Wegen seiner «Kriegsrausch»-Aussage
Streit um Bersets Kandidatur eskaliert

Alt Bundesrat Alain Berset sorgt mit seiner Bewerbung für den Chefposten im Europarat für Zoff. Die Mitte kritisiert seine Ukraine-Haltung. Und der Schweizer Delegationschef Alfred Heer schimpft: «Nestbeschmutzer!»
Publiziert: 14.01.2024 um 10:32 Uhr
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Am Donnerstag klingelte bei Alfred Heer (62) das Telefon. Am Draht: Alain Berset (51). Was will der Bonvivant aus der Romandie vom hemdsärmeligen Zürcher SVP-Politiker?

Ganz einfach – neue Lagen erfordern neue Bündnisse. Der frischgebackene alt Bundesrat möchte Generalsekretär des Europarats werden, der Schutzinstanz der Europäischen Menschenrechtskonvention. Heer wiederum ist soeben für eine zweijährige Amtszeit zum Leiter der zwölfköpfigen Schweizer Delegation in Strassburg gewählt worden.

Berset weiss: Die Unterstützung der eigenen Landsleute ist zwingend notwendig, wenn er im Juni von den 306 Mitgliedern der parlamentarischen Versammlung des Europarats gewählt werden will. Also muss er zuallererst Heer gewinnen – der ihm nach dem Gespräch umgehend seine Unterstützung zusicherte. Für den 22. Januar hat Heer in der Schweizer Delegation Bersets Kandidatur traktandiert. Ziel ist der geschlossene Support für den Freiburger Sozialdemokraten.

Die «Kriegsrausch»-Aussage hallt nach: alt Bundesrat Alain Berset.
Foto: keystone-sda.ch
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Aus den Widersachern sind Alliierte geworden

Nationalrat und Blick-Kolumnist Heer sagt auf Anfrage: «Für mich steht ausser Frage: Wenn ein Schweizer die Chance hat, in Menschenrechtsbelangen die 600 Millionen Europäerinnen und Europäer zu vertreten, dann unterstützen wir den Schweizer, unabhängig vom Parteibuch.»

Womit aus den politischen Widersachern Alliierte geworden sind, mehr noch: Heer wird für diese Mission zu Bersets wichtigstem Lobbyisten. Die Zeiten, als die SVP den damaligen Gesundheitsminister wegen dessen privaten Eskapaden ins Visier nahm, scheinen Ewigkeiten zurückzuliegen.

Heer wird in den nächsten Wochen und Monaten bei den verschiedenen Fraktionen für den Ex-Magistraten weibeln – die Operation Strassburg, wenn man sie so nennen will, kann beginnen.

Binder-Keller stellt Bersets Eignung infrage

Umso brisanter sind die rhetorischen Salven, die diese Woche aus anderen Gefilden der Schweizer Politik abgefeuert wurden und die neue Harmonie stören: Mitte-Ständerätin Marianne Binder-Keller (65) hat in aller Öffentlichkeit Skepsis gegenüber Berset geäussert.

Sie rief im Online-Nachrichtenportal Nau Bersets umstrittene Aussagen zum Ukraine-Krieg in Erinnerung, als er im Westen einen «Kriegsrausch» ausgemacht haben wollte – eine der seltenen Aktionen, für die es Applaus aus der SVP gab. Binder-Keller stellt damit offen Bersets Eignung als operativer Chef des Europarats infrage. Er werde sich in einem Bewerbungsgespräch zu dieser Aussage erklären müssen, fordert sie.

Die gleichen Töne wie Binder-Keller schlägt Gerhard Pfister (61) an. Er sei «nicht sicher», so der Mitte-Präsident auf X, ob Bersets besagte Äusserung im Europarat «gut ankommt». Der Romand verspüre «den Kriegsrausch offensichtlich weniger bei Russland», fügte Binder-Keller hinzu, «sondern bei denjenigen, die der Ukraine bei der Verteidigung ihres Landes mit Waffen helfen wollen».

Pikant: Die Aargauerin ist Vizepräsidentin der Schweizer Delegation und damit Heers Stellvertreterin in Strassburg. Der SVP-Mann reagierte erzürnt. «Das sind Nestbeschmutzer», sagte er, «und Frau Binder-Keller muss sich ernsthaft überlegen, ob sie mit einer Stimme gegen den Schweizer Kandidaten noch als Vizepräsidentin unserer Delegation tragbar ist.»

Es steckt keine geheime Agenda dahinter

Bersets Chancen für den 300'000-Euro-Job sind intakt – als Konkurrenten treten der Belgier Didier Reynders (65) an, seines Zeichens EU-Justizkommissar, und Estlands Ex-Kulturminister Indrek Saar (50).

Bisheriges Fazit: Der schillernde Sozialdemokrat Berset hat es lediglich zehn Tage lang geschafft, dass es um seine Person ruhig blieb.

Er beteuert dem Vernehmen nach, dass seine Bewerbung kurzfristig geplant und nicht Resultat einer geheimen Agenda sei – so habe er erst kürzlich erfahren, dass die bisherige Generalsekretärin, die Kroatin Marija Pejcinovic Buric (60), nicht wieder für den Posten antritt. Mit seiner Ankündigung sorgte Berset dennoch für Stirnrunzeln – genüsslich wurden ihm Aussagen um die Ohren gehauen, wonach er jetzt erst einmal eine Pause von der Politik benötige.

Auf Berset kämen heikle Missionen zu

Sollte ihn der Ministerrat des Europarats nominieren und er im Juni gewählt werden, wäre Berset an oberster Stelle für die Einhaltung der Beschlüsse der Strassburger Plenarversammlung verantwortlich. Auf ihn kämen heikle Missionen in Sachen Menschenrechte zu: Reisen nach Ankara, Baku oder Kiew – auf einen Partypolitiker, der sich gerne beim Risottoschöpfen in Locarno oder mit Federboa und Zigarre auf einem Love Mobile an der Street Parade ablichten liess.

Bis anhin jedenfalls ist SP-Mann Berset nie besonders im Zusammenhang mit dem Menschenrechtsdossier in Erscheinung getreten. Aber für Überraschungen war er schon immer gut.

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