Waadtländerin will Schwangerschaftsabbrüche aus Strafgesetzbuch streichen
«Abtreibung aus Bequemlichkeit gibt es nicht!»

Am Donnerstag wird Léonore Porchet eine parlamentarische Initiative einreichen, um Abtreibungen aus dem Strafgesetzbuch zu streichen. Die Waadtländer Grünen-Nationalrätin will mit den gängigen Vorstellungen über Schwangerschaftsabbrüche aufräumen.
Publiziert: 02.06.2022 um 10:53 Uhr
Adrien Schnarrenberger

Während der Ton gegenüber Abtreibungen vor allem in den USA immer rauer wird – der Supreme Court will Roe v. Wade kippen –, weht der Wind in Bern in die andere Richtung: Am Donnerstag wird die Präsidentin von Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGS), Léonore Porchet (32), fordern, dass Schwangerschaftsabbrüche als Frage der Gesundheit und nicht mehr als Strafsache behandelt werden. Dies anlässlich einer Veranstaltung zum 20-jährigen Bestehen des Rechts auf Abtreibung ohne Fristen in der Schweiz.

«Heute sind Schwangerschaftsabbrüche nach wie vor gesetzlich verboten und strafbar», erklärt die Waadtländer Grünen-Nationalrätin gegenüber Blick. Toleriert würden sie nur unter stigmatisierenden, bevormundenden und paternalistischen Bedingungen. Anders sei es in unseren Nachbarländern: In Frankreich wurde ein ähnlicher Schritt bereits vollzogen, und auch in Deutschland stehe dies zur Diskussion. Es gebe auch eine entsprechende Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation, so die Grüne.

Rote Karte für Artikel 119

Im Idealfall möchte Porchet ein spezielles Abtreibungsgesetz: «Mindestens über die sexuelle Gesundheit oder die Gesundheit überhaupt. Das gibt es heute nicht.» Die Grüne gibt sich zehn Jahre Zeit, um ihre Ziele zu erreichen. Eine symbolische Frist: Das Recht auf Abtreibung wurde 2002 nach «30 Jahren Debatte» eingeführt. Drei weitere Jahrzehnte später sollen Abtreibungen nun aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden.

«Abtreibung ist in unserem Land nur unter bestimmten Bedingungen erlaubt», erklärt die grüne Politikerin Léonore Porchet.
Foto: Keystone
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Am Donnerstag werden Frauen auf dem Waisenhausplatz eine «rote Karte» an Artikel 119 verteilen. Dieser besagt, dass ein Schwangerschaftsabbruch nur dann straflos ist, «wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann».

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95 Prozent der Abbrüche vor der 12. Woche

In der Praxis würden jedoch 95 Prozent der Abtreibungen vor der 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt, betont die Präsidentin der SGS. Die Verfahren seien in diesen Fällen «nichts als Schikane». Bei den restlichen fünf Prozent seien die Gründe immer medizinisch. «Und doch würde nach einem Teil der öffentlichen Meinung eine Abtreibung aus Bequemlichkeit nach Vernachlässigung vorgenommen», erklärt Porchet. Das sei absolut nicht wahr – denn bei mehr als der Hälfte der ungewollten Schwangerschaften sei ein Verhütungsmittel verwendet worden.

Frauen, die eine Abtreibung vorgenommen haben, werden am Donnerstag über das Tabu berichten, das um diesen medizinischen Eingriff in der Schweiz nach wie vor herrscht. Zunächst geht es um den finanziellen Aspekt. Denn ein Schwangerschaftsabbruch kostet zwischen 500 und 3000 Franken. Selbst wenn die Kosten erstattet werden, kann die Franchise von 2500 Franken und der Selbstbehalt für junge Mädchen unmöglich zu bezahlen sein. Jedes Jahr übernimmt die SGS in solchen Fällen die Kosten für Abtreibungen. Und dann sei da noch die noch immer erhebliche Stigmatisierung. «Die Schuldzuweisung an Frauen, die abgetrieben haben, kann zu einem erheblichen Trauma führen», warnt Porchet.

Gynäkologischer Tourismus – eine Realität

Die Nationalrätin, die Mitglied der Gesundheitskommission ist, ist sich bewusst, dass sie in diesem Dossier nicht mit der Gunst der Stunde startet. Frühere Versuche rund um das Thema Abtreibung sind alle am Bundesrat gescheitert. Sie hofft jedoch, dass sie Frauen aus allen Parteien, auch aus dem rechten Flügel, zusammenbringen kann, um die Aufhebung von Artikel 119 zu erreichen – auch, um das Thema sichtbar zu machen.

Die Praxis rund um Abtreibungen ist übrigens von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich: In einigen Kantonen ist die Abtreibungsrate sehr niedrig, während sie in anderen sehr hoch ist. Dies sei der Beweis, dass gynäkologischer Tourismus im Jahr 2022 Realität ist, so die Feministin, die auch von Anfang an die Bewegung «My body, my choice» unterstützt hat.

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