Die Eltern von Adeline (†34) sprechen vor dem Prozess über den Mörder ihrer Tochter
«Er hat sie absichtlich langsam getötet»

Ab nächsten Montag steht der Mörder von Adeline († 34) in Genf vor Gericht. Nun erzählen die Eltern, wie sie den Täter einschätzen und warum sie trotzdem stark bleiben.
Publiziert: 28.09.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 08:10 Uhr
Gabriela Battaglia

Der Fall erschütterte die Schweiz. Vor drei Jahren, am 12. September 2013, starb Adeline Morel (†34), Sozialtherapeutin und Mutter eines damals acht Mo­nate alten Mädchens. Brutal ermordet vom Häftling Fabrice Anthamatten (42). Ab Montag steht er in Genf vor Gericht.

Die Familie von Adeline rechnet für den Prozess mit dem Schlimmsten. Esther (66) und Jean-Claude Morel (73) wollen trotzdem im Gerichtssaal anwesend sein. «Wir haben Angst. Alle haben Angst», sagen sie beim Besuch von BLICK in Avusy GE. «Der Mörder unserer Tochter ist kein menschliches Wesen. Er ist ein Psychopath und ein Sadist.»

Der verurteilte Vergewaltiger sass trotz einer Haftstrafe von 20 Jahren nicht im Knast, sondern wurde im Resozialisierungszentrum La Pâquerette auf seine Freilassung vorbe­reitet. Auf einem begleiteten
Freigang zu einer Reittherapie schnitt Anthamatten Adeline die Kehle durch.

Esther (66) und Jean-Claude Morel (73) vor dem Grab von Adeline. Sie hoffen, dass der Mörder ihrer Tochter lebenslänglich verwahrt wird.
Foto: Peter Gerber
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Die Sozialtherapeutin wurde am nächsten Tag an einen Baum gefesselt in einem Wald bei Genf nahe dem Reitzentrum gefunden. «Er hat sie absichtlich langsam getötet», sagt Esther Morel. «Er genoss die Todesangst und die Hilflosigkeit unserer Tochter.» Anthamatten hatte das Messer auf dem Weg zur Reittherapie gekauft. Nach der Tat flüchtete er mit dem Dienst­wagen. Drei Tage später wurde er an der deutsch-polnischen Grenze gefasst.

Adelines Eltern kennen alle Details der brutalen Tat. Nur den Autopsie-Bericht haben sie wegen der Fotos nicht gelesen. Den Killer ihrer Tochter sehen sie am Montag nicht zum ersten Mal. Rund zwei Dutzend Mal verfolgten sie hinter einer getönten Scheibe, wie Anthamatten verhört wurde: «Wir wollten immer dabei sein.»

Der Killer setzte sich dabei in Szene. «Er ist stolz auf seine Tat», sagt Esther Morel. «Er brüstete sich, im Stil von: ‹Schaut her, ich bin ein Held.› Er sagte, wir könnten stolz sein auf unsere Tochter. Adeline sei bis zum Schluss professionell gewesen.»

Trotz solcher Aussagen blieben die Eltern stark. Für sie ist klar: «Als er Adeline zum ersten Mal sah, wusste er, dass er sie töten will. Wenn wir sagen, dass wir leiden, gefällt ihm das.» Warum der Täter im Therapiezentrum statt im Knast sass, können sie bis heute nicht verstehen. «Wieso war er überhaupt in ­La Pâquerette?», fragt Jean-Claude Morel. «Er täuscht und manipuliert alle.»

«Wir möchten im Wissen sterben, dass er nie mehr freikommt»

Das Zentrum für Sozialtherapie La Pâquerette galt als Vorzeigebetrieb. Nach dem Mord an Adeline wurde es geschlossen. «Unsere Tochter war ganz allein. Warum hatte das Auto kein Alarmsystem?», fragt Adelines Vater.

Die Genfer Politik tut sich schwer mit der Aufarbeitung des Falls. Die damalige Direktorin von La Pâquerette, arbeitet weiter für den Staat, nun im Genfer Universitätsspital (HUG). «Sie hat sich nie bei uns entschuldigt», sagen Adelines Eltern. Der Genfer Grosse Rat setzte eine parlamentarische Untersuchungskommission ein, um die Rolle des Kantons zu untersuchen. Sie verschob die Veröffentlichung ihres Berichts mehrmals, zuletzt auf Januar 2017.

Adelines Eltern zweifeln: «Wir glauben, dass etwas nicht ans Tageslicht kommen soll.» Sie sind froh, dass der Prozess endlich beginnt. Er wird – unter grössten Sicherheitsvorkehrungen – zwei Wochen dauern. «Der Mörder unserer Tochter muss lebenslänglich verwahrt werden», sagen die Eltern. «Wir möchten im Wissen sterben, dass er nie mehr freikommt.»

50 Meter entfernt von ihrem Elternhaus fand Adeline Morel auf dem Friedhof die letzte Ruhe. Ihr Lebenspartner und die heute dreijährige Tochter kommen regelmässig vorbei. «Unsere Enkelin liebt es, ihrem Mami Blumen hinzulegen», sagt Esther Morel. «Sie ist noch zu klein, um die Wahrheit zu kennen. Eines Tages müssen wir ihr aber alles erzählen.»

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