Corona-Dienst nach Vorschrift – mehr nicht
So verhalten sich Schweizer Konsumenten in der zweiten Welle

Handy- und Einkaufsdaten zeigen: Social Distancing hat im Vergleich zur ersten Welle deutlich nachgelassen. Vor allem aufs Shoppen wollen viele nicht mehr verzichten.
Publiziert: 03.01.2021 um 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 06.01.2021 um 09:13 Uhr
Thomas Schlittler

Der vorletzte Tag des Jahres: Das Glattzentrum in Wallisellen ZH lädt zum Nach-Weihnachts-Ausverkauf.

Anarchie bricht dennoch nicht aus im umsatzstärksten Einkaufszentrum der Schweiz. Von gähnender Leere kann aber auch keine Rede sein: Die Parkplätze sind voll. Auf den Rolltreppen reiht sich Schnäppchenjägerin an Schnäppchenjäger.

Die Szenerie wirkt wie ein ganz normaler Shoppingtag. Nur die Warteschlangen vor manchen Läden sowie abgesperrte Restaurants erinnern an Covid-19 – und natürlich die Masken. Sie haben es sogar aufs «Sale»-Plakat geschafft.

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Der Augenschein im Glattzen­trum bestätigt, was die Auswertung von Handy-, Einkaufs- und Verkehrsdaten zeigt: Schweizerinnen und Schweizer sind in der zweiten Corona-Welle deutlich mehr unterwegs als noch im Frühling – unabhängig vom Alter. Viele scheinen nur auf das zu verzichten, was explizit verboten ist. Alles andere wird gemacht.

«Seit Anfang November ist die Mobilität relativ konstant geblieben», sagt Peter Moser, stellvertretender Leiter des Statistischen Amts des Kantons Zürich. Der bevölkerungsreichste Kanton des Landes hat beim Forschungsinstitut Intervista ein Monitoring in Auftrag gegeben, um das Mobilitätsverhalten der Bevölkerung während der Pandemie nachzuzeichnen. Dafür werden Daten von 2561 Handynutzern zwischen 15 und 79 Jahren ausgewertet. Ziel: Herausfinden, wie gut sich die Menschen ans Social-Distancing-Gebot halten.

Ende Oktober hat der Bundesrat die ersten Massnahmen im Kampf gegen die zweite Welle ergriffen: Veranstaltungen mit mehr als 50 Personen sowie sportliche und kulturelle Freizeitaktivitäten mit mehr als 15 Personen wurden untersagt, Arbeitgeber angehalten, wenn möglich auf Homeoffice umzustellen. Restaurants, Bars und Clubs mussten neu um 23 Uhr schliessen.

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Deutlich mehr unterwegs als im Frühling

In Folge pendelte sich die durchschnittlich pro Tag und Mensch in der Schweiz zurückgelegte Distanz auf 30 bis 35 Kilometer ein – rund zehn Kilometer weniger als in der Zeit vor Corona, allerdings auch deutlich mehr als während des Lockdowns im Frühling. Damals wurden zeitweise gerade mal 15 bis 20 Kilometer pro Tag zurückgelegt.

Insbesondere in der Freizeit ist die Bevölkerung offenbar nicht mehr bereit, sich komplett einzuschränken. Auf Ausflüge oder den Besuch bei Freunden und Verwandten verzichten deutlich weniger Menschen als im Frühling.

Und das Einkaufsverhalten hat sich gegenüber den vergleichsweise entspannten Monaten im Sommer und Herbst nur minim verändert. «Mobilitätsanlässe wie das Lädele sind nicht versiegt», so Moser.

Das bestätigen auch die Zahlen von Finanzprofessor Martin Brown. Er lehrt an der Universität St. Gallen und beobachtet anhand von Kartentransaktionen das Konsumverhalten: «In den letzten vier Wochen des Jahres war das Volumen von Kartenzahlungen gar 12 Prozent höher als in der gleichen Zeitspanne des Vorjahres.»

Diese Zunahme müsse allerdings relativiert werden. «Wegen Corona gab es eine massive Verschiebung von Bargeld- zu Kartenzahlungen.» Insgesamt sei das Weihnachts­geschäft im stationären Handel schwächer ausgefallen als im Vorjahr.

Und doch: Verwaist waren die Geschäfte in den vergangenen ­Wochen und Monaten nicht. «Insbesondere auf dem Land hielt sich der stationäre Detailhandel im ­Corona-Jahr erstaunlich gut», so Brown. Sogar besser als in den Vorjahren sei der Lebensmittelhandel gelaufen – nicht zuletzt auf Kosten der Gastronomie. «Sehr stark gelitten haben dagegen die Nicht­lebensmittelläden in den Innenstädten.»

Was bringt der Gastro-Lockdown?

Schwierig abzuschätzen ist, wie stark die Schliessung der Restaurations-, Kultur-, Sport- und Freizeitbetriebe per 22. Dezember das ­Mobilitätsverhalten der Bevölkerung beeinflusst hat.

Peter Moser vom Zürcher Statistikamt erklärt: «Die Massnahmen fielen mit dem Beginn der Festtage zusammen. Diese verringern natürlich immer die Pendlermobilität. Das erschwert eine Einschätzung.» Der Freizeitverkehr an den Festtagen habe aber auf dem ­Niveau der vorangehenden Wochenenden gelegen.

Moser betont, dass neue Corona-Massnahmen auch Ende Oktober kaum unmittelbare Auswirkungen auf das Bewegungsverhalten hatten. «Es gibt komplexe Wechselwirkungen zwischen dem Mobilitätsverhalten der Bevölkerung, der ­epidemiologischen Lage und den Massnahmen der Behörden.» Letztere würden in erster Linie dafür sorgen, dass sich bestehende Bewegungstrends verdeutlichen.

Einen interessanten, durchaus erfreulichen Effekt beobachtete derweil Finanzprofessor Brown: «Im Vergleich zu 2019 haben sich die Weihnachtseinkäufe in diesem Jahr besser auf die verschiedenen Wochentage verteilt.»

In der Vergangenheit seien die Dezember-Samstage jeweils mit grossem Abstand die Tage mit der höchsten Kundenfrequenz gewesen. In diesem Jahr sei dieser Effekt deutlich weniger stark ausgefallen. «Insbesondere, nachdem der Bundesrat am Freitag, 11. Dezember die Sperrstunde ab 19 Uhr sowie die Ladenschliessungen an Sonn- und Feiertagen verordnete, gab es einen positiven Effekt auf die Verteilung», so Brown.

Für ihn war das eine Überraschung: «Ehrlich gesagt, hatte ich erwartet, dass diese Massnahmen zu einer noch grösseren Konzentration führen werden.»
Diese Befürchtung habe sich aber nicht bewahrheitet. «Der Bundesrat hat die Signalwirkung der Massnahmen auf das Verhalten der Bevölkerung sehr gut antizipiert – oder einfach nur Glück gehabt.»

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