«Wer will, ist im August geimpft»
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Regierungsrätin Natalie Rickli:«Grosse Kantone impfen langsamer als kleinere»

Die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli im grossen Interview
«Wer will, ist im August geimpft»

Zürich gilt als Impfschnecke der Schweiz. Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli verteidigt ihren Kurs - und stellt einen «relativ normalen Sommer» in Aussicht.
Publiziert: 18.04.2021 um 00:47 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2021 um 10:18 Uhr
Interview: Christian Dorer und Simon Marti

Natalie Rickli empfängt die SonntagsBlick-Journalisten am späten Freitagnachmittag. Es ist der letzte Termin in einer langen Woche. Als Gesundheitsdirektorin des grössten Kantons steht Rickli im Kreuzfeuer der Kritik wie kaum jemand anders. Im Gespräch wehrt sich die SVP-Regierungsrätin gegen den Vorwurf, Zürich sei die «Impfschnecke» der Nation.

SonntagsBlick: Frau Rickli, der Bundesrat lockert am Montag die Corona-Massnahmen. Angesichts der Infektionszahlen stellt sich die Frage: Kommt das gut?
Natalie Rickli:
Mit der Öffnung der Terrassen rechnete man bereits letzte Woche. Die restlichen Öffnungen überraschen auch mich. Aber es bringt nichts, nach jedem Bundesratsentscheid laut zu kritisieren. Jetzt müssen wir mit diesen neuen Freiheiten umgehen. Die Eigenverantwortung steht wieder stärker im Vordergrund, die Einhaltung der Hygienemassnahmen ist wichtig, ebenso das Contact Tracing. Und man sollte sich testen und natürlich impfen lassen.

Umgekehrt ist es gut gekommen mit den offenen Skipisten – was der Zürcher Regierungsrat Anfang Winter scharf kritisiert hat.
In dieser Pandemie weiss man vieles nicht im Voraus. Es freut mich für alle, die Skiferien machen konnten. Auch für die Hoteliers in den Bergen. Die Hotels in den Städten leiden hingegen enorm.

Regierungsrätin Natalie Rickli (44) am Freitagnachmittag in ihrem Büro.
Foto: Philippe Rossier
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Die SVP nimmt die Lockerungen für sich in Anspruch. Warum geht Ihre Partei mit dieser grossen Krise auf Wählerfang?
Corona eignet sich nicht für Parteipolitik, das ist meine Überzeugung und dabei bleibe ich. Aber dass die Parteien sich äussern, ist legitim. Jetzt wurde das Covid-Gesetz verabschiedet, auch da bringt sich jede Partei ein.

Die SVP hat keine Meinung dazu, sondern hat Stimmfreigabe beschlossen.
Ich werde Ja stimmen. Nur schon wegen der Hilfe für die wirtschaftlichen Härtefälle.

Die SVP-Regierungsräte argumentieren viel differenzierter als die Parteispitze. Warum setzen Sie Ihr Gewicht nicht dafür ein, dass die Polemik der SVP aufhört wie etwa der absurde Diktatur-Vergleich?
Für Nebenschauplätze bleibt mir keine Zeit. Ich gebe mein Bestes, um diese Krise zu bewältigen. Als Gesundheitsdirektorin ist die Parteipolitik für mich aktuell weit weg. In Zürich arbeite ich übrigens sehr gut mit der Partei zusammen. Sie sieht die Herausforderungen, mit denen ich konfrontiert bin.

Erst die Impfung eines Grossteils der Bevölkerung wird die Normalität zurückbringen. In Ihrem Kanton ist dieses Ziel in weiter Ferne. Warum ist Zürich die Impfschnecke der Schweiz?
Grosse Kantone impfen langsamer als kleinere, weil die Logistik anspruchsvoller ist: Wir haben zu Beginn in 400 Heimen geimpft. Wir betreiben elf Impfzentren, beliefern fast 1000 Ärzte und bald 150 Apotheken mit Impfstoff. Die müssen jeweils im Voraus wissen, wann sie ihre Patienten aufbieten sollen. Das alles nimmt mehr Zeit in Anspruch als ein einzelnes Impfzentrum in einem kleinen Kanton. Abgesehen davon könnten auch wir mehr impfen, wenn wir mehr Impfstoff bekämen.

