«Es ist schwierig, den Dealern etwas nachzuweisen»
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Basler Polizeisprecher erklärt:«Es ist schwierig, den Dealern etwas nachzuweisen»

40 Prozent mehr Tötungsdelikte und Vergewaltigungen – Basel ist die kriminellste Stadt der Schweiz
«Ab 18 Uhr stehen die Dealer überall»

Drogendealer, räuberische Prostituierte und Diebe aus dem nahen Frankreich: Anwohner und Gewerbler in Kleinbasel haben Angst um ihre Sicherheit. Nicht zu Unrecht, wie ihre Schilderungen und die Statistik zeigen.
Publiziert: 02.09.2021 um 08:36 Uhr
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Aktualisiert: 02.09.2021 um 09:29 Uhr
Céline Trachsel

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: 40 Prozent mehr Tötungsdelikte und Vergewaltigungen als im ersten Halbjahr 2020 verzeichnete die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt in den ersten sechs Monaten dieses Jahres – damit ist Basel die kriminellste Stadt der Schweiz, noch vor Biel, Lausanne, Zürich, Neuenburg und Genf.

Auch Raubdelikte und Messerstechereien sind an der Tagesordnung. Erst vor zwei Wochen kam es auf dem Lysbüchel-Areal zu einer tödlichen Auseinandersetzung. Dabei wurde ein 28-Jähriger niedergestochen – er verstarb noch vor Ort.

Vor allem in Kleinbasel fühlen sich Einwohner unsicher

13,1 Gewaltstraftaten pro 1000 Einwohner zählt Basel und steht damit an der Spitze aller Schweizer Städte mit mehr als 30'000 Einwohnern. Unter Gewaltstraftaten fallen alle Straftatbestände, bei denen Gewalt gegen Personen angewendet oder angedroht wurde.

Ivica Novakoski (46) vom Kiosk Ambassador sagt: «Viele Stammkunden kommen abends nicht mehr, weil sie Angst haben.»
Foto: Céline Trachsel
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Besonders in Kleinbasel ist die Gefahr gross. Dort befindet sich das Bermuda-Dreieck mit dem Strassenstrich und einer offenen Dealerszene. Blick sprach mit Anwohnern, Milieu-Insidern und Gewerblern.

Milieu-Kenner Michael B.* (32) weiss: «Wenn du nachts allein oder zu zweit durch die Webergasse gehst, musst du Glück haben, dass du nicht ausgeraubt wirst. Auch Betrunkene sind leichte Opfer. Geklaut werden Geld, Smartphones, Schmuck, Zigaretten – einfach alles, was man so auf sich trägt.» Besonders Franzosen mit Wurzeln im Maghreb, meist aus dem nahen Saint-Louis oder aus dem Elsass, kämen in kleinen Gruppen nach Basel, um Leute «auszunehmen». Der Insider sagt: «Ab 23 Uhr haben auf der Kleinbasler Seite kaum mehr Bars offen. Die soziale Kontrolle fehlt. Dafür tummeln sich hier Gruppen junger Männer. Wer vorbeiläuft, wird auch als Unbeteiligter angegriffen. Keiner fühlt sich mehr sicher.»

Fremdenpolizei schafft aus – eine Stunde später sind sie wieder da

Von einem Verwandten bei der Fremdenpolizei wisse er, dass die Beamten oft Personen ohne Aufenthaltsbewilligung einsammeln und zur Grenze bringen. «Und eine Stunde später stehen sie wieder da. Sie steigen ins Tram und kommen umgehend zurück.»

Ein Bewohner des Alterszentrums an der Ochsengasse erzählt: «Kürzlich kam ich aus einer Bar und wollte in meinen elektrischen Rollstuhl einsteigen, als etwa sechs Typen ‹helfen› wollten. Einer öffnete den Verschluss meiner Uhr.» Der 76-Jährige grinst. «Aber ich spürte es und gab ihm eins auf die Hand. Da zogen sie davon. Doch kurz darauf stellte ich fest, dass mein Handy fehlte.»

