Zürcher Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist kämpft für die Kovi
«Gott ist nicht neutral»

Die Konzernverantwortungs-Initiative kann auf Support von ganz oben zählen. Pfarrer Christoph Sigrist erzählt im Interview, weshalb die Kirche aus seiner Sicht gar nicht anders kann, als sich für ein Ja starkzumachen.
Publiziert: 03.11.2020 um 07:45 Uhr
|
Aktualisiert: 24.11.2020 um 15:58 Uhr
Interview: Lea Hartmann

Die Kirche ist im Abstimmungskampf. «Konzernverantwortungs-Initiative Ja!» steht auf den gelben Bannern, die derzeit an zahlreichen Gotteshäusern im Land hängen. Die reformierte und die katholische Kirche unterstützen offiziell das Volksbegehren, das Ende November an die Urne kommt. Und handeln sich damit mächtig Kritik ein, auch innerhalb der Kirche. Christoph Sigrist (57), Pfarrer am Zürcher Grossmünster, ist Mitglied des Komitees «Kirche für Konzernverantwortung». Er hat BLICK in der Sakristei seiner Kirche zum Interview getroffen.

Herr Sigrist, muss ein guter Christ bei der Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi) Ja stimmen?
Jeder gute Christ urteilt selbst. Ich spreche niemandem das Christsein ab, wenn er gegen die Initiative ist.

Aber die Kirche hat sich ganz klar positioniert. Die Bischofskonferenz, die reformierte Kirche, die Freikirchen: Alle unterstützen die Initiative. Die Botschaft ist doch klar.
Wir müssen unterscheiden zwischen der Institution Kirche, bei der viele Mitglied sind und Steuern zahlen, und dem Christsein, das eine ganz persönliche Überzeugung ist. Die eigene Haltung kann durchaus abweichen von der Haltung der Kirchenleitung. Dass diese sich jetzt für die Initiative einsetzt, ist nichts als logisch.

Pfarrer Christoph Sigrist setzt sich für die Konzernverantwortungs-Initiative ein.
Foto: Philippe Rossier
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Warum?
Weil die Kirche von Anfang an bei der Initiative dabei war. Die Hilfswerke Brot für alle, Heks, Fastenopfer – drei von vielen Trägerorganisationen der Initiative – gehören zur reformierten beziehungsweise zur katholischen Kirche. Man kann uns deshalb nicht vorwerfen, uns in ein politisches Geschäft einzumischen. Sondern das ist auch unsere Initiative!

Weshalb ist der Kirche denn ausgerechnet das Thema Konzernverantwortung so wichtig?
Die Kirche hat sich schon immer für die sozial Benachteiligten eingesetzt. Doch ihr Auftrag ist nicht nur, Bedürftigen zu helfen. Sondern auch dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst in diese Situation kommen! Das Kind, das ausgebeutet wird, der Bauer, dem das Land weggenommen wird, der Fisch, der im vergifteten Wasser schwimmt: Es ist gut, dass sie jetzt mal ins Zentrum des Schweizer Bewusstseins gerückt werden. Das ist genau das, was die Kirche seit 2000 Jahren macht. Und die Geschichte hat gezeigt, dass Freiwilligkeit vielfach nicht reicht, gerade bei den Grundrechten. Der Mensch ist kein Engel.

Machen Sie auch von Ihrer Kanzel aus Werbung für die Kovi?
Selbstverständlich werbe ich nicht im Gottesdienst für die Initiative. Aber schon seit Jahren ergreife ich eindeutig dort Partei, wo Menschenrechte missachtet werden. Einstehen für die Initiative tu ich jedoch im Dialog und Streitgespräch.

Das Kirchenkomitee stellt sogar vorgefertigte Predigten zum Thema zur Verfügung, und Bibelverse, mit denen man für die Initiative werben kann.
Das geht doch eindeutig zu weit!
Ja, ich persönlich gebe Ihnen recht. Jede Pfarrperson muss selbst wissen, wie sie das machen will. Meine Haltung ist: Eine solche Initiative braucht den Diskurs und keinen Monolog von der Kanzel.

