Für Amnesty «ein Affront»
Maurer will trotz Khashoggi-Mord nach Saudi-Arabien

Laut Bundespräsident Ueli Maurer ist der Fall Khashoggi für die Schweiz längst abgehakt. Einer Reise nach Saudi-Arabien steht für ihn deshalb nichts im Wege. Politiker und Menschenrechtsorganisationen sind entsetzt.
Publiziert: 23.01.2019 um 19:21 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2019 um 09:04 Uhr
Am Dienstag traf Ueli Maurer am WEF den saudischen Finanzminister Mohammed al-Jadaan.
Foto: Twitter
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Lea Hartmann und Pascal Tischhauser

Gut dreieinhalb Monate ist es her, dass der Journalist Jamal Khashoggi (†59) unter einem Vorwand ins saudische Konsulat in Istanbul gelockt und dort brutal getötet worden ist. Der Mord sorgte weltweit für Entsetzen und politische Reaktionen – auch in der Schweiz: Die Beratungen über ein Doppelbesteuerungsabkommen sind sistiert worden. Ein im Oktober verhängter Bewilligungsstopp für Waffenersatzteile nach Saudi-Arabien ist noch immer in Kraft.

Für Ueli Maurer (68, SVP) ist die Sache aber schon wieder vergessen. «Wir haben den Fall Khashoggi, der die Welt beschäftigt, schon lange abgehandelt», sagte der Bundespräsident gestern am WEF in Davos, wo er den saudischen Finanzminister getroffen hatte. «Ich habe mit dem saudischen Kollegen regelmässig Kontakt. In den G20-Gesprächen sitze ich regelmässig neben ihm», so Maurer weiter. «Wir haben vereinbart, dass wir den Finanzdialog weiterführen und die Beziehungen wieder normalisieren.»

Pläne sind konkret

Der «Normalisierung» der Beziehungen dienlich ist auch ein Besuch im saudischen Königreich. Nach der Ermordung Khashoggis hatte der Bundesrat noch mitgeteilt, die für 2019 geplante Reise Maurers nach Saudi-Arabien zu «überprüfen».

Es ist fraglich, wie ernst es der Regierung mit der Überprüfung war. Denn: Auf Nachfrage von BLICK sagt Maurers Finanzdepartement, die Reise nach Saudi-Arabien sei nach wie vor in Planung. «Ein allfälliger Entscheid wird zu gegebener Zeit kommuniziert», so Roland Meier, Sprecher des Finanzdepartements. BLICK weiss: Das Vorhaben, Riad zu besuchen wurde im Bundesrat nie ernsthaft in Frage gestellt. Im Gegenteil: Maurers Pläne sind schon sehr konkret. Laut EFD-Sprecher Peter Minder gibt es aber noch keinen Termin. 

«Maurer wischt die Probleme unter den Tisch»

Die von den BLICK-Recherchen konfrontierten Parlamentarier reagieren empört. Christa Markwalder (43, FDP) meint: «Das ist eine vorschnelle Reaktion.» Von «normalisierten Beziehungen» zu sprechen, sei viel zu früh. «Es mindert den Druck der Staatengemeinschaft, wenn einzelne Länder ausscheren.»

Auch Grünen-Präsidentin Regula Rytz (56) kritisiert Maurer. «Dass der Bundespräsident die Probleme mit Saudi-Arabien einfach unter den Teppich wischt», sei für sie nicht hinnehmbar.

Sie erinnert daran, dass der Nationalrat im November vom Bundesrat verlangt hat, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu prüfen. Der geforderte Bericht steht noch aus. Rytz: «Bevor er auf dem Tisch liegt, darf es keine Reisen dorthin geben!» 

Statt Zuckerbrot brauche es weiterhin die Peitsche

Auch Menschenrechtsorganisationen sind konsterniert. Die Aussagen Maurers am WEF seien «ein Affront», sagt Alexandra Karle von Amnesty International Schweiz. Sie zeigten, welchen Stellenwert Menschenrechte und Pressefreiheit für Maurer hätten. «In unseren Augen ist der Fall keinesfalls erledigt.»

Gleicher Ansicht sind Human Rights Watch und Reporter ohne Grenzen. «Bundesrat Maurer sagt zu einem Zeitpunkt, die Sache sei abgehakt, wo der Gerichtsprozess noch nicht einmal abgeschlossen ist», kritisiert Bettina Büsser von der Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen.

Anfang Jahr hat in Saudi-Arabien der Prozess gegen elf Angeklagte begonnen, für fünf wird die Todesstrafe gefordert. Saudi-Arabien hatte Khashoggis Mord erst als Unfall dargestellt, bevor man auf die Version einer tödlichen Schlägerei umschwenkte. Kronprinz Mohammed bin Salman stritt jegliche Beteiligung ab und sprach von einer «nicht autorisierten Operation». Der US-Geheimdienst CIA kam in einem Bericht allerdings zu einem anderen Schluss. Die Türkei liess diese Woche verlauten, dass Vorbereitungen für eine unabhängige Untersuchung liefen. Eine solche kam bislang nicht zustande. 

In dieser Phase sei nicht die Zeit, die Beziehungen zu Saudi-Arabien zu normalisieren, sagt Simone Nabholz von Human Rights Watch. Es gehe eher darum weiter Druck aufzubauen.

Liebe Leserinnen und Leser, ist Ueli Maurer aus Ihrer Sicht heikel? Oder geht internationale Politik vor? Schreiben Sie uns Ihre Meinung in den Kommentaren.

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