Nachts sei es immer lärmig, so der Rentner. «Ich filme oft aus dem Fenster meiner Alterswohnung die Schlägereien. Es lärmt bis drei Uhr durch die Gassen.»

Gewerbler klagen: Kunden kommen abends nicht mehr

Unternehmer Jean-Claude D. Gerber (53) verkehrt seit Jahren im Bermuda-Dreieck. Zum Lärm meint er: «Es war früher nicht ruhiger, aber friedlicher.» Er sieht als Grund für die vielen Delinquenten, die nach Basel kommen, das Schengen-Abkommen und die nicht mehr besetzten Grenzen. «Die können ja ohne Kontrolle kommen und gehen, wie sie wollen», meint er.

Vor allem die Kügeli-Dealer würden stören. Seit rund zwei Jahren machen sie sich auf den Strassen zwischen Claraplatz und Kaserne breit. Personen aus dem Milieu lancierten vor wenigen Wochen eine Petition, damit Polizei und Politik Massnahmen ergreifen. Denn sogar Milieu-Grössen fühlen sich nicht mehr sicher. Ein Wirt übernachtet in seinem Lokal. Zuhälter weisen ihre Frauen an, abends auf den Zimmern zu bleiben. Jack T.* (39), ein Basler Hells-Angels-Mitglied, gibt Blick ein kurzes Interview. «Als wir früher hier im Kleinbasel unser Klublokal hatten, wagten sich solche Leute nicht ins Bermuda-Dreieck. Weil aber unterdessen der gegenseitige Respekt abhanden gekommen ist und der Wohlfühlfaktor im Kleinbasel fehlt, sind wir heute fast nur noch in Grossbasel unterwegs.»

Auch Ivica Novakoski (46), Inhaber des Kiosks Ambassador, fühlt sich manchmal nicht mehr wohl. «Bereits ab 18 Uhr stehen die Dealer überall. Die Passanten haben Angst.» Viele seiner Stammkunden kämen abends nicht mehr. Eine Spezialitätenverkäuferin von der Klybeckstrasse sagt: «Ich mache den Laden abends früher zu, weil ich mich so fürchte. Vor Frauen hat hier keiner Respekt. Ich wurde schon angespuckt, beleidigt, und es gab zwei Einbruchsversuche. Ich trage in meinem eigenen Laden einen Pfefferspray.»

Angst haben auch Jack Buathun (34) und Mama Duagkamon Gaisombat (54). Sie betreiben den Thai-Takeaway Siam Delicious in der Klybeckstrasse. «Mir fehlt das Sicherheitsgefühl», sagt der Sohn. «Abends stehen fünf oder sechs Dealer vor unserem Takeaway-Fenster. Sie schleichen um die Kunden und starren auf deren Portemonnaies, wenn sie bezahlen.»

Um 6 Uhr sind immer noch Dealer und Betrunkene da

Muttalip Karahan (50) vom Restaurant Vegitat ein paar Geschäfte weiter fürchtet sich zwar nicht vor den Dealern. «Wenn man einfach wegblickt, machen die nichts.» Dafür wurde er von zwei dem Aussehen nach osteuropäischen Dieben heimgesucht. «Sie klauten meine Spendenbox mit rund 200 Franken drin. So was geht gar nicht.»

Roger van Klaveren (49) kennt vor allem die Situation am Morgen, weil er jeweils um 6 Uhr seine Kaffee Sandwich Bar to go öffnet: «Am Wochenende ist um diese Zeit immer noch ordentlich was los. Es wird herumgeschrien, Radau gemacht. Oft habe ich ein mulmiges Gefühl.» Er wohnt ein paar Ecken weiter. «Zum Glück habe ich einen Hund. Wenn ich morgens um 5 Uhr mit ihm rausgehe, checke ich zuerst die Lage, bevor ich zu meinem Laden laufe.» Er sei sich aber bewusst, in welchem Quartier er lebe. Deshalb gehe er gelassen mit der Situation um. «Aber ich verstehe schon, wenn sich Leute hier fürchten.»

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