«Wir haben sehr viel Herzblut reingesteckt»
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Geschäftsführer Leo Pichler:«Ich kenne jede einzelne Kachel dort oben»

Ein kleiner Obwaldner Keramikbetrieb verschönert das Giebelfeld des Bundeshauses
Für jeden Parlamentssitz eine Kachel

Bald schmückt das Kunstwerk «Tilo» das Giebelfeld des Bundeshauses. Die Kacheln dafür fertigte ein kleines Team in einer Werkstatt in Sarnen OW. Ein Besuch im Keramikbetrieb von Leo Pichler und Mario Sofia.
Publiziert: 23.05.2023 um 01:29 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2023 um 07:31 Uhr
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Rebecca WyssRedaktorin Gesellschaft / Magazin

Leo Pichler (61) schaufelt Gips in einen grossen Metallkrug, ein, zwei, dreimal, rührt das Pulver mit Wasser zusammen, stellt es unters Rührwerk. Es riecht nach faulen Eiern, er ruft: «Das bin im Fall nicht ich!» Lacht. Und macht sofort weiter, muss pressieren. Einmal mit Wasser in Kontakt, bindet der Gips rasch ab. Und das kann er nicht brauchen, er muss die Holz-Form befüllen, die auf der Werkbank liegt.

Sandro Halter (33) hat sie mitentwickelt und nun für den Guss vorbereitet, fährt mit den Fingern über die Wellen, die reliefartig ins Holz geschnitten sind, als prüfte er, ob ein Splitter absteht. Dann füllt Pichler die weisse Masse in die Form, Halter ruckelt das Holz derweil rhythmisch hin und her und die Wellen verschwinden in der weissen Masse.

Wir stehen in der Werkstatt der Keramikfirma Swisskeramik. Hier stapeln sich Bretter voller Kacheln, gebogen, flach, sechseckig, quadratisch, alles Mögliche gibt es hier, doch nichts ist so, wie das, woran hier in den vergangenen Monaten gearbeitet wurde: Keramikplatten fürs Bundeshaus.

Sie zeigen, wie die Bundeshaus-Kacheln gemacht werden (v.l.): Sandro Halter (Zimmermann, Künstler), Mario Sofia (Co- Geschäftsinhaber) und Leo Pichler (Co-Geschäftsinhaber).
Foto: STEFAN BOHRER
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Leo Pichler ist der Co-Geschäftsführer und sagt: «Wir hatten am Anfang den Gagg in den Hosen.» Weil die Aufgabe anspruchsvoll ist. Doch auch: Dieses Budeli mit fünf Leuten an der Töpferstrasse in Sarnen schreibt Schweizer Geschichte.

Eine Risiko-Aufgabe

Das Bundeshaus entstand zwischen 1894 und 1902. An allen Ecken hat man es veredelt und ausgeschmückt, nur ein Platz ist bis heute karg geblieben: Das dreieckige Giebelfeld. Nun soll sich das ändern. Zur Feier des 175-Jahr-Jubläums der Bundesverfassung.

Die Basler Künstlerin Renée Levi (63) hat zusammen mit Swisskeramik das Kunstwerk «Tilo» entwickelt – eine Hommage an Tilo Frey (1923–2008), die es 1971 als eine der ersten Frauen und als erste Schwarze Frau in den Nationalrat schaffte. Levi's Idee: Ein Mosaik aus 246 Keramikplatten, für jeden Parlamentssitz eine Kachel.

Die Stücke schimmern grünlich, ähnlich wie der Sandstein des Bundeshauses. Durch unterschiedlich verlaufende Wellen auf der Oberfläche und mit der feinen Glasur, die das Tageslicht je nach Winkel immer wieder neu brechen, erscheint die ganze Fläche in Bewegung. Ein symbolträchtiges Projekt, doch, sagt der Keramikmeister Pichler: «Wir wussten nicht, ob es umsetzbar ist.»

Im März fertigten er und sein Team die letzten Platten für «Tilo» an, ein 100'000-Franken-Auftrag. Für uns arbeiten sie nun eine nach. Er legt die hart gewordene Gips-Form auf einen Tisch, trägt mit einem Draht Streifen für Streifen vom Ton-Block daneben ab, drückt sie in die Gips-Form, in die Wellen hinein, legt ein Stück nasses Stück Geissenleder darüber und fährt mit den Fingern der Wellenform entlang. «Das ist wie Kraftraining», sagt er, und schnauft schwer.

Sein Geschäftspartner Mario Sofia (55) übernimmt für ihn, erklärt, was so schwierig daran ist: Die Kacheln sind gross, mit bis zu einem Meter lang. Und: Sie müssen bei enorm hohen Temperaturen gebrannt werden – 1220 Grad. Müssen alles aushalten können, Sonne, Wind, Wasser, Frost. Diese Kombination war ganz neu. Sofia sagt: «Wir hatten Angst, dass sie den Brennvorgang im Ofen nicht überstehen würden, ohne Risse oder Sprünge.»

Harte Zeiten überlebt

Doch die beiden taten mit ihrem Team, was sie immer tun: pröbeln. Und schafften es. Wie so oft schon. So gehen sie durchs Leben: nicht aufgeben. Anders gäbe es den Betrieb heute gar nicht mehr. «Wir kämpften lange ums Überleben», sagt Sofia. Vor dreissig Jahren fingen sie mit Kachelöfen an. Doch das Geschäft lief immer schlechter. Auch wegen der Wärmepumpen, die die wohlig-warmen Kachelöfen immer mehr verdrängten.

