ETH-Präsident gegen Spardruck
«Wir brauchen ein Cern für künstliche Intelligenz»

Der ETH-Bereich soll 100 Millionen sparen, die ETH Zürich trifft dies mit 50 Millionen am härtesten. «Das gefährdet Spitzenforschung», warnt Präsident Joël Mesot – und fordert zusätzliche Gelder für künstliche Intelligenz.
Publiziert: 11.02.2024 um 01:08 Uhr
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Aktualisiert: 11.02.2024 um 19:59 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Blick: Herr Mesot, der bekannteste ETH-Student war Albert Einstein. Was würde er zu den drohenden Kürzungen sagen?
Joël Mesot: «Wir spielen mit unserer Zukunft.»

Die ETH Zürich soll 50 Millionen weniger bekommen. Sie wehren sich und schlagen einen runden Tisch vor. Hat der Bundesrat schon zugestimmt?
Wir sind im Gespräch. Ich habe Verständnis für die schwierige finanzielle Lage des Bundes. Die Schweizer Spitzenforschung darf aber nicht darunter leiden. Wir wollen in der Champions League der Forschung bleiben – und das kostet Geld.

Forschung mit Quantenmaterialien

Der Genfer Joël Mesot (59) ist seit 2019 Präsident der ETH Zürich. Der Physiker studierte einst selbst an der ETH und machte sich in der Forschung mit Quantenmaterialien einen Namen. Mesot ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Der Genfer Joël Mesot (59) ist seit 2019 Präsident der ETH Zürich. Der Physiker studierte einst selbst an der ETH und machte sich in der Forschung mit Quantenmaterialien einen Namen. Mesot ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Was sagen Sie einem SVP-Politiker, der findet, junge Leute sollten statt Gymnasium lieber eine Lehre machen?
Ich warne davor, Studium und Lehre gegeneinander auszuspielen. Die Schweiz ist deswegen so gut, weil wir unterschiedliche Berufswege einschlagen können. Jeder Franken, der in die ETH fliesst, ist ein Investment mit hervorragender Rendite. Für jeden investierten Franken erhält die Schweiz fünf Franken zurück. An der ETH entstehen viele Patente und Spin-offs – wir sind ein Motor für Innovation und forschen etwa zur Zukunft der Energiespeicherung.

«Wenn wir im Bildungs- und Forschungsbereich sparen, werden wir dafür in 10 oder 20 Jahren die Zeche bezahlen», sagt der ETH-Präsident im Gespräch mit Raphael Rauch.
Foto: Thomas Meier
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Der Bundesrat behauptet, die Kürzungen hätten keine Konsequenzen für die Forschung, weil Sie Reserven haben.
Das stimmt nicht.

«Bildung ist alles, was wir in der Schweiz haben»
0:54
ETH-Präsident im Interview:«Bildung ist alles, was wir in der Schweiz haben»

Lügt der Bundesrat?
Es gibt ein Missverständnis. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass wir die Kürzungen über Reserven auffangen können. Das ist aber nicht möglich. Wir brauchen sie für wichtige Infrastruktur-Programme. Auch vergisst der Bundesrat, dass wir mit der Inflation zu kämpfen haben. Die Teuerung wird nicht kompensiert – und das bei wachsenden Studierendenzahlen. Kumuliert fehlen uns wohl gegen zehn Prozent!

Schweizer Politiker sagen gern, Bildung sei der einzige Rohstoff unseres Landes. Sind das nur Sonntagsreden?
Bildung ist das Kapital der Schweiz – doch leider ist Bildung nicht von oberster Priorität. Wenn wir im Bildungs- und Forschungsbereich sparen, werden wir in zehn oder 20 Jahren die Zeche dafür zahlen. Ein Beispiel: Wir haben einen Supercomputer in Lugano, der auch zur ETH gehört. Er ist weltweit einzigartig, um Simulationen für Wetterprognosen oder Modelle für vertrauenswürdige KI zu rechnen. Künftig könnten wir uns diese Grundlagenforschung nicht mehr leisten.

