Extremer Gewitter-Juni plagt die Schweiz
An solche Bilder müssen wir uns gewöhnen

Hagelschäden, Geröllmassen, geflutete Bahnhöfe und Strassen. Die Schweiz erlebt eine Phase heftiger Gewitter – und Entspannung ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Klimaerwärmung macht unser Wetter noch extremer.
Publiziert: 26.06.2021 um 01:01 Uhr
Marco Latzer

Das Wetter spielt in diesen Tagen verrückt in der Schweiz. Kaum ein Tag, ohne dass ein Ort von Naturgewalten verwüstet wird. Am schlimmsten trifft es am Dienstagabend Cressier NE: Nach heftigen Unwettern bahnt sich eine Geröllwalze seinen Weg durch das Dörfchen zwischen Bieler- und Neuenburgersee (Blick berichtete).

75 Gebäude werden durch das Unwetter in Mitleidenschaft gezogen, Anwohner sprechen von einem Albtraum. Versicherungsexperten vermuten einen Sachschaden von rund 15 Millionen Franken in der betroffenen Region.

Lokal giesst es wie aus Kübeln

Nicht nur Cressier, sondern das ganze Mittelland wurde in der vergangenen Woche von heftigen Gewittern heimgesucht. In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag gingen bei der Kantonspolizei 800 Schadensmeldungen ein.

Gewaltiges Ausmass der Zerstörung: Cressier NE wurde am Dienstagabend von einer Schlammlawine geflutet.
Foto: keystone-sda.ch
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Überflutete Keller, blockierte Bahnhöfe, umgeknickte Bäume und Aquaplaning auf den Strassen – die Einsatzkräfte hatten alle Hände voll zu tun. Landesweit haben die Gewitterstürme Unmengen an Gemüse und Obst zerschmettert.

Die höchsten Niederschlagsmengen fielen mit 166,7 Millimetern in Rüschegg BE und Kiesen bei Thun BE mit 155,9 Millimetern. Die statistisch normal im Juni zu erwartende Regenmenge wurde hier binnen weniger Tagen mehr als übertroffen.

Keine Entspannung in Sicht

Heftige Sommergewitter seien im Prinzip nichts Aussergewöhnliches, sagt Geraldine Zollinger, Meteorologin bei Meteonews, zu Blick. Aber: «Dass wir über mehrere Tage am Stück dieses enorme Gewitterpotenzial haben, ist schon aussergewöhnlich!»

Schuld daran ist eine süd- bis südwestliche Höhenströmung, die feuchte und instabil geschichtete Luft von den Voralpen und dem Jura aus ins Mittelland transportiert. Dort türmt sie sich dann zu zerstörerischen Superzellen auf, weil sie dank der warmen Böden noch an Kraft zulegt.

Nach kurzzeitiger Entspannung herrscht ab Sonntagabend wieder die praktisch identische Wetterlage vor. Heisst: Mit weiteren Unwettern und Schäden muss gerechnet werden. «Wo, das ist kaum vorauszusagen, da es sich jeweils um sehr lokale Phänomene handelt», sagt Zollinger. Während einige Orte regelrecht geflutet würden, sei es dagegen im Tessin und im Engadin momentan viel zu trocken.

Unser Wetter wird immer extremer

Im Schnitt ist die Schweiz etwa alle fünf bis zehn Jahre von solchen Unwettern betroffen, zuletzt 2016 und 2007. Zukünftig dürften solche Ereignisse wegen der Klimaerwärmung häufiger auftreten. Das Wetter wird extremer und unberechenbarer.

«Neben der allgemeinen Tendenz zu abnehmenden sommerlichen Niederschlagssummen zeigen die Berechnungen, dass starke Niederschläge häufiger und intensiver zu erwarten sind», sagt Klimatologe Stephan Bader von Meteo Schweiz. «Mit anderen Worten: Im zukünftigen Sommer regnet es in der Summe zwar weniger, wenn es aber regnet, dann oft als Starkniederschlag.»

Gerade in diesem Bereich ist die Datenlage aber noch äusserst dünn. Eine langjährige Analyse zur periodischen Gewitterhäufigkeit ist nicht vorhanden. Auch zur Häufigkeit von Superzellen, die für die Schäden in dieser Woche verantwortlich waren, gibt es keine verlässlichen Zahlen.


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