Die Briger hadern mit Infantino
«Eine Schande fürs Oberwallis»

Die Walliser haben die Nase voll. Sie verstossen ihren berühmtesten Sohn Gianni Infantino. Ein Cousin des Fifa-Papstes findet das schlimm.
Publiziert: 27.11.2022 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 27.11.2022 um 15:02 Uhr
Robin Bäni

Einst war das Oberwallis stolz auf seinen Sohn Gianni Infantino (52). Der «Walliser Bote» titelte 2016, nachdem die Fifa den gebürtigen Briger zum neuen Papst des Weltfussballs krönte: «Wir sind Fifa», und der Stadtpräsident von Brig verkündete eine Freinacht. Der halbe Kanton trug Infantino auf Händen, manch einer trank sich die Füsse rund. «Ä Wallisr» – «ä Brigr»: Der weltbekannte Fussball-Funktionär war einer von ihnen.

Doch das ist nun vorbei. Letzten Montag titelte der «Walliser Bote»: «Man muss sich vom Oberwallis aus schämen.» Hinter den Bergen hämmerten die Leser in die Tasten: «Eine Schande fürs Oberwallis» und: «Bleiben Sie doch bitte in Katar.» Alt Staatsrat Thomas Burgener (68) kommentierte fleissig mit.

Grund für den Tumult ist Infantinos Katar-Rede. Einen Tag vor dem WM-Start setzte sich der Fifa-Chef vor die Mikrofone und holte tief Luft: «Heute fühle ich mich schwul. Heute fühle ich mich behindert. Heute fühle ich mich wie ein Wanderarbeiter.» Die Welt staunte. Und reagierte prompt mit einem Shitstorm. Das sei eine «bizarre Wutrede», eine «Katastrophe», eine «irre Rede», hiess es mehrheitlich in den Medien. Die sozialen Netzwerke produzierten Spott im Sekundentakt: «Infantino ist ungefähr so schwul, wie er ehrlich ist», so der Komiker Mike Müller (59).

Gianni Infantino bei seiner «Wutrede». Darin verglich er das Oberwallis mit Katar.
Foto: freshfocus
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«Ich fühle mich wie ein Behinderter»
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WM-Rede von Gianni Infantino:«Ich fühle mich wie ein Behinderter»

Designerware statt Wanderschuhe

Infantinos Eltern kamen in den 1960er-Jahren aus Italien ins Oberwallis – als Wanderarbeiter. Die Mutter führte am Briger Bahnhof einen Kiosk, der Vater verlegte Schienen für die SBB. Man lebte in einfachen Verhältnissen, wie Infantino vor einiger Zeit in Interviews gern betonte. Er galt als «Büezerbueb», der es an die Spitze des Weltfussballs geschafft hat.

Bei seiner «Wutrede» erinnerte Infantino an seine Biografie. Er betonte, wie hart die Eltern hätten arbeiten müssen, wie schwierig die Lebensbedingungen gewesen, wie schlecht sie als Ausländer behandelt worden seien. Deshalb könne er mit den Gastarbeitern in Katar mitfühlen, von denen viele beim Bau der WM-Stadien ihr Leben verloren. Viele sahen darin eine zynische Rechtfertigung für die Menschenrechtslage im Wüstenstaat. Das unbeugsame Volk am Fuss des Simplons jedoch erkannte darin einen Affront.

Zum Beispiel alt Staatsrat Burgener. In seinem Garten holt der Sozialdemokrat vor der Kulisse der Alpen auf «Wallisertitsch» zum Gegenschlag aus: «Eine Frechheit! Das zeigt, wie unterwürfig Infantino ist. Er lässt sich von den Katarern instrumentalisieren.»

Den Fifa-Papst hält er für abgehoben, er stehe nicht mehr mit beiden Beinen auf dem Boden: «Infantino ist keiner von uns.» So erfährt der Aufstieg des Fussball-Funktionärs eine Umdeutung: Statt in Wanderschuhen Viertausender zu besteigen, habe er in Designerschuhen den obersten Rang der Fifa erklommen. Nach all den Skandalen meint Burgener: «Es ist Zeit, zurückzutreten.»

Mit Glühwein gegen Kamerun

Dass der Ex-Politiker gegen Infantino schiesst, hängt womöglich auch mit seinem Wohnort zusammen. Burgener lebt in Visp – und von dort stammt auch Sepp Blatter, der für Infantino abdanken musste. Das Schulhaus trägt dessen Namen. Visp ist Blatter-Land. Die meisten kennen ihn persönlich.

So auch Burgener. «Klar hat Blatter keine drei Heiligenscheine. Aber wer hat die schon? Immerhin machte er aus der Fifa ein Milliardenunternehmen», relativiert Burgener. Zwischen Visp und Brig liegen bloss etwa 8,5 Kilometer. Zwischen den Ortschaften aber herrscht eine alte Fehde. Und ausgerechnet beide stellten je einen Fifa-Präsidenten, die sich heute bekriegen.Selbst in Brig haben sich jedoch viele von Infantino abgewandt, wie ein Besuch auf dem Dorfplatz zeigt. Am Donnerstag stehen dort ungefähr 30 Leute. Bei Glühwein verfolgen sie das Spiel Schweiz gegen Kamerun. Auf Infantino angesprochen, sagt einer: «Dä het än Egge ab», ein anderer: «Er hat alle Sympathien verspielt.»

Andere halten an Infantino fest. Zum Beispiel Stadtpräsident Mathias Bellwald (58). «Ich glaube nicht, dass der Fifa-Präsident als Experte in Sachen Menschenrechte taugt», sagt der Freisinnige. Und: «Wo gehobelt wird, fliegen Späne.» Infantino habe versucht, die einende Kraft des Fussballs zu nutzen, das sei ihm zugutezuhalten.

Bellwald rechtfertigt sogar den Vergleich des Wallis mit Katar: «Auch die Arbeitsbedingungen der italienischen Wanderarbeiter waren desaströs. Zum Beispiel hat der Bau des Simplontunnels zahlreiche Opfer gefordert.» Das war allerdings zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Oberstaatsanwalt droht mit Anwalt

Die Sichtweise des Briger Stadthäuptlings teilt auch Daniel Nellen (53), der Cousin von Infantino. Er führt in Brig ein Coiffeurgeschäft. Als Familienangehöriger treffe ihn die Kritik persönlich: «Wir sind nicht viel besser als Katar. Auch im Oberwallis sind Dinge passiert, die nicht in Ordnung waren.»

Es stimme, dass Infantino als Kind wegen seiner roten Haare gehänselt worden sei. «Sautschingg und Hueretschingg hat man den Italienern nachgerufen.» Nellen findet es schlimm, wenn man über jemanden schlecht spreche, den man persönlich nicht kenne. Seufzend meint er: «Im Endeffekt ist man in Brig immer der Secondo – auch noch heute. Gäbe es dasselbe Bashing gegen Infantino, wenn er Schmid heissen würde?»

Ob sie ihn persönlich kennen oder nicht – alle haben zu Infantino eine Meinung. Entweder kämpfen sie für oder gegen ihn. Auffallend, dass Rinaldo Arnold schweigt, ein Jugendfreund des Fifa-Chefs. Er ist Walliser Oberstaatsanwalt und war in den Fall Lauber involviert. Gegenüber SonntagsBlick drohte er mit dem Anwalt, falls sein Name in der Zeitung erscheinen sollte.


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