«Das Referendum wurde von Egoisten ergriffen»
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Bertrand Piccard zu CO2-Gesetz:«Das Referendum wurde von Egoisten ergriffen»

Bertrand Piccard zum CO2-Gesetz
«Das Referendum wurde von Egoisten ergriffen»

Im Juni stimmt die Schweiz über das CO2-Gesetz ab. Solarpionier Bertrand Piccard kritisiert die Gegner. Er präsentiert 1000 Lösungen fürs Klima – und für eine profitablere Wirtschaft.
Publiziert: 02.05.2021 um 10:25 Uhr
Der Forscher Bertrand Piccard umrundete als Erster mit einem Solarflugzeug den Globus.
Foto: Anna PIZZOLANTE / REZO.ch
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Interview: Danny Schlumpf

Herr Piccard, Sie sind Forscher. Kommen Wissenschaftler in der Pandemie genügend zu Wort?
Bertrand Piccard: Wir hören oft auf Wissenschaftler, aber nicht genug auf Leute, die neue Technologien entwickeln. Zu wenig gehört werden auch diejenigen, die erklären, welche fantastischen Geschäftsmöglichkeiten im Umweltschutz stecken.

Im Pandemie-Jahr 2020 sind die Treibhausgasemissionen um sieben Prozent gesunken. Erschreckend wenig, wenn man bedenkt, dass fast niemand mehr geflogen ist und das Virus ganze Städte stillgelegt hat.
Es ist ein sehr schlechtes Beispiel für CO2-Reduktion. Denn der Preis waren Hunderte Millionen Arbeitslose, Tausende bankrotter Firmen und grosse soziale Unruhe. Das zeigt: Wir müssen die Reduktion von Emissionen auf andere Weise erreichen als durch den Stopp der Wirtschaft.

Aber können wir den Klimawandel wirklich aufhalten, ohne die Wirtschaft massiv zu schädigen?
Wir können es sogar zu ihrem Vorteil tun! Denn die CO2-Emissionen sind nicht nur ein Klimafaktor. Sie sind auch ein Treiber der Ineffizienz in unserer Industrie und unserem Lebensstil. Wir verbrauchen zu viel Energie, wenn wir CO2 ausstossen. Selbst ohne Klimawandel müssten wir die Emissionen senken, um die Wirtschaft profitabler zu machen und unseren Lebensstandard zu erhöhen.

Der Weltumrunder

Bertrand Piccard (63) ist Psychiater und Forscher. 1999 gelang ihm die erste Nonstopp-Weltumrundung in einem Ballon. 2015 bis 2016 flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Damit machte Piccard schon früh auf die Bedeutung der erneuerbaren Energien aufmerksam. Jetzt hat er eine Liste mit 1000 Lösungen gegen den Klimawandel zusammengetragen. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.

Bertrand Piccard (63) ist Psychiater und Forscher. 1999 gelang ihm die erste Nonstopp-Weltumrundung in einem Ballon. 2015 bis 2016 flog er erneut um den Globus – dieses Mal in einem Solarflugzeug. Damit machte Piccard schon früh auf die Bedeutung der erneuerbaren Energien aufmerksam. Jetzt hat er eine Liste mit 1000 Lösungen gegen den Klimawandel zusammengetragen. Piccard ist verheiratet und Vater dreier Töchter.

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Können Sie das erklären?
Die Leute bezahlen eine hohe Energierechnung, weil ihre Heizung nicht effizient ist und ihre Autos zu viel Benzin verbrauchen. Die Industrie vergeudet viel Geld, weil ihre Technologien veraltet sind. Und das ist auch für die Schweiz von Bedeutung.

Warum?
Es gibt Leute, die sagen, dass es keine Rolle spiele, ob die Schweiz ihre Emissionen verringert. Es sei ja ein kleines Land. Aber das ist nicht der Punkt! Das Ziel der Emissionsreduktion ist es, die Schweiz effizienter und moderner zu machen.

Sie haben 1000 Lösungen aus der ganzen Welt zusammengetragen, die mehr Nachhaltigkeit und Effizienz versprechen. Warum haben Sie diese Liste gemacht – und für wen?
Die 1000 Lösungen sind für Regierungen gedacht, die ihre Klimaversprechen einlösen wollen. Und sie sollen Firmen helfen, günstigere Lösungen zu finden, mehr Gewinn zu machen und gleichzeitig die Umwelt zu schützen.