Die Frage, wie politisch die Kirche sein darf, erhitzte in den vergangenen Jahren immer wieder die Gemüter. Ist die Kirche politischer geworden – oder die Politik allergischer?
Ich denke, Letzteres. Die Kirche war schon immer sehr politisch. Aber heute irritiert das viel mehr als früher. Grund dafür könnte sein, dass sich Religion und Kirche in den vergangenen Jahrzehnten aus vielen Bereichen der Gesellschaft zurückgezogen haben. Da überrascht es heute viele, wenn die Kirche sich plötzlich wieder einmischt. Und das wiederum überrascht mich. Denn eigentlich ist das doch genau die Aufgabe der Kirche! Die Kirche muss Position beziehen und darf sich nicht zurückhalten. Gott ist nicht neutral! Er bezieht Partei für die Armen.

Aber der Kirche laufen die Mitglieder davon. Es gibt Pfarrer, die warnen: Das Engagement für die Konzernverantwortungs-Initiative führe nur zu noch mehr Austritten. Kann sich die Kirche das leisten?
Die Kirchenaustritte dürfen doch unser Wirken nicht in dieser Weise bestimmen. Der Auftrag der Kirche ist – um es mit den Worten des deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer zu sagen –, denen zu helfen, die unter die Räder kommen, und wenn nötig dem Rad selbst in die Speichen zu fallen. Andere treten übrigens aus, wenn die Kirche bei so wichtigen Fragen zu Gerechtigkeit und Menschenrechten schweigt.

Pfarrer der grössten Kirche Zürichs

Christoph Sigrist (57) ist seit 17 Jahren reformierter Pfarrer am Grossmünster in Zürich, der grössten Kirche in der Stadt. Er lehrt zudem an der theologischen Fakultät der Uni Bern und sitzt im Stiftungsrat des Hilfswerks der evangelischen Kirchen, Heks. Von 1990 bis 2014 war er als Armeeseelsorger tätig. Der Zürcher «Stadtbueb», wie er sich selbst gern bezeichnet, ist verheiratet und hat zwei Söhne.

Christoph Sigrist (57) ist seit 17 Jahren reformierter Pfarrer am Grossmünster in Zürich, der grössten Kirche in der Stadt. Er lehrt zudem an der theologischen Fakultät der Uni Bern und sitzt im Stiftungsrat des Hilfswerks der evangelischen Kirchen, Heks. Von 1990 bis 2014 war er als Armeeseelsorger tätig. Der Zürcher «Stadtbueb», wie er sich selbst gern bezeichnet, ist verheiratet und hat zwei Söhne.

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Darum geht es bei der Konzernverantwortungs-Initiative

Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. Sie will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn sie, ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen. Im Rahmen einer Sorgfaltsprüfung müssen Unternehmen künftig mögliche Risiken erkennen und geeignete Massnahmen dagegen ergreifen. Diese Sorgfaltspflicht gilt für alle Unternehmen in der Lieferkette.

Dagegen sind Bundesrat und Parlament. Sie argumentieren, dass ein Ja ein Alleingang der Schweiz wäre, der vor allem dem Wirtschaftsstandort schaden würde. Dem Nein-Lager gehören CVP, FDP und SVP an, dazu kommen die Wirtschaftsverbände, allen voran der Dachverband Economiesuisse. Sie befürchten eine Schwächung der Schweizer Unternehmen, den Rückzug von KMU aus Entwicklungsländern, zu viel Bürokratie und erpresserische Klagen.

Dafür sind neben den über hundert Nichtregierungsorganisationen, welche die Initiative ergriffen haben, SP, Grüne, GLP, EVP und BDP. Dazu kommt ein bürgerliches Komitee mit Vertretern von CVP und FDP.

BLICK beantwortet hier die wichtigsten Fragen zur Initiative.

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