Fachpsychologin Martina Windler über tödliche Schläge in der Ehe
«Gewalt darf nie legitim sein»

Die Winterthurer Psychotherapeutin und forensische Psychologin Martina Windler hat einige Fälle von Gewalt in der Beziehung untersucht. Im Interview erklärt sie, wie die Gesellschaft das Problem anpacken sollte.
Publiziert: 22.11.2022 um 16:47 Uhr
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Aktualisiert: 22.11.2022 um 17:10 Uhr
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Beat MichelReporter

Laut Anklageschrift misshandelte Aman K. (25) seine Partnerin Lorena P. (†22) während Monaten. Am 23. Februar 2021 schliesslich soll der Filialleiter einer Pizzeria in Buchs SG seine Frau so schwer verletzt haben, dass sie an den Verletzungen starb. Am Mittwoch findet in Mels SG der Prozess gegen den mutmasslichen Täter statt. Psychologin Martina Windler erklärt, warum es aus der Spirale der Gewalt keinen einfachen Ausweg gibt.

Blick: Frau Windler, warum ist es für Opfer so schwierig, sich von aussen Hilfe zu holen?
Martina Windler: Die Opfer schämen sich oft, dass ihnen dies passiert, beschuldigen sich selbst, schützen die Gewalt ausübenden Partner gegenüber dem Umfeld und verzeihen wieder. Teilweise sind Opfer auch so verängstigt und abhängig, dass es schwierig ist, Hilfe zu holen und sich aus der missbräuchlichen Beziehung zu lösen.

Warum kommt es überhaupt zu häuslicher Gewalt?
Es gibt verschiedene Arten von Gewalt. Situative, spontane Gewalt, die einmalig oder auch wiederholt ausgeübt wird, ist impulsiv, dient dem Abbau innerer Spannungen. Sie wird vermehrt von Personen mit fehlenden Ressourcen wie fehlender Kommunikations- und Konfliktlösungsfähigkeit und fehlenden finanziellen Ressourcen angewendet. Bei systematischer Gewalt geht es um Macht und Kontrolle in asymmetrischen und missbräuchlichen Beziehungsverhältnissen. Das Opfer wird kontrolliert und entwürdigt, mit dem Ziel, es zu dominieren, zu kontrollieren und in Abhängigkeit zu behalten. Die systematische Gewalt wird fast nur von Männern ausgeübt.

Die Winterthurer Psychotherapeutin Martina Windler sagt im Interview, warum Gewaltopfer nicht einfach so Hilfe holen können. Sie sagt: «Die Opfer suchen oft die Schuld bei sich selbst und schämen sich.»
Foto: Zvg
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«Männerbilder müssen überarbeitet werden.»
Martina Windler, forensische Psychologin
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In dem konkreten Fall von Aman K.?
Hier sieht es auf den ersten Blick nach impulsivem Verhalten und dem Unvermögen, Konflikte anders zu lösen, aus. Bei genauerem Hinsehen scheint K. jedoch systematisch Macht ausgeübt und eine Angstkultur aufgebaut zu haben, sowohl als Chef in der Pizzeria als auch zu Hause mit seiner Partnerin.

Warum gehen die Täter überhaupt so weit, dass sie ihre Partner verletzen oder töten? Warum hören sie nicht auf, wenn sie das Leiden sehen?
Tötungen in Beziehungen treten oft auf, wenn sich das Opfer trennen will oder sich getrennt hat. Die schwere Verletzung und Tötung der Partnerin ist meistens geplant, allenfalls wird die Hemmschwelle durch Alkoholkonsum herabgesetzt. Die Tötung ist die ultimative Machtausübung und -demonstration.

Was könnte man in der Gewaltprävention besser machen?
Stabiles soziales Umfeld verhindert Isolation, auch informelle soziale Kontrolle in der Nachbarschaft kann helfen, indem hingeschaut statt weggeschaut wird. Wichtig in der Prävention ist das Vermitteln von Konfliktlösungsstrategien, dies bereits bei Kindern. Toxische Maskulinität, die eine Unterordnung von Frauen befürwortet und Aggressivität zur Präsentation der eigenen Männlichkeit nahelegt, ist ein Problem. Dieses muss auf gesellschaftlicher Ebene angegangen werden: Gewalt darf nicht legitim sein. Männerbilder müssen überarbeitet werden.

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