Hans Matti (80) hat keine Lust mehr auf Raser
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Tempomessen mit eigenem Radar:Hans Matti (80) hat keine Lust mehr auf Raser

Mit der Privataktion vor seinem Haus macht sich Hans Matti (80) in Boltigen BE viele Feinde
Rentner jagt Temposünder mit eigenem Radar

Im Kampf gegen Tempoexzesse im Simmental kaufte sich Hans Matti (80) aus Boltigen BE ein Radargerät und stellte es vor sein Haus. Damit schaffte er sich in der Gegend viele Feinde. «Ich bin in Boltigen verhasst», sagt der Rentner zu Blick.
Publiziert: 22.09.2022 um 00:19 Uhr
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Aktualisiert: 22.09.2022 um 08:16 Uhr
Nicolas Lurati

Blechlawinen donnern auf der Kantonsstrasse an Hans Mattis (80) Haus vorbei, in dem er seit 50 Jahren wohnt. Über 7000 Fahrzeuge sind es täglich. Schnellfahrer gefährden seine Sicherheit und diejenige anderer. Der Rentner aus Reidenbach in der Gemeinde Boltigen BE kann die Simmentaler Idylle nicht geniessen.

Stattdessen kämpft er wegen des Verkehrs seit Jahren gegen die Behörden an. «Ich verlange, dass vor meinem Haus der Verkehr entlastet und weniger gerast wird», sagt er zu Blick. «Doch mit meinem Anliegen stosse ich seit über einem Jahrzehnt bei allen Verantwortlichen auf taube Ohren.» Dabei gäbe es sogar konkrete Lösungen, wie der pensionierte Landmaschinen-Verkäufer sagt: «Eine Insel oder eine Bodenwelle würde die Raserei aufhalten.»

Die Situation vor seinem Haus empfindet Matti nicht nur als nervig, sondern auch als prekär und gefährlich: «Vor einiger Zeit kam es zu einem Beinahe-Unfall zwischen einem Schüler auf dem Velo und einem Lastwagen. Ich musste es mit eigenen Augen miterleben – und habe den Bub schon unter dem LKW gesehen.»

Hans Matti (80) aus Boltigen BE ist frustriert: Seit Jahren fahren unzählige Fahrzeuge an seinem Haus vorbei. Kommt hinzu, dass immer wieder massiv zu schnell gefahren wird.
Foto: Zamir Loshi
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Kanton will Strasse sicherer machen, Gemeinderat bockt

Während dieser Unfall verhindert werden konnte, passierte es andere Male trotzdem: 21 Unfälle mit Verletzten haben sich gemäss Geoportal des Bundes auf der rund drei Kilometer langen Strecke zwischen Boltigen und Weissenbach BE in den Jahren 2011 bis 2021 ereignet. Fünf Mal gab es dabei Schwerverletzte.

Um die Kantonsstrasse durch Reidenbach sicherer zu machen, legte der Kanton 2018 sogar ein Sanierungsprojekt der Bevölkerung vor. Doch ausgerechnet der Boltiger Gemeinderat wehrte sich dagegen und erhob Einsprache. Mit bizarrer Begründung: Der Rat wollte keine Bodenwellen, empfand diese als gefährlich wegen der Wasserbildung. Und auch gegen die Idee, Bäume zu pflanzen, sträubte er sich.

Der zuständige Kreisoberingenieur Markus Wyss sagt zu Blick, dass es beim Sanierungsprojekt allerdings um weit mehr als nur um Bodenwellen und Bäume gehe. «Etwa um fehlende Gehwege oder um den Bau einer zweckmässigen Bushaltestelle.» Aber: «Seit der Ablehnung wurde das Sanierungsprojekt nicht weiterbearbeitet.»

Das Projekt ruht also. Im Gegensatz dazu blieb Hans Matti nicht untätig: Mit seinem eigenen Radargerät misst er fleissig die Verkehrsströme, die an seinem Haus vorbeifliessen – machen statt nur motzen.

Jeder Vierte schneller unterwegs als erlaubt

Und sein Radar beweist: In der dritten Augustwoche dieses Jahres misst Mattis Radargerät, dass 26 Prozent aller Fahrzeuge schneller als mit den erlaubten 50 Kilometern pro Stunde unterwegs sind.

Die detaillierte Auswertung der zweiten Augustwoche zeigt wiederum, dass es sich nicht nur um minimale Übertretungen handelte: Über ein Dutzend Fahrzeuge wurde da mit 100 km/h oder mehr gemessen. Im Extremfall sei gar schon mit 120 Sachen vor seinem Haus durchgerast worden, so Matti.

Dass er sein Gerät gekauft und installiert hat und dass er gar den Beweis für die Schnellfahrerei erbringen konnte, hat dem Rentner aber nichts genützt. Im Gegenteil: «Ich werde deswegen im Dorf angefeindet.» Er sagt klar: «Ich bin in Boltigen verhasst. Wegen meiner Bestrebungen nach Verkehrsberuhigungsmassnahmen gabs mal vor Jahren Hupkonzerte vor meinem Haus – auch mitten in der Nacht.»

Nach Blick-Besuch geht Huperei wieder los

Und prompt: In der Nacht nach dem Blick-Besuch Anfang September sei es mit der «elenden Huperei» wieder losgegangen, wie Matti berichtet. Er befürchtet: «Vermutlich haben Automobilisten und Lastwagenfahrer die Leute vom Blick bei den Dreharbeiten gesehen und wollen jetzt so verhindern, dass ein Artikel erscheint.»

Doch allen Anfeindungen zum Trotz ist für Matti klar, dass er und seine Frau das Haus in Boltigen nicht verlassen werden. «Ich würde zwar schon wegziehen wollen. Aber sie will ums Verrecken bleiben», sagt er. «Also bleiben wir auch. Lieber Zoff mit allen anderen – als mit meiner Frau.»

Zu diesen «anderen» gehört auch die lokale Politik. Die Boltiger Gemeinderatspräsidentin Anna Bieri verzichtet auf Blick-Anfrage aber auf eine Stellungnahme. «Die verschiedenen Punkte sind uns bekannt, sowie die Vorwürfe und der Unmut von Herrn Matti. Die zuständigen Stellen dazu sind eingebunden», sagt sie nur.

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