Die ETH hat eine Professur für Literaturwissenschaft und betreibt das Thomas-Mann-Archiv. Passt das auch in finanziell angespannten Zeiten zu ihrem Profil?
Wenn eine Professorin oder ein Professor in den Ruhestand geht, überlegen wir uns: Ist das Profil noch zeitgemäss? Wie sollen wir die Stelle ausschreiben? Als eidgenössische Universität haben wir den Anspruch, das kulturelle Erbe zu pflegen und ein breites Feld des Wissens abzudecken, deshalb haben wir bewusst auch ein Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften. Trotzdem kann kein Stein auf dem anderen bleiben, wenn wir massiv Geld sparen müssen.

Forschung mit Quantenmaterialien

Der Genfer Joël Mesot (59) ist seit 2019 Präsident der ETH Zürich. Der Physiker studierte einst selbst an der ETH und machte sich in der Forschung mit Quantenmaterialien einen Namen. Mesot ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Der Genfer Joël Mesot (59) ist seit 2019 Präsident der ETH Zürich. Der Physiker studierte einst selbst an der ETH und machte sich in der Forschung mit Quantenmaterialien einen Namen. Mesot ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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Warum erhöhen Sie nicht einfach die Studiengebühren, um das Finanzloch zu stopfen?
Ich möchte bei uns keine amerikanischen Verhältnisse. Ich bin dagegen, dass sich junge Menschen verschulden müssen, um eine gute Ausbildung zu erhalten. In meiner Familie war ich der Erste, der studierte. Ich konnte auch deswegen an die ETH gehen, weil das Studium praktisch gratis war.

Die künstliche Intelligenz boomt. Bräuchten Sie nicht mehr Geld, um hier mithalten zu können?
Doch. Statt jetzt massiv zu sparen, müssten wir eigentlich in diese Technologie investieren, die gerade die Welt verändert. Wir brauchen ein Cern für künstliche Intelligenz – sonst verpassen wir eine der wichtigsten Entwicklungen des 21. Jahrhunderts.

Wie attraktiv ist die ETH als Arbeitgeberin?
Wir sind eine der besten Unis der Welt, weil viele kluge Köpfe bei uns studieren und arbeiten. Wir verlieren aber immer wieder Talente, weil sie anderswo ein besseres Angebot bekommen. Ich bedaure sehr, dass sich die Schweiz noch nicht mit Brüssel einigen konnte. Es ist ein grosser Standortnachteil, dass wir beim EU-Forschungsprogramm Horizon Europe nicht als Vollmitglied mitmachen können.

Bedauern Sie, dass Wissenschaftsminister Guy Parmelin der SVP angehört, die der EU ablehnend gegenübersteht?
Herr Parmelin versteht unser Anliegen sehr gut.

Sie konnten den Lidl-Millionär Dieter Schwarz als Mäzen gewinnen. Er wird Millionen für Lehrstühle in Zürich und im deutschen Heilbronn investieren. Lidl ist ein Billig-Discounter. Passt das zur ETH, der Crème de la Crème der Forschung?
Die Dieter-Schwarz-Stiftung hat eine klare Vision: Bildung und Forschung zu fördern. Wir sind glücklich, dass die Stiftung die ETH dabeihaben möchte, um diese Vision umzusetzen, und haben vom Bund zudem den klaren Auftrag, mehr Drittmittel einzuwerben. Ich sehe hier kein Problem, zumal die Gelder keinen Einfluss auf die Forschung haben und die wissenschaftliche Unabhängigkeit gewahrt ist.

Die Präsidentin der US-amerikanischen Universität Harvard musste wegen umstrittener Aussagen zum Angriff der Hamas auf Israel zurücktreten. Gibt es einen solchen Kampf der Kulturen auch an der ETH?
Wir haben Studierende und Forschende aus aller Welt, da gibt es manchmal Meinungsverschiedenheiten. Wir haben das auch zu Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine gemerkt. Aber bei uns kam es zu keinem Politikum wie in den USA.

Wie schützen Sie sich vor Spionage aus dem Ausland?
Wir entwickeln derzeit eine Strategie. Studierende, die an militärnahen chinesischen Universitäten studiert haben, müssen wir von bestimmten Forschungsprogrammen ausschliessen.

Ist das eine Lex China?
Nein. Es geht darum, in gewissen Fällen zu prüfen, ob Regeln der Exportkontrolle oder Sanktionen eingehalten wurden, unabhängig von der Nationalität der Forschenden. Wir haben dafür an der ETH schon seit 2017 eine entsprechende Fachstelle.

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