Woche der Wahrheit
Jetzt geht in der SP das Gerangel los

Wer schafft es aufs Bundesrats-Ticket? Ab morgen gilt es ernst für die sechs Kandidaten der SP. Und: Weshalb im Dezember in Bundesbern ein Chaos drohen könnte.
Publiziert: 05.11.2023 um 10:20 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2023 um 10:26 Uhr
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Peter AeschlimannRedaktor

Was wir wissen: Am 13. Dezember wählt die Vereinigte Bundesversammlung eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für den abtretenden SP-Bundesrat Alain Berset (51). Alles Weitere: derzeit völlig offen. Selten war eine Ausgangslage spannender.

Für die SP steigen fünf Männer und eine Frau ins Rennen. Und auf einem Nebenschauplatz schickt sich ein tapferer Grüner an, die Zauberformel zu sprengen. Doch dazu später.

Ab Montag gilt es ernst

Morgen Montag beginnt für die Sozialdemokraten eine Woche der Wahrheit. Ihre Kandidaten begeben sich auf Werbefahrt in eigener Sache quer durch die Schweiz: Daniel Jositsch (58), Beat Jans (59), Matthias Aebischer (56), Jon Pult (39), Roger Nordmann (50) und Evi Allemann (45) stellen sich der Öffentlichkeit. Das erste Hearing findet bei der Kantonalpartei in Genf statt, anschliessend geht es über Biel BE und Olten SO nach Schaffhausen. Wer bei dieser Show eine gute Falle macht, erhöht vielleicht seine Chancen auf eine Nominierung. Entscheidend wird aber sein, was hinter den Kulissen geschieht.

Daniel Jositsch warf als erster seinen Hut in den Ring. Der Zürcher will am 13. Dezember SP-Bundesrat werden.
Foto: Keystone
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Wer wird die SP-Basis überzeugen? Und viel wichtiger noch: Wer die SP-Fraktion? Noch lässt sich bei diesem Bundesberner «House of Cards» niemand in die Karten schauen. Man warte zunächst die Hearings ab, scheint eine Sprachregelung zu lauten, sämtliche Kandidaten (und auch die Kandidatin) hätten selbstverständlich das Zeug zum Bundesrat. In gut drei Wochen, am 25. November, entscheidet dann die Fraktion, wer es aufs Ticket schafft.

Einiges dringt trotzdem schon jetzt an die Öffentlichkeit. So erzählt man sich unter den Berner Lauben, dass Parlamentarierinnen und Parlamentarier seit ein paar Wochen plötzlich neue Follower mit Regierungsambitionen gewinnen auf ihren Instagram-Konten. Oder dass gewisse Kandidatinnen oder Kandidaten nach den eidgenössischen Wahlen Ende Oktober auffallend nette Gratulations-SMS an die neuen Mitglieder der SP-Fraktion verschickt haben sollen.

Ebenfalls kein Geheimnis ist etwa, dass sich der Zürcher Ständerat Daniel Jositsch immer noch für ein Dreierticket einsetzt. Seit er im letzten Winter, als es um die Nachfolge von SP-Magistratin Simonetta Sommaruga (63) ging, damit angefangen hatte, gilt er vielen Sozialdemokratinnen als unwählbar.

Muss Jositsch zittern?

Falls Evi Allemann als einzige Frau gesetzt sein sollte und es einer der beiden Favoriten Beat Jans oder Jon Pult aufs Ticket schafft, braucht Jositsch diesen dritten Platz unbedingt. Er und seine Fraktion wissen: Kommt es dazu, ist Jositsch, der unter Bürgerlichen viele Sympathien geniesst, so gut wie gewählt. Dieses Szenario will man verhindern. Hinter vorgehaltener Hand sagt eine SP-Nationalrätin: «Jositsch hat keine Chance.»

Vor ein paar Wochen hat der Juso-Flügel im Parlament klargemacht, dass jetzt die Jungen an der Reihe seien. Das erhöht Jon Pults und Evi Allemanns Chancen, einen der begehrten Plätze auf dem Ticket zu bekommen. Seit den Wahlen ist die SP-Fraktion jünger und weiblicher geworden. Das Problem: Gewählt wird die nächste SP-Bundesrätin oder der nächste Bundesrat von einem Parlament, in dem wieder mehr ältere Männer das Sagen haben. Ein Vertreter der FDP sagt es so: «Damit die SP die Gleichstellungspartei bleibt, wählen wir einen Mann an die Seite von SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider (59).» Wer aufs SP-Ticket will, muss also den Spagat beherrschen: Punkten bei Jung und Alt.

Die beste Kandidatin oder der beste Kandidat müsse in Bersets Fussstapfen treten, sagt ein Mitglied der SP-Führung. Die Herkunft spiele eine untergeordnete Rolle. Dass mit Albert Rösti bereits ein Berner im Bundesrat vertreten ist, soll demnach kein Nachteil sein für Allemann und Aebischer. Und Jans gehört nicht automatisch aufs Ticket, nur weil man den Baslern nach der Nichtwahl von Eva Herzog (61) im letzten Dezember etwas schuldig ist.

Sprache egal

Gemäss dieser Logik dürfte auch der Röstigraben keine Rolle spielen. Der Weg aufs Ticket wäre frei für Roger Nordmann, den heimlichen Favoriten in diesem Rennen. Der Romand, der perfekt Deutsch spricht, weiss, wie man im Parlament Allianzen schmiedet. Er gilt als blitzgescheit und mit allen politischen Wassern gewaschen. Nordmanns Kompetenz ist gleichzeitig seine Achillesferse: Der politische Gegner hat in der Regel wenig Interesse an einem starken Bundesrat.

Alles ist offen. Auch die Frage, wie sich die SP bei der Wiederwahl von Aussenminister Ignazio Cassis verhalten wird. Der Sitz des FDP-Bundesrats wird von den Grünen angegriffen. Eine «Mission Impossible», da sind sich eigentlich alle einig. Trotzdem ist der Freiburger Nationalrat und Unternehmer Gerhard Andrey (47) alles andere als eine Jux-Kandidatur.

Für die Sozialdemokraten wäre eine Unterstützung des Grünen aber ein heisses Spiel. Auch wenn es Gesamterneuerungswahl heisst, haben Bisherige in der Regel nichts zu befürchten. Passiert es doch, droht ein chaotischer Vormittag im Nationalratssaal. Die beiden SP-Sitze werden zum Schluss vergeben. Machte die SP beim Putschversuch gegen Cassis mit, könnte dann die Retourkutsche folgen.

Will die SP dieses Risiko eingehen? In ein paar Wochen wissen wir mehr.

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