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Bern ist auch ein grosser Kanton und steht besser da als Zürich. Und der kleine Kanton Uri hat prozentual noch viel mehr Menschen geimpft.
Im Februar fielen versprochene Lieferungen aus. Deshalb mussten wir 40 000 Impftermine verschieben. Das sollte kein zweites Mal passieren. Deshalb hielten wir bis April jeweils die zweite Dosis zurück, um diese in jedem Fall zu gewährleisten. Jetzt aber verlassen wir uns auf die Zusagen des Bundes und verimpfen alles, was da ist. Allein am Donnerstag bei 11 000 Personen – das sind in einem Tag mehr als in Uri seit dem Start!

Warum sind dann laut der Impfstatistik des Bundes Zehntausende Dosen im Kanton Zürich noch nicht verimpft?
Sobald ein Kanton eine Tranche zugewiesen bekommt, taucht diese Zahl in der Statistik auf – auch wenn der Impfstoff noch nicht in den Kanton geliefert wurde. Mir ist schon klar, dass Zürich diese Rangliste nie anführen wird. Wer aber jetzt einfach Züri-Bashing betreibt, muss sich die Frage stellen, warum grössere Kantone nicht mehr Impfstoff bekommen.

Warum bleiben die Impfzentren über Ostern und an Wochenenden geschlossen?
Weil deren Öffnung bloss ein symbolisches Zeichen wäre. Wir haben nicht genug Impfstoff, um mehr zu impfen. Abgesehen davon impfen wir in einzelnen Impfzentren schon jetzt am Samstag, und wenn mehr Impfstoff kommt, werden wir auch die Öffnungszeiten erweitern. Wir sind auf Kurs. Unser Ziel ist es, 70 Prozent der über 16-Jährigen zu impfen. Das sind rund 900 000 Menschen. Ist dieses Ziel erreicht, so werden wir einen relativ normalen Sommer erleben.

Bis wann sind alle geimpft, die sich impfen lassen wollen?
Im August, falls die Lieferungen wie geplant eintreffen. Wann genau, hängt von der Impfbereitschaft ab. Von den genannten 900 000 Personen im Kanton Zürich sollten bis Ende Juni 600 000 geimpft sein. Derzeit haben sich bereits 450 000 Menschen registriert. Bald werden wir eine Kampagne lancieren, um die Jüngeren zu erreichen.

Der Berner Gesundheitsdirektor Pierre Alain Schnegg ist verärgert über die erneute Lieferverzögerung und verlangt, man solle dem BAG das Dossier entziehen. Teilen Sie seine Meinung?
So eine kurzfristige Änderung ist sehr ärgerlich. Wir können zwar dank unserer Reserven alle geplanten Zweitimpfungen durchführen, müssen aber Tausende Erstimpfungen bei Hausärzten verschieben. Wir jonglieren in den kommenden Wochen mit Hunderttausenden Terminen in elf Impfzentren und bei Hunderten Hausärzten. Wir brauchen Planungssicherheit vom BAG und sind darauf angewiesen, dass Lieferungen wie angekündigt kommen.

Was halten Sie von Firmen, die ihre Mitarbeiter impfen wollen und anbieten, dies selbst in die Hand zu nehmen?
Wir haben einige Interessenten. Allerdings macht dieses Prozedere nur Sinn bei grossen Firmen mit Tausenden von Mitarbeitenden; bei kleineren ist der reguläre Impfweg effizienter. Wir starten Mitte Mai einen Pilotversuch mit der Zurich Insurance Group, die mit Ringier und CS zusammenarbeitet. Diese Firma hat viele Mitarbeitende in Zürich selber und ist in der Lage, das zu organisieren. Ganz wichtig: Die Mitarbeiter kommen nicht schneller an die Reihe als die breite Bevölkerung. Falls der Pilot erfolgreich ausfällt, erwarten wir vom Bund aber klar mehr Impfstoff für weitere Firmenimpfungen.