Aufträge blieben aus, die beiden Chefs zahlten sich manchmal keinen Lohn aus. Bauten Personal ab. Und der Nachwuchs, Lehrlinge – das fehlt heute komplett. «Wir konnten niemanden nachziehen», sagt Pichler, der jeden seiner Arbeitsschritte fühlt, dessen Herz sich zusammenzieht, wenn er die Berufsbezeichnung Industriekeramiker hört – «lieblos klingt das».

Die Wende brachte ein Entscheid vor fünf Jahren: Sie wollten sich öffnen. Für Kunst am Bau, für Architektur. Seither liegen im Trockenraum nicht nur Kacheln für Öfen, sondern für Kunst- und Bau-Projekte. Und es läuft besser. Jetzt sowieso.

Kritik an Tilo

Das Kunstwerk, das am Bundeshaus entsteht, sorgt nicht nur für Begeisterung: Schliesslich hat das leere Dreieck oberhalb des Haupteingangs zum Bundeshaus nie jemanden gestört. Trotzdem entschied die Parlamentsspitze, dass es dort Kunst braucht.

Eine halbe Million Franken an Steuergeldern kostet das Werk. Beschlossen wurde die «Verschönerung» während der Corona-Krise, als Zehntausende in Kurzarbeit waren, um ihre Geschäfte bangten oder den Job verloren. Dass das Parlament in dieser Krise unsichtbare Löcher mit Geld stopft, sorgte für Kopfschütteln.

Nicht nur die Finanzen werfen Fragen auf: Wer zu Hause Solarpanels aufs Dach montieren will, bekommt sogleich den Widerstand von Denkmal- oder Heimatschutz zu spüren – gerade in Bern. Beim altehrwürdigen Bundeshaus, dem Symbol für unseren Staat schlechthin, ist das kein Problem. Der oberste Stadtberner Denkmalpfleger sass selbst in der Wettbewerbsjury. Schon beim Bau des Bundeshauses sei im Dreieck Kunst vorgesehen gewesen. Das Kunstwerk «Tilo» sei also nur die Vollendung der alten Pläne.

Auch am Kunstwerk selbst gab es aber Kritik. Dekorativ sei es zwar, aber ohne Inhalt, sagte Bernd Nicolai, emeritierter Professor für Architekturgeschichte der Uni Bern in der «Berner Zeitung». Auch andere Experten äusserten Vorbehalte.

Die SVP wollte das Projekt gar stoppen. Doch sie blieb erfolglos. Es sei kein Luxusprojekt, argumentierte das Büro des Nationalrats und die Mehrheit des Rats folgte ihm. Und so wird Mitte September das Werk eingeweiht. Ob den Besuchern das Dreieck zwischen Haupteingang und Bundeshaus eher auffällt, wird sich zeigen. (bro)

KEYSTONE

Das Kunstwerk, das am Bundeshaus entsteht, sorgt nicht nur für Begeisterung: Schliesslich hat das leere Dreieck oberhalb des Haupteingangs zum Bundeshaus nie jemanden gestört. Trotzdem entschied die Parlamentsspitze, dass es dort Kunst braucht.

Eine halbe Million Franken an Steuergeldern kostet das Werk. Beschlossen wurde die «Verschönerung» während der Corona-Krise, als Zehntausende in Kurzarbeit waren, um ihre Geschäfte bangten oder den Job verloren. Dass das Parlament in dieser Krise unsichtbare Löcher mit Geld stopft, sorgte für Kopfschütteln.

Nicht nur die Finanzen werfen Fragen auf: Wer zu Hause Solarpanels aufs Dach montieren will, bekommt sogleich den Widerstand von Denkmal- oder Heimatschutz zu spüren – gerade in Bern. Beim altehrwürdigen Bundeshaus, dem Symbol für unseren Staat schlechthin, ist das kein Problem. Der oberste Stadtberner Denkmalpfleger sass selbst in der Wettbewerbsjury. Schon beim Bau des Bundeshauses sei im Dreieck Kunst vorgesehen gewesen. Das Kunstwerk «Tilo» sei also nur die Vollendung der alten Pläne.

Auch am Kunstwerk selbst gab es aber Kritik. Dekorativ sei es zwar, aber ohne Inhalt, sagte Bernd Nicolai, emeritierter Professor für Architekturgeschichte der Uni Bern in der «Berner Zeitung». Auch andere Experten äusserten Vorbehalte.

Die SVP wollte das Projekt gar stoppen. Doch sie blieb erfolglos. Es sei kein Luxusprojekt, argumentierte das Büro des Nationalrats und die Mehrheit des Rats folgte ihm. Und so wird Mitte September das Werk eingeweiht. Ob den Besuchern das Dreieck zwischen Haupteingang und Bundeshaus eher auffällt, wird sich zeigen. (bro)

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Ab Mitte September wird es ernst. Dann hängt das Werk. Sichtbar für die ganze Schweiz, für die Welt, wenn sie über die Schweiz berichtet. Was fühlen die beiden dabei? «Stolz», sagt Mario Sofia. «Wir haben etwas für die Nachwelt geschaffen.» Aber auch: Verantwortung. Leo Pichler sagt: «Manchmal kommen Zweifel: Was wenn es den Leuten nicht gefällt?» Diese wischt er schnell beiseite. Er muss weitermachen.

Die Ton-Kachel muss nun trocknen, wochenlang, danach rührt Mario Sofia die Glasur an, spritzt das Stück und legt es in den Ofen. Dort verbringt es einige Tage. Das ist der Lauf jeder Kachel, der Rhythmus der immer gleichen Schritte bei diesem alten Handwerk. Doch dieser droht aus dem Takt zu geraten. Was mit dem Betrieb nach der Pensionierung der beiden Chefs passiert, ist unklar. Leo Pichler sagt: «Wir hoffen auf Tilo, vielleicht bringt sie uns eine neue Perspektive.»

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