur selten komme es vor, erzählt Meier, dass sich jemand doch noch umentscheide und dann doch nicht gehe. Weil sie zum Beispiel am Tag vor der Abreise erfahren, dass sich die Situation in ihrem Heimatort doch wieder verschlechtert hat.

Ackermann hat auch schon Menschen beraten, die in von Russland besetzte Gebiete zurückreisen. «Die müssen dann Flüge über Moskau buchen», sagt er. «Wir massen uns nicht an, den Entscheid zur Rückkehr infrage zu stellen. Über die drohenden Gefahren in der Ukraine wissen die zurückkehrenden Menschen besser Bescheid als wir.»

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