1000 Lösungen – die Solarfaltdächer

1000 Lösungen hat der Solarpionier Bertrand Piccard zusammengetragen – Projekte aus aller Welt, die dem Klimawandel den Kampf ansagen. Mit dabei ist die Bündner Firma Dhp Technology: Ihr Solarfaltdach hat Piccard überzeugt, weil es weltweit erstmals die doppelte Nutzung von Industrieflächen ermöglicht. Die Pointe: Bei schlechtem Wetter kann es gefaltet und eingefahren werden. «Es ist eine Kombination von Fotovoltaik und Seilstatik», sagt Gian Andri Diem (42). Er führt die Firma zusammen mit Andreas Hügli (51). Der sagt: «Bis jetzt haben wir unser Dach vor allem auf Kläranlagen installiert. Jetzt kommen auch Parkplätze hinzu.» Denn mit der wachsenden E-Mobilität wächst auch die Nachfrage nach Ladestationen.

«Auf den Parkplätzen steigt der Strombedarf massiv», sagt Hügli. Dank weiter Stützenabstände und grosser Höhe haben auch Lastwagen Platz unter dem Dach. Und wenn es Elektro-LKW sind wie diejenigen der Winterthurer Firma Futuricum, ist für einen nachhaltigen Energiefluss gesorgt – von der Sonne über das Dach in den Wagen. Mittlerweile sind elf Solarfaltdächer im Einsatz, das grösste bedeckt die Kläranlage Glarnerland in Bilten: 5600 Quadratmeter. Doch es liegt auch mehr drin. «Dank der modularen Bauweise können wir das Dach beliebig erweitern», sagt Gian Andri Diem, der mittlerweile auch Anrufe von grossen Bau- und Immobilienfirmen erhält: «Die Unternehmen haben registriert, dass Pflästerlipolitik nicht mehr reicht. Es kostet zu viel, auf erneuerbare Energien zu verzichten.»

1000 Lösungen hat der Solarpionier Bertrand Piccard zusammengetragen – Projekte aus aller Welt, die dem Klimawandel den Kampf ansagen. Mit dabei ist die Bündner Firma Dhp Technology: Ihr Solarfaltdach hat Piccard überzeugt, weil es weltweit erstmals die doppelte Nutzung von Industrieflächen ermöglicht. Die Pointe: Bei schlechtem Wetter kann es gefaltet und eingefahren werden. «Es ist eine Kombination von Fotovoltaik und Seilstatik», sagt Gian Andri Diem (42). Er führt die Firma zusammen mit Andreas Hügli (51). Der sagt: «Bis jetzt haben wir unser Dach vor allem auf Kläranlagen installiert. Jetzt kommen auch Parkplätze hinzu.» Denn mit der wachsenden E-Mobilität wächst auch die Nachfrage nach Ladestationen.

«Auf den Parkplätzen steigt der Strombedarf massiv», sagt Hügli. Dank weiter Stützenabstände und grosser Höhe haben auch Lastwagen Platz unter dem Dach. Und wenn es Elektro-LKW sind wie diejenigen der Winterthurer Firma Futuricum, ist für einen nachhaltigen Energiefluss gesorgt – von der Sonne über das Dach in den Wagen. Mittlerweile sind elf Solarfaltdächer im Einsatz, das grösste bedeckt die Kläranlage Glarnerland in Bilten: 5600 Quadratmeter. Doch es liegt auch mehr drin. «Dank der modularen Bauweise können wir das Dach beliebig erweitern», sagt Gian Andri Diem, der mittlerweile auch Anrufe von grossen Bau- und Immobilienfirmen erhält: «Die Unternehmen haben registriert, dass Pflästerlipolitik nicht mehr reicht. Es kostet zu viel, auf erneuerbare Energien zu verzichten.»

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Welche Lösungen haben einen besonders grossen Hebel?
Es gibt zwei Lösungsarten: Die einen befassen sich mit der Produktion sauberer Energie, die anderen mit effizientem Energiesparen. Das ist heute möglich, weil Sonnen- und Windenergie mittlerweile billiger sind als Öl, Gas und Kohle. Und es gibt Technologien, die uns helfen, weniger Wasser, Chemikalien, Energie und natürliche Ressourcen zu verbrauchen.

