Wegen Kantönligeist
Polizei hinkt Cyberkriminellen hinterher

Straftaten im Internet nehmen stark zu. Ein neuer Bericht des Bundesrats zeigt Nachholbedarf im Kampf gegen Cyberkriminalität – gerade beim Informationsaustausch zwischen den Kantonen.
Publiziert: 20.06.2024 um 09:09 Uhr

Betrug, Erpressung, Sexualdelikte oder Diebstahl – fast jedes Verbrechen aus der wirklichen Welt wird auch im Internet begangen. Und wie im wirklichen Leben sind auch im Netz die Kantone zuständig für alle Delikte, die auf ihrem Gebiet begangen werden. Und das, obwohl gerade Cybercrime ein grenzüberschreitendes Phänomen ist.

Die Zunahme der Straftaten im Netz war in den letzten Jahren massiv. Alleine zwischen 2020 und 2023 hat sich die Zahl fast verdoppelt – von unter 25'000 (2020) auf über 45'000 Delikte. Die Kantone haben deshalb massiv aufgerüstet. Darauf weist auch ein neuer Bericht des Bundesrats hin, über den die «NZZ» als Erste berichtet hat.

Täter nützen Lücken aus

Als besonders grosses Hindernis bezeichnet der Bericht den fehlenden Datenaustausch unter den Kantonen. Jeder operiert für sich alleine, oft ohne zu wissen, was anderenorts läuft. Dieser Kantönligeist wird von den Tätern noch so gerne ausgenutzt.

Die Zunahme der Straftaten im Netz war in den letzten Jahren massiv.
Foto: IMAGO/Silas Stein
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Das Problem ist bekannt. Dabei gäbe es technische Hilfsmittel wie Analyse-Tools, mit denen Muster bei sogenannt serieller Cyberkriminalität zu erkennen wären. Doch sie dürften nicht voll ausgenutzt werden – mit absurden Folgen, wie Mark Burkhard, Kommandant der Baselbieter Kantonspolizei und Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, kürzlich erklärte: «Wir suchen heute im Baselbiet nach Cyberkriminellen anstatt schweizweit.»

Moderne Abfrageplattform im Aufbau

Der Bundesratsbericht bestätigt, dass die meisten Kantone über keine Gesetzesgrundlage verfügen, die den automatischen Austausch von polizeilichen Informationen mit anderen Kantonen und mit dem Bund erlaube: «In der Konsequenz bedeutet dies, dass beispielsweise in einem Fall einer Phishing-Mail-Welle unter Umständen mehrere Kantone parallel zum gleichen Täter ermitteln, ohne sich untereinander zu koordinieren.»

Zwar arbeiten Bund und Kantone an einer gemeinsamen Abfrageplattform, mit welcher auf einen Klick zu erfahren wäre, was in den anderen Kantonen über tatverdächtige Personen oder gestohlene Fahrzeuge bekannt ist. Doch ohne die nötigen gesetzlichen Grundlagen in den Kantonen kann das System nicht vollumfänglich in Betrieb genommen werden.

Datenschützer haben Bedenken

Bedenken melden hier vor allem Datenschützer an. Adrian Lobsiger, der Datenschutzbeauftragte des Bundes, sprach gegenüber der «NZZ» sogar von «Rezepten autoritärer Regenten» und meinte, die schweizerische Staatsidee dürfe nicht einem zentralen Datensilo geopfert werden.

Vorwärts machen will hingegen das Bundesparlament. So hat nach Bundesrat und Nationalrat kürzlich auch der Ständerat einem Vorstoss zugestimmt, der die Kompetenz in diesem Bereich von den Kantonen zum Bund verschieben soll. In der Bundesverfassung soll eine Bestimmung verankert werden, um die Abfrage polizeilicher Daten unter den Kantonen sowie zwischen dem Bund und den Kantonen zu regeln.

Damit soll die heute unbefriedigende Situation im Kampf gegen Cyberkriminelle geändert werden. Oder wie der Bundesratsbericht es umschreibt: «Die Polizei weiss nicht, was die Polizei weiss.»

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