In Zürich war von Anfang an der Wurm drin: Als sich die ersten Risikopatienten Ende 2020 anmelden wollten, brach die Website zusammen. Wie kann so etwas passieren?
Darüber ärgere ich mich selber wohl am meisten. Wir setzten auf das Tool des Bundes, und das funktionierte nicht. Das ist eine Lehre für uns. Jetzt aber funktioniert es. Wir setzen auf das Tool, das der Kanton Bern entwickeln liess. Wegen der verspäteten Registrierung wurde aber niemand später geimpft.

Grosse Unterschiede gibt es auch beim Testen: Bern will Schüler und Lehrer flächendeckend testen. Warum tut Zürich das nicht?
Auch Schulen können selbstverständlich unser Testprogramm nutzen. Die Bildungsdirektion lässt es ihnen aber frei, ob sie daran teilnehmen.

Sie stehen seit mehr als einem Jahr im Zentrum der Krise. Wie sieht Ihr Alltag aus?
Viele Sitzungen und Hektik, weil fast jeden Tag, manchmal jede Stunde etwas ändert! Aber ich habe noch immer Freude an meiner Aufgabe und ich kann auf viele hervorragende Mitarbeitende zählen. Ich gebe mein Bestes. Zwischendurch schalte ich mit Yoga und Sport bewusst ab, um genügend Energie für die Bewältigung der Krise zu haben.

Kritiker sagen, Sie seien überfordert und hätten die Pandemie unterschätzt.
Auf diese Jahrhundertpandemie war niemand vorbereitet. Ich denke, dass wir keinen so schlechten Job machen. Aber natürlich passieren auch mir Fehler, und daraus ist zu lernen.

Wie gehen Sie mit persönlicher Kritik um?
Die Kritik nimmt zu, die Menschen werden ungeduldiger. Das bekomme ich zu spüren. Ich habe gemerkt, dass es besser ist für mich, wenn ich keine Pushmeldungen mehr abonniere und keine Einträge auf Social Media mehr lese.

«Inside Paradeplatz» berichtete vergangene Woche, Sie seien mitten in der Krise auf die Malediven in die Ferien geflogen. Halten Sie das für opportun?
Ich finde es wichtig, dass alle Menschen Ferien machen. Das sage ich als Gesundheitsdirektorin. Ich muss aber nicht mit den Medien darüber sprechen, mit wem ich wann wohin in die Ferien gehe. Das ist meine Privatsphäre.

Natalie Rickli (44)

Die SVP-Politikerin wuchs in der Nähe von Winterthur ZH auf. Nach einer kaufmännischen Lehre arbeitete sie in der Werbebranche. Ihre politische Karriere startete Rickli im Grossen Gemeinderat in Winterthur, 2007 sass sie für kurze Zeit im Zürcher Kantonsrat, ehe sie im Herbst den Sprung in den Nationalrat schaffte. Im März 2019 wählte sie der Kanton Zürich in den Regierungsrat. Sie leitet die Gesundheitsdirektion.

Die SVP-Politikerin wuchs in der Nähe von Winterthur ZH auf. Nach einer kaufmännischen Lehre arbeitete sie in der Werbebranche. Ihre politische Karriere startete Rickli im Grossen Gemeinderat in Winterthur, 2007 sass sie für kurze Zeit im Zürcher Kantonsrat, ehe sie im Herbst den Sprung in den Nationalrat schaffte. Im März 2019 wählte sie der Kanton Zürich in den Regierungsrat. Sie leitet die Gesundheitsdirektion.

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