Kann Technologie allein unsere Probleme lösen?
Sie tut nur das, was die Menschen mit ihr machen. Sie kann die Welt zerstören oder retten. Heute gibt es grossartige Technologien, um die Umwelt zu schützen. Und ich benutze sie: Ich habe ein Haus mit einer Ölheizung gekauft. Dann habe ich das Dach isoliert und die Heizung durch eine Wärmepumpe ersetzt. Mit dem Resultat einer Kostenreduktion um zwei Drittel.

Aber nicht alle können sich eine neue Wärmepumpe leisten …
Das stimmte 1990, als die Zinsen bei sieben Prozent lagen. Aber heute sind sie fast bei null. Wir können Geld ausleihen, um die Heizung auszuwechseln. Und es zahlt sich aus durch die Ersparnisse, die wir damit erzielen. Deshalb gibt es keine Entschuldigung mehr, alte Technologien zu nutzen.

Es gibt Leute, die das Gegenteil behaupten – besonders mit Blick auf das neue CO2-Gesetz. Sie sagen: Das wird uns eine Menge Geld kosten.
Das Referendum gegen dieses Gesetz wurde von Egoisten ergriffen, die Heizöl und schmutzige Autos verkaufen. Sie kümmern sich nicht um die Gesundheit der Bevölkerung und die Vorteile, die dieses Gesetz bringt. Die Bürger werden nämlich Geld sparen, sobald sie das Spiel von Effizienz und Modernität mitspielen.

Warum brauchen wir überhaupt Regulierungen? Warum nicht einfach den Leuten erklären, dass Umweltschutz Kosten spart?
Es gibt Regulierungen für alles, was wir tun: Bildung, Gesundheit, Steuern, Sicherheit. Warum? Weil nicht jedermann verantwortlich und ehrlich ist. Deshalb ist es absolut normal, auch für die Umwelt Regulierungen zu haben. Wenn man die Menschen nicht dazu antreibt, sich zu ändern, ändern sie sich nicht. Auch wenn es in ihrem besten eigenen Interesse ist.

Viele Unternehmen haben versprochen, CO2-neutral zu werden. Warum lassen wir sie jetzt nicht in Ruhe?
Es gibt viele Leute, die versprechen, ihre Steuern zu bezahlen, die Corona-Massnahmen zu befolgen und brav und artig zu sein. Es läuft aber nicht so. Wenn die Firmen CO2-Neutralität bis 2050 versprechen, müssen wir ihnen helfen. Sonst wird nichts passieren bis 2049. Und dann werden alle in Panik verfallen und versuchen, es in einem Jahr zu schaffen – was unmöglich ist.

Verzerren Regulierungen nicht den Wettbewerb?
Das Gegenteil ist der Fall. Ich habe mit vielen Wirtschaftsführern darüber gesprochen. Sie fürchten zwei Dinge: Unsicherheit und Wettbewerbsverzerrung. Genau deshalb brauchen wir Regulierungen, die alle dazu verpflichten, das Gleiche zur gleichen Zeit zu tun. Wenn alle vom selben gesetzlichen Rahmen betroffen sind, gibt es weder Unsicherheit noch Wettbewerbsverzerrung.

Sie sind in engem Kontakt mit der Wirtschaft, amten als Ehrenpräsident von Swisscleantech und unterstützen CEO4Climate. Was können solche Plattformen bewirken?
Wir brauchen sie, um die Wahrheit über neue Technologien zu erzählen und die falschen Argumente von Leuten zu widerlegen, die von Eigeninteressen getrieben werden. So können wir beweisen, dass der Wechsel von schmutzigen zu effizienten Infrastrukturen die Wirtschaft dieses Jahrhunderts ausmacht. Das ist der Weg, Ökologie und Ökonomie zu verbinden.

Aber Staaten rund um den Globus unterstützen fossile Energien immer noch mit Milliarden – auch die Schweiz.
Die Schweiz importiert tatsächlich jedes Jahr fossile Energien im Wert von 13 Milliarden Franken. Dieses Geld wäre viel besser investiert, wenn wir es für erneuerbare Energien und Effizienz nutzen würden. So aber schicken wir jedes Jahr aufs Neue 13 Milliarden ins Ausland – für nichts.

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