Abstands-Regeln sind für die blinde Zina Indermaur eine neue Hürde
«Ich sehe nicht, wie nah ich Menschen komme»

Zina Indermauer (30) ist seit ihrem vierten Lebensjahr blind. Wegen Corona hat sich ihr Alltag zusätzlich erschwert. BLICK hat Indermaur in ihrem Büro beim schweizerischen Blindenbund in Zürich-Oerlikon besucht.
Publiziert: 24.05.2020 um 23:37 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2020 um 09:09 Uhr
Tobias Stepinski

Eifrig desinfiziert sich Zina Indermaur (30) ihre Hände und nimmt eine Schutzmaske hervor. Dann zieht sie diese mit wenigen Handgriffen an: «Das ist für mich gar kein Problem. Ein Sehender hat es mir beigebracht. Jetzt kann ich es allein», sagt sie stolz zu BLICK.

Während einige den Mundschutz unter dem Kinn tragen oder die Nase freilassen, geht Indermaur ganz anders vor: «Ich zieh mir die Maske manchmal aus Jux über mein ganzes Gesicht und verdecke die Augen — macht bei mir ja keinen Unterschied», sagt die 30-Jährige.

Sehende Mitmenschen sollen Rücksicht nehmen

Doch in diesen Zeiten ist für blinde Menschen nicht alles so einfach: «Das Coronavirus verlangt uns mehr ab als sonst», sagt Indermaur mit ernster Stimme. Vor allem das Social Distancing bereitet ihr grosse Mühe: «Ich sehe nicht, wie nah ich den Mitmenschen komme. Wir Blinde können schlichtweg den Abstand nicht einhalten.»

Trotz Corona arbeitet Zina Indermaur weiterhin im Büro des schweizerischen Blindenbunds.
Foto: Philippe Rossier
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«Für blinde Menschen ist es wirklich sehr schwierig, die Abstandsregelung zu befolgen», bestätigt Martin Abele vom schweizerischen Blindenverband. Deshalb appelliert er: «Sehende Mitmenschen sollen doch auf Sehbehinderte achtgeben und den nötigen Abstand einhalten.»

Auch während Lockdown täglich in den ÖV

Eigentlich lebt Indermaur in Schaffhausen in ihrer eigenen Wohnung. Doch in diesen Zeiten wollte sie nicht allein sein: «Ich wohne vorübergehend bei einem Pärchen in Lenzburg. Wir sind zu einer kleinen Familie geworden», erzählt sie.

Auch während des Lockdowns pendelte sie fast täglich nach Zürich-Oerlikon, wo sie beim schweizerischen Blindenbund arbeitet: «Ich könnte zwar auch im Homeoffice arbeiten, aber ich habe hier ein Einzelbüro», sagt Indermaur und zeigt auf ihren Schreibtisch, auf dem ein Computer und Braillezeile mit Sprachfunktion für Blinde steht.

Im Bus ist Social Distancing unmöglich

Auf dem Weg zur Busstation erzählt die 30-Jährige, dass sie in den Bussen eigentlich vorne einsteigen dürfte. Dies tut sie aber aus Schutz gegenüber den Chauffeuren nicht – was die Platzsuche erheblich beschwert. Als sie in den Bus einsteigt, tastetet sie sich mühevoll voran. Dabei berührt sie unabsichtlich andere Passagiere.

Schliesslich findet sie einen freien Sitzplatz. Beim Absitzen sagt sie: «Sehen Sie die grosse Schwierigkeit des Social Distancings für mich? Noch dazu stehen die wenigsten für mich auf. Das nehme ich den Leuten aber nicht übel.»

Ohne Blindenhund durch die Krise

Während der Fahrt erzählt Indermaur, was sie in diesen Krisenzeiten schmerzlich vermisst: «Mit einem Blindenhund könnte ich problemlos spazieren gehen und besser ÖV fahren. Die Leute würde mich sofort erkennen und den nötigen Abstand einhalten.»

Doch sie musste ihren Hund erst kürzlich zurückgeben: «Er war zu ängstlich und daher nicht für den stressigen Alltag geeignet», sagt Indermaur. Sie muss sich für einen neuen Hund noch gedulden. Die Ausbildung findet zwar statt, die Prüfungen sind jedoch bis auf Weiteres gestrichen. Indermaur gibt sich kämpferisch: «So muss ich halt einfach ohne Begleiter durch diese Krise.»

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