Angst oder Faulheit?
Warum Kinder die Schule schwänzen

Nicht jeder junge Schwänzer ist ein Faulenzer. Manchmal steckt hinter einer unentschuldigten Absenz auch eine psychische Erkrankung. Das müssen Eltern zur Schulangst wissen.
Publiziert: 08.04.2024 um 19:28 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2024 um 08:23 Uhr

Wenn die Kinder nicht zur Schule gehen wollen, kann das bei Eltern schnell auf Unverständnis stossen. Dabei sind die Sorgen des Nachwuchses ernstzunehmen. Denn oft steckt eine Angststörung dahinter. Wie eine Studie des Bundesamts für Statistik zeigt, waren psychische Störungen im Jahr 2022 erstmals der häufigste Grund für Spitalaufenthalte bei 10- bis 24-Jährigen.

So auch bei Simon T.* (14). Wie das Elternmagazin «Fritz und Fränzi» berichtet, ging der Jugendliche aus Schaffhausen zunächst erst ab dem Nachmittag zur Schule. Anschliessend blieb er wochenlang komplett daheim. Sein Zimmer wollte er nicht mehr verlassen. Nach mehreren Gesprächen dann die Diagnose: Simon leidet unter Schulangst. Kurze Zeit später wurde er in einer Klinik behandelt. Doch was ist Schulangst? Und wie entsteht sie?

Immer mehr jüngere Kinder betroffen

Die Angst vor der Schule hat vielfältige Auslöser. Etwa die soziale Abstossung durch Mitschüler oder Lehrkräfte, eine Trennung der Eltern oder Leistungs- und Versagensängste. Betroffene klagen unter anderem über ständige Bauch- oder Kopfschmerzen und wollen morgens nicht aus dem Haus.

Rund 10 Prozent der Schweizer Schulkinder haben schonmal geschwänzt. (Symbolbild)
Foto: IMAGO/Hans Lucas
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Claudia Solenthaler-Flubacher, Sozialpädagogin und Leiterin eines Time-out-Programms, das Kindern mit Schulangst beim Wiedereinstieg helfen soll, erklärt: «Früher hatten wir nur Oberstufenschüler, die nicht mehr zur Schule gegangen sind, weil sie keine Lust hatten. Falsche Kollegen, nächtelanges Gamen, solche Dinge». Dies seien die «klassischen» Schwänzer. Immer häufiger soll das Programm nun aber auch von Schülern wie Simon beansprucht werden, die Angst vor der Schule haben. Besonders häufig seien Primarschulkinder im vor-pubertären Alter betroffen.

10 Prozent aller Kinder schwänzen

Genaue Daten zur Schulangst in der Schweiz gibt es nicht. Allerdings geht aus einer Pisa-Studie von 2015 hervor, dass rund 10 Prozent aller Schweizer Schüler Schulabstinent sind – bedeutet, sie bleiben regelmässig vom Unterricht fern oder gehen gar nicht zur Schule. Dies, ohne im klassischen Sinne krank zu sein.

Eine 2023 veröffentlichte Gesundheitsbefragung des Zürcher Schulamtes zeigt, dass die Tendenz der Schulabstinenten steigt. Von den rund 2000 befragten Schulkindern gaben 15 Prozent der Mädchen und 12 Prozent der Jungen an, im Schuljahr 2022/23 ganze Tage gefehlt zu haben, ohne krank gewesen zu sein. Im Schuljahr 2017/18 lag der Wert noch bei rund 7 Prozent.

Eltern übertragen Ängste

Doch wieso bleiben die Schüler der Schule fern? «Wir leben heute in einer Welt, die übervorsichtig geworden ist, die versucht, sehr vieles zu kontrollieren. Das betrifft auch Eltern. Weil es aber trotz Babyfon, Smartwatch, und Co. nicht möglich ist, Kinder rund um die Uhr zu beschützen, nehmen die Ängste zu», sagt Irene Fontanilles zum Magazin. Sie ist Leiterin der Klinikschule an der Universitären Psychiatrischen Klinik Basel.

«Angst ist etwas furchtbar Ansteckendes. Sind die Eltern ängstlich, übertragen sie das aufs Kind. Hat ein Kind in der Schule Angst, werden auch die Lehrpersonen vorsichtiger. Wir alle müssten den Kindern wieder mehr zutrauen. Kinder müssen darin bestärkt werden, selbst Steine aus dem Weg zu räumen», so die Psychologin weiter.

Corona-Lockdown hatte Einfluss

Auch die Corona-Pandemie spielt gemäss Fontanilles eine Rolle. Dabei hätten Kinder verlernt, sich von ihren Eltern zu trennen und mit Abstossung umzugehen. «Während der Corona-Lockdowns ist viel Einüben von Sozialverhalten auf der Strecke geblieben. Und wenn man keine Strategien parat hat, um mit solchen Situationen umzugehen, kann einen der Schulalltag schnell überfordern und auch Angst einjagen.»

Sollten Eltern bemerken, dass ihre Kinder immer häufiger nicht zur Schule wollen, dann gilt es gemäss der Psychologin, sofort zu handeln. Denn: «Je länger man das, was einem Angst macht, meidet, umso schwieriger wird es. Das ist das Tückische an einer Angststörung», betont Fontanilles. (mrs)

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